»Das ist unser Malersaal«, weist Urmar Herrmann, Produktionsleiter der Zeller Keramikmanufaktur, in den riesigen Raum. Die langgestreckte Fensterfront lässt viel natürliches Licht herein. Drei Frauen sitzen an Drehtellern, tunken Pinsel in Farbe, tragen sie ebenso flott wie in höchster Präzision auf. Handmaldekore entstehen auf diese Weise.
»Als ich 1980 hier meine eigene Lehre als Keramaler – so sagen wir zum Keramikmaler – gemacht habe, da waren wir bestimmt an die 50 Maler, das waren noch ganz andere Zeiten«, lacht Herrmann. Denn Männlein und Weiblein saßen damals fein säuberlich getrennt voneinander. »Da gab es eine Männer- und eine Frauenreihe, wie in der Kirche früher, und da hinten war die Meisterkabine«, zeigt der heutige Keramikingenieur an die rückwärtige Wand des schier endlos wirkenden Raumes.
Was er selbst nicht erlebt hat, aber vom Hörensagen her kennt: In der Zeller Keramik, die im hiesigen Raum der wichtigste Arbeitgeber war und in den 1950er Jahren 600 Menschen in Lohn und Brot hielt, galten die Keramikmaler in der Hierarchie der Firmenbeschäftigten dereinst als »High Society«. »Und das zeigten sie wohl auch gerne«, lacht Herrmann. Denn dem Erzählen nach erschienen die der besonderen Kunst mächtigen Herren in Frack und Zylinder zur Arbeit, Fotos zeigen sie während des Umgangs mit Pinsel und Farbe in strahlend weiße Kittel gewandet.
Gänzlich unglamourös hingegen die Ausbildung, wie auch Herrmann sie kennengelernt hat. »Das erste Jahr habe ich gefühlt nichts anderes gemacht als Blättchen vorwärts und Blättchen rückwärts zu malen«, erinnert er sich mit lachendem Grausen an die damaligen Ausbildungsmethoden, »und eine Woche lang Radstoßen, bis alle Finger mit Pflaster um wickelt waren.«
Radstoßen: Damit meint der aus Nordrach stammende Wahl-Biberacher, alle möglichen Artikel auf dem jovial »Scherbenkiste« genannten Drehteller so zu zentrieren, »dass sie beim Drehen gerade laufen«. Dann galt es, die Drehscheibe mit den Fingern anzutreiben – »einfach nur antreiben, ohne zu malen, und das eine Woche lang.«
»Die haben einem früher nicht viel zugetraut, das machen wir schon lange ganz anders«, unterstreicht Herrmann. Als Beispiel dient derzeit Sarah Guest. Mit 40 Jahren ist die gebürtige Irländerin und frühere Alltagsbegleiterin in einem Altenheim zudem eine ganz besondere Auszubildende. »Vor zehn Jahren habe ich in Irland Kunst studiert und wollte nun in diesen Bereich zurückgehen«, erklärt sie.
In der Zeller Keramikmanufaktur absolviert sie ihren Praxisteil, den Blockunter rricht in der Berufsschule jedoch besucht sie in Selb – das liegt in Bayern, an der Grenze zu Thüringen und Tschechien. Was zeigt, wie rar die Ausbildungsmöglichkeiten geworden sind. »Industriekeramiker mit Fachrichtung Dekoration« lautet die Berufsbezeichnung inzwischen. Der Keramikmaler gelte heutzutage zwar als Industriefacharbeiter. Auf der anderen Seite aber handele es sich um einen sehr alten, wenngleich aussterbenden Handwerksberuf, so Herrmann. Und gerade die Manufaktur in Zell sei eine der nur noch sehr wenigen Firmen mit dem Schwerpunkt Handmalerei, »überall sonst wird vorwiegend gedruckt.«
»Es wird immer Menschen geben, die Keramik herstellen und Keramik dekorieren«, glaubt der 60-Jährige, »allerdings nicht mit dieser handwerklichen Basis, die wird über kurz oder lang aussterben.« Umso wichtiger ist es dem Herzblutkeramiker, im Rahmen einer Ausbildung auch altes handwerkliches Know-How zu vermitteln, damit es nicht verloren geht. Bestens eignen sich dafür Traditionsdekore der Zeller Keramik, wie das anmutig-bunte »Favorit«. Auf der Pariser Weltausstellung anno 1900 mit der Goldmedaille ausgezeichnet, war es ein Jahr zuvor von Elisabeth Schmidt-Pecht entworfen worden. Die aus dem Bodenseeraum stammende Künstlerin war laut Herrmann »eine sehr angesagte Person und in der Jugendstil-Kunsthandwerkszene sehr bekannt«, für die Zeller Keramik entwarf sie einige zur damaligen Zeit hoch moderne Dekore. »Favorit« hat bis heute überlebt.
Die Keramikmalerin Kers tin Rezgui (54) zeigt, wie dieses Dekor mit seinen Blüten und filigranen Bögen auf den Scherben gelangt. Ein »Scherben« ist Keramik, die bei niederer Temperatur ein Mal gebrannt wurde, dadurch noch porös ist und gut saugt, die Farbe also gut hält.
Die stilisierten Blüten werden per Schablonen aufgebracht, die von der Malerin mit der Hand aus Blech ausgeschnitten werden. Bei der Platzierung dient das Relief des Tellers als optische Hilfe. Da das Muster sehr grafisch und überaus regelmäßig wirkt, sollte man als Laie meinen, dass die kleinste Unregelmäßigkeit sofort auffällt. »Nö«, schmunzelt Herrmann trocken, »nicht wirklich.« Was daran liegt, dass das menschliche Auge den Gesamteindruck automatisch zusammenfügt. »Natürlich – wenn man anfängt zu schmieren, dann geht das nicht, man muss schon exakt sein. Aber wenn die Linien mal um ’nen zehntel Millimeter nicht ganz parallell sind, dann geht das in der Gesamtwirkung unter.« Mehr noch: Das gibt dem Ganzen das, was das Handgemalte ausmacht, »s gibt ihm Lebendigkeit, ein bisschen Esprit.«
Weil aber »Schmieren« wie erwähnt ein absolutes No-Go ist, lehrt Herrmann unbedingte persönliche Hygiene beim Arbeiten. Die jedoch hat nichts mit Corona zu tun. Sondern damit, dass die den Pinsel haltende und somit möglicherweise farbverschmierte Hand niemals den Scherben berühren darf. Umso mehr, als sich sehr feine Verschmutzungen unter Umständen erst zeigen, wenn der Scherben nach dem Aufbringen des Dekors in Glasur getaucht und bei nun höherer Temperatur zum zweiten Mal gebrannt wurde – »dann sieht man da vielleicht auf einmal einen Fingerabdruck«, erklärt Herrmann. »Deswegen bin ich immer am Predigen: Es gibt die Pinselhand und es gibt die Warehand.«
So auch hat es die Zeller Keramikmalerin Erika Börsig (63) gelernt. Sie malt den »Altländer Apfel«, für einen Kunden aus Hamburg. Dazu gehört, mit dem Pinsel auf dem sich auf der Scheibe drehenden, gut zentrierten Teller Ringe aufzubringen, die sowohl in der Breite als auch in der Farbstärke gleichmäßig sind, »das sieht einfacher aus, als es ist.« Und natürlich beherrscht ein Keramikmaler verschiedene Schriften ebenso wie das Entwerfen von Dekoren oder gar das Umsetzen von Fotoporträts auf Keramik. Herrmann achtet zudem darauf, dass man in der Ausbildung auch die übrigen Produktionsstufen kennenlernt.
INFO
Keramikmaler
Die Dekore, mit denen die Maler Keramikprodukte verzieren, werden im manuellen oder teilmechanisierten Verfahren aufgebracht und im Brennofen eingebrannt. Ob ihrer künstlerischen Arbeitsweise hatten Keramikmaler noch bis vor wenigen Jahrzehnten eine Sonderstellung.