Dass man Überraschendes erwarten konnte angesichts der Akteure – Dieter Benson (Klavier) und Heike Thoma (Querflöte) – stand bei der 3. »Sommermusik« außer Frage. Und nach Ende des Konzerts in der Evang. Kirche war klar: Ein starker Abend, der auf der Basis spätromantischer Klänge Welten berührt und das Publikum in den Bann gezogen hatte.
Mit den Kompositionen wolle man den musikalischen Zauber der Belle Epoque einfangen, sagte Heike Toma zu Beginn des Konzertabends. Zeit zum Träumen und Eintauchen in eine betörende Klangwelt, deren Melos und Stimmungen oft mit dem Impressionismus in der Malerei verglichen werden. Das Farbenspiel der Töne fügt sich in ein dynamisch fein abgestimmtes Ganzes ein: fließend, schwerelos.
Philippe Gaubert war als Flötist an der Pariser Oper und Komponist ein beseelter »Melodienfahnder«, der auch aus dem Fundus fremdländischer Musikkulturen schöpfte. Bei »Sicilienne« wirkte das Zusammenspiel von Klavier und Flöte von Beginn an lebendig und vielfältig. Benson und Thoma agierten mit viel Aufmerksamkeit füreinander und mit einer übereinstimmenden musikalischen Vorstellung, deren Umsetzung bestens gelang.
Das zeigten auch die drei Sätze von Jules Moquets »Flute de Pan« aus dem Jahr 1906. Wie schon der Titel andeutet, ist Moquets Werk von seiner Affinität zum antiken Griechenland geprägt. Wie bei der Programmmusik ziehen sich die perlenden Flötenläufe und dezenten Klavierakkorde durch »Pan et les bergeres«. Die Flöte jubiliert, phrasiert beim Intro von »Pan et les oiseaux«, während sie Vogelstimmen nachahmt. Virtuos und mit Verve intoniert das Duo die temperamentvollen Passagen von »Pan et les nymphes«. – Und immer wieder spontaner Beifall des Publikums.
Losgelöst vom Primat des Metrums
Nach einer weiteren bezaubernden Gaubert-Miniatur (»Orientale«) absolvierte Dieter Benson ein brillantes Solo: »Genossienne« von Erik Satie versprüht mit farbschillerndem Klang Leichtigkeit und Grazie. Die umsichtige Interpretation des Pianisten machte zudem deutlich, welch singuläre Stellung der französische Komponist mit irischen Wurzeln bis heute innehat. Satie liebte die Kürze, die liedhafte Struktur und ist auch als Schöpfer von Chansons bekannt. Das kam Benson durchaus gelegen, konnte er doch seine ausgesprochen dezente pianistische Anschlagstechnik demonstrieren.
Auch bei »Arabesque« aus der Feder von Saties Zeitgenossen und musikalischem Wettstreiter Claude Débussy erwies sich Benson als subtiler Melodiker, zwar mit deutlich impulsiverem, aber stets vornehm gezügeltem Klavierspiel.
Claude Débussy gilt in der Musikwelt als »Bindeglied« zwischen Romantik und Moderne. Und Elemente der Neuen Musik dominierten auch Heike Thomas Flötensolo »Syrinx«. Stilistisch schwerelos, losgelöst vom Primat des Metrums entzückten schon die ersten sehr verhaltenen Töne, gefolgt von atemberaubenden Läufen, glasklaren Trillern ohne grellen Schimmer. Mit leichtem Körpereinsatz akzentuierte Thoma ihr Flötenspiel optimal. Besonders gelungen waren die finalen Klänge und deren überzeugende Metamorphose in leise, fast gehauchte Flötentöne.
Wieder als Duo vereint, interpretierten Benson und Thoma »Madrigal«, eine weitere Komposition von Gaubert – besinnlich, subtil und mit Anmut. Die perfekte Überleitung zu Gabriel Faurés »Fantaisie«: Zwei Sätze, bei denen die Hörer in der Kirche die beiden Instrumentalisten gleichermaßen empfindsam (Andantino) und zupackend beherzt (Allegro) erlebten. Das Bemerkenswerte an dieser Gänsehaut erzeugenden Musik ist ihre Reduktion auf den emotionalen Kern, der mal umspielt, intensiviert und dann wieder leicht gedimmt wird. Eine Musik, in der Emphase und Leidenschaft ihren Ort haben; sehr zur Freude des Publikums.
Dessen reicher, anhaltender Beifall wurde mit einem vor allem von Flötisten geliebten Kabinettstück als Zugabe belohnt: »L’Arlésienne« von Georges Bizet ging den Hörern wahrlich zu Herzen. Noch einmal ein Riesenbeifall, als Kirchengemeinderätin Martina Wetzel den beiden Künstlern die »Sommermusik«-Rosen überreichte. Es blieb, wie eingangs erwähnt, der Eindruck eines großartigen Konzerterlebnisses.