Die Coronakrise stürzt auch die heimische Wirtschaft am südlichen Oberrhein in schwere Zeiten. Unsere Redaktion sprach im Doppel-Interview mit den beiden führenden Köpfen aus Industrie und Handwerk über die aktuelle Lage, Steffen Auer als Präsident der Industrieund Handelskammer sowie Johannes Ullrich, dem Präsidenten der Handwerkskammer. Wegen der Ansteckungsgefahr wurde das Interview per E-Mail geführt, am Freitag.
Herr Auer, wann reißen nach Einschätzung der IHK die Lieferketten, die für die Industriebetriebe wichtig sind?
Die Lagerbestände der Industriebetriebe reichen schätzungsweise noch für sechs bis acht Wochen. So ist es auch bei mir im Betrieb Schwarzwald Eisen. Wir erhalten Rohre und Stabstahl aus Norditalien.
Wann ist also die Produktion in Gefahr?
Diese Gefahr besteht bei den Automobilzulieferern am südlichen Oberrhein schon jetzt, unabhängig von Lieferketten, da einige Automobilhersteller ihre Werke geschlossen haben.
Haben schon Industriebetriebe im IHK-Bereich ihre Produktion eingestellt?
Geschlossen hat meines Wissens noch kein Industriebetrieb. Aber der Rückgang in der Produktion ist spürbar.
Kurzarbeitergeld: Wie lange kann dieses die gefährdeten Unternehmen über Wasser halten?
Das Kurzarbeitergeld ist ein tolles Instrument, aber die Unternehmen haben noch weitere regelmäßige Ausgaben zu stemmen wie Miete oder Leasingraten. Da braucht es ebenfalls Untertützung von der Politik. Wir fordern hier einen Fonds für kleine und mittelständische Unternehmen. Kredite genügen da nicht. Und wir unterstützen unsere Betriebe ebenfalls: Eigentlich hätten wir Mitte April die Beitragsbescheide an unsere Kleingewerbetreibende verschickt, das sind etwa zwei Drittel unserer Mitglieder. Doch diesen Termin haben wir jetzt erst einmal verschoben, der Beitrag wird gestundet. Auch das wird kurzfristig sicher helfen.
Fürchtet die IHK ein schnelles Ansteigen der Arbeitslosigkeit?
Das ist natürlich abhängig von der Dauer der Krise. Die Kurzarbeit wird zunächst wie gesagt viel auffangen.
Was schätzen Sie: Wie viele Unternehmen werden die Rezession nicht überleben?
Das ist unmöglich vorherzusehen.
Wie tief wird die Rezession ausfallen? Stärker als nach der Finanzkrise mit minus fünf Prozent?
Damals ist die Wirtschaft schnell wieder durchgestartet. Dieses Mal könnte es länger dauern. Und je länger der Stopp, desto tiefer die Rezession.
Herr Ullrich, welche Gewerke laufen im Handwerk in unserer Region denn noch reibungslos?
Da kann man getrost sagen: keines! Alle Betriebe spüren die Belastungen durch die Einschränkung der Mobilität, Stornierungen von Aufträgen und den so wichtigen direkten Kundenkontakt.
Welche Handwerksbereiche haben schon Probleme?
Viele Gewerke sind erst seit den einschneidenden Maßnahmen der vergangenen Tage durch die Landesregierung konkret betroffen. Manche, wie zum Beispiel Betriebe im Lebensmittelhandwerk, die einen erheblichen Anteil ihres Umsatzes mit Cateringaufträgen erzielen, sind schon länger betroffen durch Absagen von Messen, Veranstaltungen und Events. Hier wirkt sich die Krise schon erheblich aus.
Gibt es noch ausreichend Material oder gibt es erste Engpässe im Handwerk?
Es gibt viele Engpässe. Dies trifft vor allem auf den Baubereich, aber auch auf das verarbeitende Gewerbe zu.
Sind alle Gewerke gleichermaßen in existenzieller Gefahr?
Nein. Betriebe, die den täglichen Bedarf decken, oder auch Gewerke aus dem Baugewerbe sind im Moment noch weniger stark von der Krise betroffen als Betriebe, die einen erheblichen Teil ihres Umsatzes mit Handels- und Gastronomieanteilen – zum Beispiel ein Bäcker mit einem angeschlossenen Café – erzielen.
Kurzarbeitergeld: Wie lange kann dieses gefährdete nternehmen im Handwerk über Wasser halten?
Dies ist stark von der allgemeinen Betriebsstruktur abhängig. Je größer der Anteil der Personalkosten an den Gesamtausgaben ist, desto mehr kann Kurzarbeitergeld dem Unternehmen helfen. Klar ist aber auch, dass andere Kosten wie zum Beispiel Mieten, Pacht oder Leasingraten unverändert bestehen bleiben.
Fürchtet die Handwerkskammer ein schnelles Ansteigen der Arbeitslosigkeit?
Nein. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Kurzarbeit ein scharfes Schwert im Kampf gegen drohende Arbeitslosigkeit sein kann. Zudem klagt das Handwerk seit langem über einen bestehenden Fachkräftemangel. Es gibt auch zukünftig genug Aufgaben, für die wir alle Handwerkerinnen und Handwerker brauchen werden.
Was schätzen Sie: Wie viele Unternehmen im Handwerk werden die Rezession nicht überleben?
Das ist schwer zu beurteilen. Wir hoffen natürlich, dass es so wenige wie möglich sind. Wir möchten uns hier gerne auf die Aussagen aus der Politik und speziell aus dem Bundeswirtschaftsministerium verlassen, dass kein Betrieb wegen des Coronavirus in die Insolvenz gehen soll.
Wie tief wird die Rezession im Handwerk ausfallen? Stärker als nach der Finanzkrise?
Wir alle müssen uns klar machen, dass diese Krise anders ist. Die gesamte Realwirtschaft ist diesmal betroffen und nicht nur die Finanzwirtschaft und einige andere Wirtschaftszweige. Eine genaue Prognose abzugeben, wäre jetzt allerdings verfrüht. Ich habe große Zuversicht, dass wir als Gesellschaft aus dieser Krise gestärkt hervorgehen werden.
Fragen von Jörg Braun
Im Gespräch mit Johannes Ullrich und Steffen Auer