Ernst und erhebend, zugleich mit frischer Präsenz und polyphoner Gewandtheit interpretierte die Vokalgruppe »TonArt« aus Kenzingen Werke der italienischen Renaissance und des englischen Frühbarock. Das knapp anderthalbstündige, gut besuchte Konzert eröffnete die »Sommermusik«-Saison 2022 in der Evangelischen Kirche.
Das Vokalensemble »erkundet die Spuren einer musikalischen Migration von Orlando die Lasso … bis Henry Purcell« war in der Ankündigung zu lesen. Dem akademisch ambitionierten Anspruch versuchten die Akteure durch Erläuterungen gerecht zu werden, deren Detailfülle an eine Hochschulvorlesung erinnerte, wenngleich Chorleiter Ekkehard Webers ironisch gefärbte Formulierungen das Publikum bestens unterhielten.
Im Kontext des jeweiligen Zeitgeschehens wird »alte« Musik natürlich interessanter, zumal – wenn mit Gesang verbunden – die oft allegorischen und an Metaphern reichen Texte heutzutage befremdlich wirken. So erfuhren die Konzertbesucher, wie mit Beginn der Renaissance in Italien eine ausgeprägte weltliche, nicht länger vorrangig sakrale Musikkultur entstand.
In ähnlicher Weise hatte sich im franko-flämischen Raum in der Tradition der Troubadours eine Vortrags- und Gesangskultur mit dem Höhepunkt der Vokalpolyphonie entwickelt. Diese mehrstimmigen Vertonungen brachten die fünf Sängerinnen und vier Sänger unter der Leitung von Ekkehard Weber am Mittwochabend zum Klingen.
Perfekt gesetzte Spitzentöne
Der Liederreigen begann mit einem Werk des franko-flämischen Meisters Josquin des Prez (1450 – 1521), dessen Text unverkennbar aktuelle Bezüge aufweist: »Scaramella (zieht in den Krieg)«. Ebenso bei »Un altra volta« von Cypriano de Rore (1515 – 1564), wo es übertragen heißt: »Deutschland bläst wieder zum Angriff …«. Der Text entstand vermutlich am Hof Kaiser Karls V., dem de Rore das Werk gewidmet hat. Der Vortrag überzeugte vom ersten Ton an: Die Sängerinnen und Sänger trafen den immanenten Duktus, die gedrückte, latent verzweifelte Stimmung sehr gut. Bedingt durch die Lebensumstände, die häufigen Kriege und Seuchen in jener Zeit bevorzugten Komponisten düstere Themen.
Auch bei der »Liebe« sind die Schattenseiten – Liebesschmerz, Melancholie und Vergänglichkeit in den Liedern stets präsent. »The silver swan« mit dem Bild des sterbenden Schwans, der »zum ersten und letzten Mal« singt, hat Generationen von Poeten und Komponisten inspiriert. Das Madrigal von Orlando Gibbons (1583 – 1625) gehört zu den bekanntesten Werken des englischen Frühbarock. Die Choristen boten es mit klarer Artikulation und perfekt gesetzten Spitzentönen. Besonders schön zeigte »TonArt« seine klanglichen Qualitäten bei Orlando di Lassos (1532 – 1594) Madrigalen »Tutto lo di« und »Come lune di notte«. Immer wieder brandete Beifall des Publikums im Kirchensaal auf.
Elaborierte Ausdruckskraft
Man konnte sich der Magie der Melodien nicht entziehen, was auch Chorleiter Ekkehard Weber zu verdanken ist, der unprätentiös dirigiert und den Stimmen zugewandt agiert. Der weiche Umgang mit dynamischen Wechseln und die eindringliche Tongestaltung machten auch »The mavis« von Henry Purcell (1659 – 1695) zum Hörerlebnis (»Wenn der Drosselhahn süß singt …«). Expressivität und Innigkeit kennzeichneten den betörenden Chorgesang. Fokussiert und präzise der Zusammenklang der Stimmen bei Purcells »If love’s a sweet passion«, wo der Liebende der Leidenschaft huldigt und zugleich die Qual des Verlangens beklagt.
Henry Purcell, neben dem deutschen „Import“ Georg Friedrich Händel der herausragende englische Barockmeister, scheint dem Kenzinger Ensemble hörbar zu liegen, verzeichnet das Programm des Abends (im künstlerisch vorbildlich gestalteten Heft) gleich fünf Titel des schon zu Lebzeiten hochverehrten »Orpheus britannicus«. So glänzte »If music be the food of love« mit meditativen Stimmbildern und einem fein austarierten Gesamtklang.
»Musik wird für eine Weile/ all deine Sorgen vertreiben« (aus Purcells »Music for a while«) klingt wie das gesungene Credo des Chors und die Allegorie auf das Lebensalter von Männern und Frauen bei »The Ape« setzen die Sängerinnen und Sänger perfekt in Szene. Und das mit einer elaborierten Ausdruckskraft, die von langjähriger Erfahrung mit dem Werk und einer intensiven Probenarbeit zeugt.
Dass auch Purcells geistliche Musik, deren vornehmster Bewunderer Händel gewesen sein soll, im Konzert zur Geltung kam, besorgte »TonArt« mit der Motette
»Remember not, Lord …«, wo es in der deutschen Übertragung heißt: »Gedenke nicht, Herr, unserer Sünden, noch der Vergehen unserer Vorväter …«. Zusammen mit der Zugabe war das ein schöner, gleichwohl nachdenklich stimmender Ausklang des Abends in der Evangelischen Kirche und ein gelungener Auftakt der Zeller »Sommermusik«-Reihe.