75 Jahre alt – na und. Noch immer strahlen seine warmen Augen hinter seiner typischen Hornbrille, glücklich und unternehmungslustig. Kein Zweifel – Roland Dieterle ist zufrieden, mit sich einig und richtig stolz, auf das, was er alles erreicht hat.
Kann er auch. Über 50 Jahre hat er sich für den Schwarzwald und den Tourismus vor Ort und in Presse, Rundfunk und Fernsehen eingesetzt und mit neuen Ideen den Schwarzwaldurlaub revolutioniert. Erlebnisurlaub im Schwarzwald hieß sein Zauberwort, mit dem er die Gäste in Scharen in den Schwarzwald zog. Er selbst hat dies mit seinen Betrieben vorgelebt. Seine Herzlichkeit und seine Gastfreundschaft berührten und begeisterten die Gäste in Straßburg, in den Vogtsbauernhöfen in Gutach, und am sagenhaften Mummelsee.
Seit zehn Jahren mal mehr und mal weniger im Ruhestand, fährt Dieterle mehrmals in der Woche auf den Mummelsee. Er selbst hat für sich die Rolle des Patrons ausgesucht, der zwar als Gründer über allem steht, aber sich hauptsächlich als Ideengeber und erfahrener Begleiter sieht. Seine Tochter Bärbel und ihr Mann Karl-Heinz sind am Mummelsee in seine Fußstapfen getreten. Dieterle ist voll des Lobes: »Beide machen das ganz toll. Ich bin richtig stolz darauf«.
Schwarzwald-Gastronom nennt ihn Deutschlands größte Boulevard-Zeitung immer noch und Straßburgs größter Gastwirt war er mit seinen sieben Restaurants ohnehin. Doch das alles wäre ihm zu wenig, um richtig glücklich zu sein. Wichtiger noch sind ihm seine Freunde. So Roland Mack und Meinrad Schmiederer, Badner und aus ähnlichem Holz wie er geschnitzt, mit denen ihn eine jahrzehntelange enge Freundschaft verbindet. Oder Tomi Ungerer, des Elsaß größter Sohn, der ihn »mon Ami« nannte und als besondere Ehre Dieterle mit Frau Anita auf seine Farm in letzten Zipfel Europas auf der vom Atlantik zerklüften Halbinsel Mizen Head in Irland einlud.
Neue Uhren verkaufen
Eine geniale Idee vor 53 Jahren hatte Roland Dieterle auf die Erfolgsspur gebracht. Damals Uhrmachermeister im elterlichen Geschäft in Hausach erkannte er mit seinem Gespür für Entwicklungen die Zeichen der Zeit: »Warum mühsam Uhren reparieren. Viel besser ist doch, neue zu verkaufen.« Das war sein Credo. Einen geeigneten Verkaufsplatz, wo Tag für Tag viele Gäste Tag hinkommen, hatte er schon im Hinterkopf: Die Vogtsbauernhöfe, die damals noch in den Kinderschuhen steckten.
Hartnäckig ist er und was er will, bekommt er auch. So überzeugte er seine Mutter Elisabeth, ihm 20.000 DM als Startkapital zu geben. Mit diesem Grundkapital ausgestattet baute er direkt neben den Vogtsbauernhöfen den Landgasthof zum Museum und seinen Schwarzwaldladen. Die Idee erwies sich als goldrichtig und zusammen mit seiner damaligen Frau Anita, gelernte Bankkauffrau, begann der unaufhaltsame Aufstieg.
Auch die Herren vom Mummelsee, die Waldgenossenschaft Seebach, waren von beider Geschäftsidee begeistert, Schwarzwälder Essen und Trinken und Souvenirs zu einem Erlebnis für den Gast zu verknüpfen. Doch der damalige Vorsitzende Arthur Breig holte den forschen Roland Dieterle beim ersten Zusammentreffen auf den Boden zurück: »Was soll ich Ihnen? Sie sind nicht erste Wahl!« Damit hatte er Dieterles Ehrgeiz angestachelt. Er lief zur Hochform auf. Für seinen Vortrag, wie Urlaub im Nordschwarzwald am Mummelsee ausgestaltet werden muss, gab es Riesenbeifall von den Waldgenossen. Mit überwältigender Mehrheit gaben sie 1979 der Familie Dieterle den Zuschlag für die Neuverpachtung der Mummelsee-Gastronomie für die nächsten zehn Jahre.
Aus dem bisher im Dornröschenschlaf liegenden Mummelsee machten die Dieterle-Schwarzwaldurlaubprofis mit ihrem Erfolgskonzept einen der viel besuchtesten Plätze im Schwarzwald. Eine Terrasse bis in den See für die Besucher, Streichelzoo mit Ziegen, Hasen und Rehen, auf dem Wasser eine ganze Armada von Tretbooten und viele Events vom sagenhaften Mummelseefest angefangen bis zur Prominenten-Tretboot-Regatta und zünftiger Blasmusik. Dies gefiel nicht allen. Mummelsee wird Rummelsee, konnte man in der Zeitung lesen, aber dann fanden es doch alle toll. Öffentliche Nahverkehrs-Busse fuhren von Achern und Baden-Baden und brachten täglich viele Gäste. Roland Dieterle war ein berühmter Mann, in aller Munde, der den Schwarzwaldurlaub aus verstaubtem Dasein holte und mit Events und guter Küche zum echten Schwarzwald-Hotspot machte.
Und Roland Dieterle hatte Blut geleckt. Schon ein Jahr später folgte der Riesenschritt über den Rhein nach Straßburg, wo er die leerstehenden Gebäude am Münsterplatz anmietete und die Restaurants »Münsterspatz« und »Gruber« aus der Taufe hob. Auch hier war er nicht sehr willkommen, die Zeiten waren damals noch anders. Für viele Elsässer und auch für die Presse war der deutsche Eindringling nur einer, der sich hier in Straßburg eine goldene Nase mit dem Geld der Elsässer und dem ehrwürdigen Münster verdienen wollte.
Dieterle’s Erfolgsrezept in Straßburg war einfach, aber klug. Er erfand den elsässischen Flammenkuchen neu und verkaufte ihn in seinen sieben Restaurants als sein Markenzeichen zu günstigen Preisen in allen Variationen. Politiker und Prominenz aus der ganzen Welt, unter ihnen Willy Brandt und Gerhard Schröder, der tschechische Präsident Vaclav Havel, die jordanische Königin Rania und der deutsche »Kaiser« Franz Kaiser gaben sich bei ihm im »Gruber« die Ehre. Er sah sich dabei als Botschafter des Elsaß und er fühlt sich bis heute als Elsässer und Schwarzwälder gleichermaßen. Seine harmoniebedürftige Seele wünscht sich nichts mehr, als dass beide Welten zusammenfinden, nicht nur im politischen Eurodistrikt, sondern in den Herzen. Mit einem deutsch-französischen Stammtisch hat er die Menschen diesseits und jenseits des Rheines zusammengeführt. Und das spürten auch seine vielen elsässischen Freunde aus Politik, Kunst und Wirtschaft, für die Roland Dieterle einer der Ihren ist. So wie es der renommierte Straßburger Künstler Raymond Waydelich ausdrückt: »Roland Dieterle hat unser Straßburg wieder elsässischer gemacht.«
Ein Apfelschnitz änderte alles
Doch im besten Alter von 59 Jahren auf dem Höhepunkt seines beispiellosen Aufstiegs änderte ein Apfel, von denen er immer Tüten voll als Stärkung für unterwegs mit sich führte, alles. Ein Schnitz blieb ihm Hals stecken, rutschte ihm in die Luftröhre. Atemnot, Herzstillstand, Stunden kämpften Ärzte um sein Leben. Bewusstlos kam er auf die Intensivstation des Freiburger Uniklinikums. Wochen lag er im Koma, keiner wusste, ob er überleben würde. Roland Dieterle erzählt: »Bis mein Freund Hans-Peter mich besuchen kam. Er drückte mir ganz fest die Hand und redete eindringlich auf mich ein. Roland wach auf, komm zurück, wir brauchen dich.« Hans-Peter, das bin ich und auf einmal sah ich, dass sein Auge mir zwei-dreimal zuzwinkerte. Und wieder und wieder. Er drückte fest meine Hand und nannte meinen Namen. Er war aus der anderen Welt wieder zurückgekehrt. Am nächsten Tag wartete schon eine Schar Ärzte und Professoren auf mich. Sie nahmen mich ins Kreuzverhör. Für sie war das ein Wunder.
Nach einem längeren Reha-Aufenthalt wurde er wieder ins Leben entlassen – allerdings mit einem Wermutstropfen, ihm wurde schriftlich das Führen eines Kraftfahrzeuges ärztlich untersagt. Doch Roland Dieterle wäre nicht Roland Dieterle, wenn er sich nicht zu helfen gewusst hätte. Statt mit dem Führerschein war er nun mit einem dicken Fahrplanbuch unterwegs nach Straßburg, Baden-Baden zum Mummelsee, um nach dem Rechten zu schauen. Seine Familie hielt zusammen. Alle Töchter, Bärbel, Petra und Anja waren in die Unternehmensleitung eingebunden und schauten, dass die Betriebe bestens und reibungslos weiterliefen.
Nur Straßburg blieb ganz in seiner Hand. Doch er war noch zu schwach, diese riesige Aufgabe wieder auszuüben. Eine inkompetente Buchhalterin, die vergass die Krankenkassenbeiträge pünktlich zu überweisen, war für die Stadt Straßburg einen Grund tätig zu werden und die Betriebe zu schließen. Für Roland Dieterle ein schwerer Schlag. Er zog sich als Geschäftsmann aus Straßburg zurück. Für ihn war dies eine harte Zeit, den Führerschein hatte er zwar wieder, doch viele Freunde, die bisher bei ihm kostenlos speisten und tranken, schauten auf die andere Seite, wenn sie ihn sahen.
Aber andere Freunde, unter ihnen Roland Mack, Meinrad Schmiderer, Eckehard Ficht, Heinz Seeholzer luden ihn ein und kümmerten sich um ihn. Jahre später, als er wieder im normalen Leben angekommen war, sagte er mir einmal: »Wenn ich mir überlege, was ich alles in meinen Jahren seit dem unglücklichen Apfelschnitz mitgemacht habe, wundere ich mich, dass ich noch lebe.«
Nach diesen Hiobsbotschaften zeigte sich aber am schwarzen Himmel des Roland Dieterle wieder die Sonne. Seine Partnerin Silvia machte ihm unverhofft aber voller Liebe einen Heiratsantrag. Er sagte ja, aber erst als sie in einer Art Ehevertrag mit Buch und Siegel unterschrieb, dass ihm mindestens drei Tage in der Woche »Kurzurlaub« zu gewähren waren, die er entweder in seiner Hütte im Kinzigtal oder in seiner Wohnung in Straßburg verbringen konnte. 2010 wurden er und seine große Liebe ein Ehepaar mit Hauptwohnsitz Kirchzarten.
Was sind schon 75 Jahre – für Roland Dieterle noch kein Grund auszuruhen. Sein Handy klingelt immer noch häufig. Mehrmals fährt er in der Woche nach Straßburg oder auf den Mummelsee. Dort schaut er nach dem Rechten und wie schon immer in den 55 Jahren seines Lebens als Gastronom begrüßt er herzlich, wie es seine Art ist, im Restaurant die Gäste, meist mit Handschlag. Ein Handschlag gilt auch immer seiner ersten Frau Anita, die dort das Schwarzwalddorf leitet und von der er sich in Frieden getrennt hat.
Was wünscht man sich so zum 75. Geburtstag Herr Dieterle? Seine Augen blitzen. Da braucht er nicht lange zu überlegen. »Viele Stunden in froher Runde mit Freunden, Radtouren und Wanderungen im Schwarzwald und im Elsaß, die raue Luft um die Nase wehen lassen beim Oldtimer-Fahren und so richtig Schwarzwälder Lebenslust genießen, wenn ich in der Bauernwirtschaft „Durben“ mit meinem Riesenappetit gleich drei Vesperplatten nacheinander verdrücke.«
Einen ganz besonderen Wunsch hat er auch noch. Nachdem seit Willy Brandt alle deutschen Kanzler bei ihm in Straßburg oder auf dem Mummelsee zu Gast waren, möchte er auch Angela Merkel im Stammsitz Mummelsee begrüßen. Und wie man ihn kennt, mit seinem unwiderstehlichen Jungen-Charme wäre es kein Wunder, wenn er danach zu ihr »Angela« sagen dürfte. Warum auch nicht? Schließlich haben dies ja auch Marcon und Putin geschafft.