Leserzuschriften stellen die Meinung der Leser dar. Die Redaktion behält sich das Recht der Kürzung vor und übernimmt keine Verant wortung für den Inhalt.
Weihnachten, die Zeit der Nächstenliebe
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und rückblickend bleibt uns vor allem der Krieg in der Ukraine im Kopf. Zu Beginn herrschte noch Entsetzen und Mitleid darüber, dass es überhaupt zu einem Krieg gekommen ist und das auch noch in so unmittelbarer Nähe zu Europa.
Anfangs sah man im Fernsehen Bilder von Willkommensempfängen an Bahnhöfen der deutschen Großstädte. Auch unser Bürgermeister rief dazu auf, Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung schien groß und es war die Rede von Flüchtlingen erster und zweiter Klasse, da es den Ukrainern in vielerlei Hinsicht einfacher gemacht wurde, als beispielsweise 2015 den Syrern.
Mittlerweile hat sich die Einstellung wieder etwas geändert und es wird in Kneipen, beim netten Zusammensitzen im Freundeskreis etc. wieder gemeckert und gelästert.
Ich persönlich finde das sehr schade. Es sind weiterhin Menschen, die ihr Land verlassen mussten und ihre Häuser, Nachbarn und Freunde unfreiwillig zurückließen. Diesen Umstand sollte sich jeder von uns einmal vor Augen führen und sich die Frage stellen, wie es sich anfühlt, sollte man jemals selbst in solch eine Lage kommen.
Nach zwei Jahren coronabedingter, Einschränkungen über die Weihnachtsfeiertage haben wir dieses Jahr nochmals ein ganz anderes Weihnachtsfest gefeiert. An Heiligabend haben wir Mutter und Tochter aus Mariupol, die bei uns untergebracht sind, eingeladen mit uns zu feiern und am ersten Feiertag unsere syrische Patenfamilie, die nun schon seit acht Jahren in Zell heimisch ist.
Mit den Ukrainern gestaltete es sich aufgrund der sprachlichen Barriere noch etwas schwierig und verhalten, dennoch gaben sie sich große Mühe und sangen sogar mit uns klassische deutsche Weihnachtslieder. Wir haben das ukrainische Wort »Sertse« gelernt, was Herz bedeutet und als Zeichen nicht trefflicher das Fest der Liebe beschreiben könnte.
Ganz anders, aber nicht weniger liebevoll, gestaltete sich der erste Weihnachtsfeiertag mit den Syrern. Da die Sprache hier mittlerweile kein Problem mehr darstellt, wurde viel geredet und gelacht und in gemeinsamen Erinnerungen geschwelgt, wie es sich an solchen Festtagen eben auch gehört. Sie waren sehr begeistert vom Fondue, was sie bisher auch noch nicht kennengelernt hatten und somit war es ein kurzweiliger Tag für uns alle.
Dieser Einblick in »unser Fest« soll zeigen, dass es sich lohnt, offen auf andere zuzugehen und nicht gleich von vorne herein Vorurteile zu bilden. Natürlich gibt es schwarze Schafe, aber die gibt es auch in der Nachbarschaft der Einheimischen, oder nicht?
Vielleicht könnten wir alle 2023 ein bisschen offener durch die Straßen gehen und hier und da ein ernstgemeintes Lächeln verschenken. Das kostet bekanntlich nichts und tut uns allen gut.
Anna Müller,
Zell-Unterharmersbach