Früher gab es in jedem Dorf eine Brauerei. Das ist heute nicht mehr so. Aber es gibt immer wieder Geschichten wie die von Andy Alst und seinem »Biereckle« in Unterentersbach. Die Geschichten eines jungen Brauers, der dem Hopfengetränk seinen eigenen Stempel aufdrückt.


Wer bei Heinrich Hansjakob im Band »Wilde Kirschen« nachschaut, der erfährt, dass seinerzeit in jedem Dorf Gasthöfe mit eigenem Brauereiausschank zu finden waren. Oberharmersbach konnte in seinen besten Zeiten vier Brauereien vorweisen. Der Chronist berichtet von zwei Gasthäusern, die im 18. Jahrhundert auf Entersbacher Gebiet selbst gebrautes Bier ausschenken durften. Vor dem Hintergrund, dass Gastwirte überwiegend auch Landwirte waren, ist das nicht weiter verwunderlich.
Gesünder als Wasser
Zum Bierbrauen eignet sich grundsätzlich jede Getreideart, die man mälzen kann. Erst im Laufe der Jahrhunderte ist man beim Bierbrauen zur Verwendung von Gerste übergegangen. Was die Reinheit angeht, war der Genuss von Bier einst gesünder als Wassertrinken. Das Bier unserer Vorfahren war sehr nahrhaft und hatte im Vergleich zu heute einen geringen Alkoholgehalt von 2 bis 2,5 Prozent.
Ferienjob hat inspiriert
Heute ist Unterentersbach in der komfortablen Situation, eine junge Brauerei im Ort zu haben. Alles begann damit, dass Andy Alst, heute Brauer und Mälzer, in den Ferien bei einer kleinen Brauerei im Nachbarort einen Ferienjob annahm. Schon in der Schule begeisterte er sich für Fächer wie Biologie und Chemie. Im Brauerei-Metier sah er die Chance, seine Kreativität im Beruf auszuleben.
Nach der Schule folgte eine dreijährige Ausbildung bei einer großen Brauerei in Offenburg. Der junge Fachmann lernte die Praxis kennen und heiratete. Zufall oder nicht, sein Einfamilienhaus baute er in der Biereckstraße, wo schon in der Vergangenheit ein Brauhaus stand.
Vom Carport-Bräu zum eigenen Unternehmen
Nach der Geburt des ersten Kindes hatten Tanja und Andy Alst ihren Freundeskreis eingeladen. Zur Feier des Tages kreierte der Fachmann ein »Papa-Bier«, das einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Noch lange Zeit sprach man vom Festbier aus der 60 Liter-Hobby-Brauerei im Carport der Familie. So lange sich solche Aktionen kostenlos im Freundeskreis abspielen, sind diese unbedenklich. Problematisch wird die Sache erst, wenn ein angestellter Brauer Bier gegen bare Münze in Umlauf bringt, obwohl ihm das durch den Arbeitsvertrag untersagt ist.
200 Liter Eigenbedarf
Die Sache hat auch einen fiskalischen Hintergrund. Bis zu 200 Liter Bier pro Jahr dürfen Privatleute für den Eigenbedarf brauen. Wird die Menge überschritten oder kommt das Bier zum Verkauf, wird Biersteuer fällig. Andy Alst hat das Problem auf seine Art gelöst. Zum 1. Mai 2018 gründete er seine eigene Brauerei. Seit diesem Tag kennt die Kreativität des Brauers und Mälzers keine Schranken mehr.
So ist der Brauerei-Alltag
Bis zu fünf Mal pro Monat wird gebraut. Das Brauen beginnt mit dem Maischen, das heißt: Braumalz wird mit Wasser vermengt. Die Maische wird unter Rühren erhitzt. Dabei werden die nicht wasserlöslichen Stoffe des Malzes in wasserlösliche umgewandelt.
Beim nächsten Schritt wird im Läuterbottich der Malztreber aus der Würze entfernt. Als Würze bezeichnet man den flüssigen, vergärbaren Teil der Maische.
Diese Vorderwürze wird in der Sudpfanne mit Hopfen gekocht.
Der so entstandene Sud wird durch einen Filter gepumpt, um das geronnene Eiweiß und andere Schwebstoffe von der Würze zu trennen.
Schließlich wird die Flüssigkeit in einem Kühler auf die spezielle Gärtemperatur heruntergekühlt und je nach Biersorte eine passende Hefekultur zugesetzt. Obergärige Hefesorten vergären bei 18 bis 24 Grad Celsius, untergärige bei 8 bis 14 Grad.
Bei der alkoholischen Gärung werden die in der Würze gelösten Zucker zu Alkohol und Kohlensäure. Die Hauptgärung dauert eine Woche. Das so entstandene Jungbier muss nun vier bis sechs Wochen nachgären und lagern.
Ein Brautag mit Maischen, Läutern und Würze-Herstellung dauert acht Stunden. Dabei entstehen 2,5 bis 6 Hektoliter Bier.
Untergärige Biere werden unter Druck in fünf Tanks fünf bis sechs Wochen gelagert, das heißt vergoren und gereift. Obergärige Spezialitäten wie Hefeweizen und verschiedene Ales werden drucklos in Gärwannen vergärt und erfahren im Anschluss eine Flaschengärung.
Strom von der Sonne
Brauen und kühlen ist sehr energieintensiv. Die junge Brauerei arbeitet mit elektrischem Strom als Energiequelle. Die Photovoltaik auf dem Dach liefert 10.000 kW. Der Eigenverbrauch liegt bei 65 Prozent.
Wo immer möglich kommen regionale Rohstoffe zum Verbrauch. Das Malz für Lagerbiere wie »Zwickl« und »Helles« werden direkt vom Hersteller Eckenstein aus Lahr-Dinglingen bezogen, der Hopfen kommt aus Tettnang.
Zutaten aus dem Garten
Teilweise werden Bierzutaten im eigenen Garten geerntet. Der junge Kreativ-Brauer hat ein Ale im Angebot, bei dem 30 Prozent des Hopfens durch Rosmarin ersetzt wird. Begehrt ist auch ein Himbeerweizen. Allerdings kann der Himbeerbedarf dafür im Hausgarten nicht gedeckt werden.
150 Kilogramm Malztreber fallen pro Woche an. Im Mittelalter mischten die Hausfrauen, welche einmal pro Woche Bier brauten, den Treber unter den Brotteig. Andy versorgt damit acht Bullen im Dorf, die ihren Lieferanten schon am Motorgeräusch erkennen.
Der feine Unterschied
Großbrauereien verkaufen etwa 80 Prozent der Ware als Angebote an Handelsketten. So wird die Bierlandschaft in Deutschland immer eintöniger. Kleinbrauereien leisten sich einen erfrischenden Unterschied.
Andy Alst stellt hochwertige Genussbiere her. Das Angebot wechselt. Mindestens sechs Sorten sind gleichzeitig verfügbar. Zu den gefragtesten Sorten zählen »Zwickl«, ein hopfenbetontes Festbier. Gut geht auch »Pale Ale« mit exotisch fruchtigen Hopfen aromen, gefolgt von einem hellen, sehr milden »Lagerbier«. Letzteres ist im Geschmack eher malzbetont.
Bier mit Honig-Aroma
Weit bekannt ist auch Andys »Honigbier«. Dabei handelt es sich nicht um ein Biermischgetränk. Damit das Honigaroma während des Brauvorgangs nicht verdampft, wird der Weißtannenhonig erst spät zugegeben.
Der richtige Zeitpunkt für die Honigbeigabe ist, wenn die Würze schon wieder abkühlt. Bevor das endgültige Rezept stand, waren über einen Zeitraum von einem Jahr acht Testsude notwendig. Liebhaber schwärmen von einem edlen, milden Bier. Der Alkoholgehalt von 7,5 Prozent ist überwiegend dem Honig geschuldet.
Das Bier ist nicht sättigend und erzeugt eine hohe Trinkfreude. Dabei kommt der Honig mit leichter Süße dezent zur Geltung.
Neben den genannten vier Standardbieren wird nach einem festen Quartalskalender eine wechselnde Biersorte für drei Monate ins Angebot aufgenommen.
Anspruchsvolle Kundschaft
Bier brauen ist eine Kunst, Bier zu verkaufen eine andere. Für den jungen Brauer ist es nicht immer einfach die Ware an den Mann beziehungsweise die Frau zu bringen. Zu Corona-Zeiten ist es vorgekommen, dass Fassbier-Spezialitäten dem Mindesthaltbarkeitsdatum gefährlich nahe gekommen sind. Ein erfahrener Kleinbrenner hat das Lebensmittel vor dem Verderben gerettet. Es entstanden edle Bierbrände in drei unterschiedlichen Geschmacksnoten.
Advent zum Genießen
Von April bis September ist Saison am Biereck. Etwas ruhiger ist es im August. Da sind die Leute im Urlaub. Gut angenommen wurde die Idee eines Bieradventskalenders. 24 Biere aus eigener und fremder Produktion werden zusammen mit geschmacklich passenden Leckereien in einen stabilen Karton mit Türchen verpackt. Der Biergeniesser erhält Spezialitäten aus der Produktion nahestehender Brauhäuser in Deutschland, Belgien und der Schweiz.
Mehr Wissen
Kraft der Zusatzqualifikation als Biersommelier verfügt Andy Alst über das notwendige Hintergrundwissen, sei es zur Geschichte, zur Technik, zu den Bierrezepten wie zu dem Themenkomplex, welches Bier zu welchem Gericht passt. Bei Parties und Brauereibesichtigungen ist er ein gefragter Entertainer. Mit seinem Wissen regt er Experimentierfreude und Neugierde der Kundschaft an. Nicht jeder Bierfreund weiß, dass »dunkler Doppelbock« seinen Schokoladen-Kaffeegeschmack dem Röstmalz verdankt. Darin besteht der Unterschied zwischen Massenkonsum und Bierkultur.