Als Lebensraum eines seltenen Falters stellten wir letzte Woche die Flora-Fauna-Habitat-(FFH-) Wiesen Unterentersbachs vor. Diese Woche erläutern wir die Artenvielfalt des Bewuchses – »Problempflanzen« inklusive.
»Wer kennt was nicht?«. Unter diesem schmunzelnden Motto schickt Regina Ostermann die Teilnehmer des diesjährigen Schnellkurses »Wiesenwissen« zum Sammeln von Gräsern und Kräutern. Der Kurs wird vom Landschaftserhaltungsverband (LEV) Ortenaukreis veranstaltet und erlaubt ausnahmsweise, was sonst tunlichst unterlassen werden sollte: das Betreten der FFH-geschützten Mäh- und Heuwiesen am Rande Biberachs, auf Unterentersbacher Gemarkung. Auf Papierbögen wird das Gesammelte ausgebreitet und unter der diskutierenden Mithilfe der Teilnehmer sortiert, um anschließend bestimmt zu werden.
30 unterschiedliche Funde sind es. »Sie haben schon früh aufgegeben«, stellt Ostermann fest, »wenn wir weiter suchen würden, kämen wir locker auf 50 und mehr Arten.« »Echt?«, fragt jemand ungläubig. »Aber Hallo«, lacht die promovierte Fachfrau. »Aber dazu müsste man vor allem an die Wiesenränder gehen.«
So groß der Artenreichtum: Der Futterwert allerdings ist niedrig, denn dieses unter europäischem Schutz stehende Grünland ist relativ mager. Zur Milch- und Fleischproduktion benötigt ein Landwirt jedoch Viehfutter, das optimaler Weise zu 75 Prozent aus Gras – und zwar aus nährstoff – und eiweißreichen Arten – sowie zu 25 Prozent aus Kräutern besteht. Unter denen wiederum sollten sich zum großen Teil Leguminosen befinden, also Schmetterlingsblütler. Denn die binden über Knöllchenbakterien an ihren Wurzeln zum einen Stickstoff aus der Luft und binden ihn im Boden, zum anderen sind sie sehr eiweißreich.
Zwar finden sich auf Unterentersbachs FFH-Wiesen durchaus Schmetterlingsblütler wie roter und weißer Wiesen- und gelb blühender Hornklee sowie tief lilafarbene Wicken. Dennoch lässt sich auf diesem Grünland kein optimales Viehfutter erzielen, da der Kräuteranteil bis zu 50 Prozent beträgt. Regina Ostermann, die als Brückenbauer zwischen Mensch und Natur fungiert, um das Naturerbe und die Kulturlandschaft in der Ortenau zu schützen, und die Landwirte entsprechend berät, sie auch in Sachen Fördermöglichkeiten unterstützt – Regina Ostermann also erläutert: »Je lückiger eine Wiese, desto mehr Kräuter finden Sie darin.«
Der Grund ist ein einfacher: Kräuter sind aufgrund ihrer tiefer gehenden Wurzeln oftmals Hungerkünstler. Sie kommen mit weniger zurecht und auch mit trockenen Jahren, aber sie brauchen viel mehr Licht. »Deswegen verändert sich der Grasbestand auf so einer Wiese, der ist nicht festgeschrieben.«
Geben Raum: Ober-, Mittel-, Untergräser
Dazu kommt: Gräser sind einkeimblättrig, sie haben ein anderes Fruchtverhalten als Kräuter. Während letztere beim Wachsen meist erst in die Breite gehen, sind Gräser darauf programmiert, in die Höhe zu schießen. Überdies vertragen sie den Schnitt besser und: Bei Stickstoffgaben sind Gräser konkurrenzstärker als Kräuter.
«Wenn Sie hier jetzt ordentlich Stickstoff in die Wiese reinhauen würden, damit es mehr Gräser gibt, dann wachsen diese in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf eng und dichtstehend aneinander hoch«, verdeutlicht die LEV-Frau, »dann sind sie alle gleich ausgebildet und haben keine Strukturierung mehr.«
Genau die aber – die Stukturierung – macht eine artenreiche magere Wiese aus. Will heißen: Hier gibt es Ober-, Mittel- und Untergräser mit sehr vielen Lücken darin, was Raum für die Insektenwelt bedeutet. Hier können sich beispielsweise Heuhüpfer und auch Grillen bewegen, wie deren lautstarker Gesang denn auch verdeutlicht.
Zu den niedrigen Untergräsern gehört unter anderem das sogenannte Ruchgras. Und das gibt mit seinem Gehalt an Cumin – das sich übrigens auch im für Bowle so beliebten Waldmeister findet – dem Heu seinen eigentlichen, typischen Geruch. Was die hochwachsenden Obergräser betrifft: Da findet sich als Leitart in den hiesigen FFH-Wiesen der hier bis zu einem Meter hoch wachsende Wiesenfuchsschwanz. Und der zeigt einen grundwasserbeeinflussten und somit feuchten Standort an, wenngleich wir uns in einem Trockenjahr befinden, dem dritten in Folge.
In nassen Jahren dagegen, wenn der Grundwassereinfluss zunimmt, breiten sich hartstielige Sauergräser wie Binsen beziehungsweise Simsen und Seggen aus, weil sie Feuchtigkeit und Staunässe lieben. Der Landwirt aber liebt sie ganz und gar nicht, da ihr Futterwert gleich Null ist.
Alle Greiskräuter sind giftig – und Überlebenskünstler
Ebenfalls typisch für Feuchtgrünland ist das sogenannte Wasser-Greiskraut. Und das stellt – wie auch das Jakobs-Greiskraut – eine wahre Problempflanze dar. Denn sie ist giftig. Und zwar nicht nur im grünen Zustand, sondern auch getrocknet, also im Heu. »Wenn der Landwirt damit Vieh füttert, das recht alt wird, wie bei Kühen und Pferden der Fall, dann reichert sich der von der Leber nicht abgebaute Giftstoff in dem Organ an«, warnt Regina Ostermann, »und das kann zum Tod führen.
Um so tragischer, dass die eigentlich zweijährige Pflanze ein ausgefuchster Stratege ist. Wird der Blütenstängel nämlich gemäht, dann wird das Kraut mehrjährig, weil es immer wieder versucht, auszutreiben und zu blühen. Hat es dies schließlich geschafft, können sich seine Samen an Flugschirmen, wie man sie vom Löwenzahn her kennt, »super verbreiten, gerne an der Straße entlang, durch den Fahrtwind der Autos.« Von dort aus wird das Greiskraut ins Grünland getragen, gerade in die lückigen und für den Lichtkeimer somit idealen Naturschutzwiesen.
Damit aber nicht genug: Hat das Greiskraut beim Mähen bereits einen Blütenkopf ausgebildet, so mobilisiert die Pflanze aus dem Stängel alle Reserven für eine Nachreife. Auf diese Weise kann der abgemähte und am Boden liegende Stängel dennoch seine Samen, die »Fliegerle«, ausbilden und über die Luft verbreiten.
»In mancher für den Naturschutz wichtig erachteten Wiese ist es so, dass man von Hand hineingeht, um das Greiskraut rauszustechen, weil man ihm mit Mähen nicht beikommt«, weiß Regina Ostermann und unterstreicht das Dilemma: Auf der einen Seite frisst an der Pflanze ein Schmetterling, der relativ selten ist, so dass man dazu neigt, ihn zu schützen. Auf der anderen Seite stellt dieses Kraut für den Landwirt ein großes Problem dar.
Doch Achtung: Eine für feuchte, aber eher ins Trockene gehende Standorte recht typische Pflanze ist der Wiesenpippau, mahnt die LEV-Frau. Und den »verwechseln viele gern mit dem Geiskraut, weil das so ähnliche, löwenzahnartig eingesägte Blätter hat.«