In ungewissen Zeiten auf Bewährtes zu vertrauen, ist sicherlich kein Fehler. Beim Blasmusikverband Kinzigtal weiß man, was man bekommt: blitzblanken Bläserklang und meist eine Mischung aus klassischem Repertoire und gut gelaunten Ausflügen in die Unterhaltungsmusik.
Das anlässlich des 100-jährigen Bestehens des Blasmusikverbands Kinzigtal e.V. neu aufgestellte »Sinfonische Blasorchester« (SBBV) unter der Leitung von Verbandsdirigent Mathias Gronert legt die Messlatte um einiges höher, denn das fast 70-köpfige Ensemble versteht es, die anspruchsvolle komplexe Musikdramaturgie zeitgenössischer Komponisten wie Alfred Reed, Piet Swerts oder Rolf Rudin mit perfekter Technik und großer Spielfreude zu inszenieren.
Musikalische Reise durch Europa
Davon konnte sich das Publikum am Samstagabend in der Schwarzwaldhalle überzeugen, als Moderatorin Daniela Polap zur »musikalischen Reise durch Europa« einlud. »Martinizza« aus der Feder des belgischen Komponisten Piet Swerts basiert auf einem uralten bulgarischen Brauch, bei dem sich am 1. März des Jahres Freunde mit einem rot-weißen Glücksbringer beschenken und sich Gesundheit wünschen.
Von den ersten Takten an überraschte die orchestrale Wucht und Energie, mit der die Musikerinnen und Musiker Akzente setzen – nicht mit Lautstärke, wie man angesichts der Größe des Ensembles hätte vermuten können. Samtige Klarinettenklänge wechselten sich ab mit anmutigen Flötenmelodien und forschen Blechbläsertönen, bis sich alle Register im euphorischen Finale vereinten.
Aufgewachsen mit der Tradition der irisch-schottischen Seefahrerlieder hat der Komponist Haydn Wood diese Traditionals in seiner Rhapsodie »The Seafarer« verarbeitet. »Kommen Sie an Bord!«, rief Daniela Polap den Gästen zu »und folgen Sie unserem ‚Kapitän‘ Mathias Gronert und seinem Orchester«. Dabei gelang den Akteuren auf der Konzertbühne das Kunststück in ihrer Interpretation bekannte Shanty-Melodien wie »What shall we do …« oder »Rolling Home« aufleben zu lassen. Damit spielte sich das Orchester direkt in die Herzen der Zuhörer.
Mit Glanz, Attacke und Leichtigkeit
Auf den »Ritt« über den Ozean folgte »Lied ohne Worte« – eine »Klangstudie«, wie ihr Schöpfer Rolf Rudin sein Werk bescheiden beschreibt; und doch ist es ein Stück kunstvoll kandierter Romantik, das die Qualität des Zusammenspiels der Bläser im Leisen und ihre Fähigkeit der weichen Harmonisierung belegt. Was das Ensemble und seinen Leiter zusätzlich auszeichnet, verfehlte seine Wirkung auf das Publikum an diesem Abend nicht: beste Stimmung und wachsende Begeisterung.
Diese erreichte einen ersten Höhepunkt bei »Armenian Dances – Part 1« von Alfred Reed. Dieser »symphonischen Rhapsodie« liegen armenische Volksweisen zugrunde, deren Struktur der US-amerikanische Komponist zwar beibehalten, aber mit melodischen Verzierungen und tänzerischen Rhythmen ausdrucksstark erweitert hat. Mit Glanz, Attacke und Leichtigkeit machte sich das SBBV die »Armenischen Tänze« zu eigen und präsentierte sich damit geradezu als »Referenzklangkörper« für diese vielschichtige Musik, bei der die Anklänge an den berühmten »Säbeltanz«-Furor eines Khachaturian nicht zu überhören waren.
Mit permanentem Überraschungsanspruch
Den Opern-Fans im Publikum kredenzte das Orchester nach der Pause mit der Ouvertüre aus Rossinis »Barbier von Sevilla« einen besonderen musikalischen Leckerbissen. Zunächst hatte Moderatorin Polap von der zauberhaften Altstadt der andalusischen Metropole erzählt, in der die Opernhandlung spielt und die Erwartungen der Hörer atmosphärisch beflügelt.
Selbstredend, dass die Musikerinnen und Musiker unter dem Dirigat Gronerts dem hohen künstlerischen Niveau des Orchesterarrangements (Jose Schyns) vollauf gerecht wurden. Eine mitreißende Kombination aus faszinierenden Melodien, virtuosem Dialog zwischen Holz- und Blechbläsern und filigranem Schlagwerk.
Letzteres sorgten auch für die rhythmischen Kabinettstückchen bei »Mary Poppins …«. Legendär und beliebt ist die Supernanny nach wie vor bei Jung und Alt, sei es im Buch, im Film oder in jüngerer Zeit auch im Musical. Das SBBV präsentierte einen temperamentvollen Melodienreigen, basierend auf dem variationsreichen Arrangement von Alfred Reed. Keinesfalls ein simples Song-Medley, sondern ein formidables Sound-Puzzle aus Swing- und Vaudeville-Elementen mit permanentem Überraschungsanspruch, Stimmungs- und Tempiwechsel inclusive.
Beifall und Jubel erfüllten die Schwarzwaldhalle auch, als die musikalische Reise Station in Spanien machte. Dort hatte sich der Komponist Ignacio Sanchez Navarro in die Geschichte des »Santiago«-Ordens zur Zeit der Kreuzritter vertieft und musikalisch umgesetzt: »Orgullo Santiagusta« bietet fesselnde Pasodoble-Rhythmen. Da rollte eine Energiewelle in Funky-Breitwand über die Bühne in der Schwarzwaldhalle und man spürte, welch immenses Potential an Klangentfaltung in einem sinfonischen Blasorchester steckt.
Mit entfesselten Orchesterkräften
Der krönende Abschluss des Konzertabends hob abermals die Tugenden von Orchester und Dirigent hervor: farbige, meisterlich instrumentierte Musik, die den Hörer unmittelbar erreicht und begeistert. Das ist mitunter eine Gratwanderung, wenn es um einen Rock- oder Pop-Song geht. »Innuendo« gehört zu den ambitioniertesten Werken der englischen Rock-Formation ‚Queen‘ und ihres ikonischen Sängers Freddie Mercury.
Der war bekennender Opernliebhaber und hätte sicherlich seine Freude daran gehabt, wie das SBBV und Mathias Gronert noch einmal alle Orchesterkräfte entfesselten: atemloses Tempo, rasch wechselnde Rhythmen, ein pulsierender E-Bass-Groove und fein ziseliertes Schlagwerk. Schließlich ein langes angezogenes Crescendo, das in das gleißende Licht des Finales mündete.
Stürmischer Applaus und zwei Zugaben, von denen der fulminante Marsch »Liberty Bell« (bezogen auf die ‚Freiheitsglocke‘ anlässlich der amerikanischen Unabhängigkeit 1776) in unseren krisengeschüttelten Zeiten nicht nur musikalisch Zeichen setzt.
Verbandspräsident Stefan Polap, an diesem Abend als Orchestermitglied bei den Trompeten, bedankte sich bei Moderatorin und Dirigent mit einem Präsent. Dankesworte richtete er auch an die vielen Helferinnen und Helfer, die für die Gestaltung und Bewirtung verantwortlich waren.