Ohne Säckleträger geht nichts beim Peterlisspringen in Unterentersbach. Immer sechs an der Zahl sind es: drei Mädchen und drei Jungs aus der neunten Klasse, 15 respektive 14 Jahre jung also. Am vergangenen Mittwoch – dem Heiligen Sankt Peterstag – waren es Lennart, Leon, Theo, Anni, Marie-Luise und Sophie, die dieses Amt und damit die Verantwortung übernommen hatten.
Alle miteinander sind sie seit Kindergartenzeiten beim alljährlichen Peterlisspringen und heuer nun zum letzten Mal dabei. Ob sie aufgeregt sind? Ein Teil bejaht: Schließlich haben sie heute das Sagen, führen die Gruppe der Kinder auf ihrem Gang von Haus zu Haus.
»Sie organisieren das ganz alleine, Erwachsene dürfen nicht mitlaufen«, erklären Josef Pfaff und Horst Feuer vom Förderverein Schönes Entersbach. Und freuen sich über das schöne Wetter: »Das kann nämlich arg unangenehm sein, wenn die Kinder stundenlang halb stehend, halb gehend bei Kälte und Regen unterwegs sind.«
Treffpunkt ist um elf Uhr vor der St. Nikolauskirche. Dort hinein dirigieren die Säckleträger:innen die rund 40-köpfige Kinderschar, die sich denn auch folgsam in die Bänke setzt. Es ist berührend, wie die sechs »Großen« sich nun zum Altar drehen, die Arme ausbreiten und gemeinsam mit den Jungen und Mädchen in ihrem Rücken das Vaterunser beten.
»So, das war’s schon, jetzt könnt ihr wieder raus«, heißt es anschließend, mit einem breiten Grinsen, und das lässt sich keines der Kinder zweimal sagen. Draußen dann kümmern sich die Säckleträger:innen um die Aufstellung des Zuges. »Früher waren es um die hundert Kinder«, weiß der Förderverein, »da lief man in zwei großen Gruppen, nach Jungen und Mädchen getrennt – so wie die Trennung der Geschlechter früher eben Brauch war.«
Auch wenn die Sitte des Peterlisspringens in Baden-Württemberg weit verbreitet ist, wird sie schon alleine in Zell und seinen Nachbarsgemeinden jeweils unterschiedlich gehandhabt: »Nur in Unterentersbach ist es so, dass die Erst- bis Neuntklässler des Dorfes streng organisiert durch den Ort laufen«, erklärt der Förderverein. Die Kindergartenkinder hingegen dürfen am frühen Vormittag alleine oder in kleinen Gruppen gehen, meist natürlich in Begleitung eines Erwachsenen.
Wider Kröten und Schlangen
Ebenso ruhig wie bestimmt »sortieren« die Säckleträger:innen soeben die Jüngeren. Ordentlich stellen sich die Jungs in Zweierreihen auf, die jüngsten vorneweg. In gleicher Manier schließt sich die Mädchengruppe an. Beide Gruppen sind mit einem großen Korb ausgestattet, jeweils von einem Mädchen- und einem Jungenpaar getragen, und los geht’s, mit Gesang: »Ich bin ein kleiner König, gebt mir nicht zu wenig…«
Die Säckleträger übernehmen die jeweils eine, die Säckleträgerinnen die andere Straßenseite. An jedem Hauseingang klingeln sie und tragen denen, die ihnen öffnen, ihren Peterlistagspruch vor. Dass sie Krotten (Kröten), Schlangen und giftiges Getier verjagen, heißt es in dem uralten Text – Ungeziefer also, das mit dem Frühling erwacht und auf den Höfen früher wohl aus unzähligen Schlupfwinkeln kroch. Zum Dank werden die jungen Menschen mit einer Gabe belohnt.
Der Text ist lang, daher teilt jedes Trio das Aufsagen unter sich auf. In der Zwischenzeit wartet der Kinderzug, bleibt dabei aber beaufsichtigt. Heuer sind es vier Achtklässlerinnen, die zum einen die Anwesenheitslisten führen und zum anderen während der Standsprich Wartezeiten auf die Kinder aufpassen, sie zusammenhalten.
Über Mittag ist für den Zug Pause. Die Säckleträger:innen allerdings machen weiter und statten den Außenbezirken Stöcken, Gröbernhof und dem Gelände der ehemaligen Papierfabrik einen Besuch ab.
Früher erfolgte das zu Fuß, heutzutage werden sie von einem Elternteil mit dem Auto gefahren.
Geordnet und gerecht
Um 14.30 Uhr schließlich findet sich die Kinderschar wieder ein, zieht bis um 16 Uhr durch die Straßen. »Wenn wir dann noch nicht alle Häuser geschafft haben, laufen wir alleine weiter«, erzählen die Träger:innen.
Die Gaben, die in den weißen Stoffbeuteln gelandet und in den von den Kindern getragenen Körben gesammelt worden sind, werden am kommenden Sonntag von den Säckleträgern verteilt. »Des isch ä ernschde Sach’«, weiß der Fördervereinsvorsitzende Josef Pfaff nur zu gut. Denn unbedingt gerecht soll es dabei zugehen. Daher darf sich am Peterlistag niemand an den Körben bedienen.
Stattdessen rechnen die Säckleträger:innen anhand der Anwesenheitslisten jeweils für den Vor- und Nachmittag sowie nach Jungen und Mädchen getrennt aus, was jeder erhält. Das können die freudig gespannten Kinder und Jugendlichen sich dann abholen. Um Naturalien wie beispielsweise Äpfel und Nuss, Schnitz, Brot und Speck hatte es sich ursprünglich bei den Gaben gehandelt. »Und von der damaligen Papierfabrik gab es Rollen mit Packpapier«, wie sich Josef Pfaff erinnert, »damit haben wir unsere Schulbücher eingebunden.«
Heutzutage sind es Geld und Süßigkeiten, die in den Tragetaschen der Säckleträger:innen landen. Früher wurden diese Stoffbehältnisse bei der Ausbringung von Saatgut verwendet, »auf dem Hof meiner Eltern gab es diese Säckle noch«, erinnert sich Josef Pfaff an seine Kindheit. Auch heute dürfte das eine oder andere dieser Utensilien noch auf einem der Unterentersba–
cher Höfe zu finden sein.
Damit die Beutel jedoch nicht vor jedem Peterlistag mühsam erbeten und eingesammelt werden müssen, hat Martina Rauber, die zweite Vorsitzende des Fördervereins »Schönes Entersbach« neue Säcke nach altem Muster genäht, die nun von Jahr zu Jahr beim Förderverein gelagert werden. »Und dazu kriegen die Säckleträger noch den Spruch, dass sie den rich–
tigen Text haben und die Möglichkeit, ihn auswendig zu lernen.«
Über die noch immer recht hohe Zahl der Peterlisspringer freut sich der Verein. Aber: »Das Problem ist immer, die Führung zusammenzubekommen, also genügend Sackträger. Weil sie nicht frei kriegen, wenn sie woanders als in Zell zur Schule gehen.« Früher dagegen sei das kein Problem gewesen, da gab es eine Schule in Unterentersbach, »da hat das natürlich
der Lehrer organisiert.«
Trotz veränderter Umstände
Auch der Ablauf habe sich verändert, weiß man im Verein: »Auf den Höfen war damals immer irgendjemand zuhause. Wenn die Kinder kamen, dann war jemand da. Aber gerade im Neubaugebiet zum Beispiel sind viele berufstätig. Wenn die Kinder da durchgehen, öffnet bei vielen Häusern niemand.«
Das kann natürlich auch im alten Ortskern passieren. Umso größer die Überraschung der Säckleträger, als sie in einem solchen Fall einen an die Tür geklebten Briefumschlag entdecken. Vorsichtig nehmen sie ihn an sich, schauen ebenso vorsichtig hinein, ein Geldschein für die Peterlisspringer steckt darinnen. Es sei schön zu sehen, wie lebendig dieser aus dem Mittelalter hergeleitete Brauch noch immer sei, freut sich Ortsvorsteher Christian Dumin. Selbst Vater einer Fünf- und einer Siebenjährigen, früher »selbstverständlich« jedes Jahr beim Peterlisspringen dabei und auch selbst Säckleträger gewesen, betont er den Gemeinschaftsgedanken bei der Ausübung des alten Brauchtums.
Und auch die Erwachsenen, die den Säckleträger:innen die Türen öffnen, freuen sich. Wie Waltraud und Rudolf Bitsch, die Betreiber des Gasthofs »Alte Post«: »Wir sind früher selbst mitgelaufen und unsere Kinder waren auch dabei. Dass die Säckleträger das alles eigenständig organisieren und dass das immer noch so super funktioniert, ist einfach toll.«
Die ebenfalls in Unterentersbach aufgewachsene Heike Zink, an den Eingang ihres Hauses gelehnt, strahlt nicht weniger. »Meine Kinder laufen da mit – richtig schön, dass es das noch gibt, wir selbst waren als Kinder alle total heiß aufs Peterlisspringen hier im Dorf.«