Trotz coronabedingter Anmelde- und Maskenpflicht konnte Kirchengemeinderat Michael Horst namens der Veranstalter – Evangelische Kirche und Stadt Zell a. H. – zahlreiche Besucher willkommen heißen. Offenbar überwog nach langer Zwangspause die Vorfreude auf das erste Konzert der »Sommermusiken 2021«.
Die als »The Baroque Experience« betitelte Einladung befremdete zunächst, fühlt man sich damit doch eher an die Pop-Rocker vom Schlage eines Ian Anderson erinnert, dessen »Jethro Tull« – Projekt sich ungeniert mit musikalischen Anleihen beim Barockmeister Bach in die internationalen Hitparaden spielte und damit alle Jahre wieder durch die Lande zieht.
Am Mittwochabend kam es beim Konzertauftakt zum Glück anders: Birgit Schwab (Laute) und Daniel Ahlert (Mandoline) halten sich an die Originale. Notengetreu, konzentriert und mit großer Spielfreude intonieren beide die »Sonate D-Dur« von Antonio Vivaldi. Bis man sich an die leisen Töne gewöhnt und das filigrane Saitenspiel verinnerlicht hat, bedarf es genauen Hinhörens. Dann lässt sich bei den dezenten rhythmischen Akzenten, den perlenden Arpeggien und virtuosen Soli der große musikalische Bogen erkennen, den das Duo über die einzelnen Sonatensätze legt. Ein Hörgenuss sondergleichen.
Das klangliche Sensorium der beiden Instrumentalisten ist herausragend, zusammen mit dem technischen Können und der interpretatorischen Reife. Vom einen auf den anderen Moment gelingen ihnen neue Farben, werden die Wiederholungen in feinfühliger Schlichtheit durchgestaltet. Vom Publikum gab es dafür reichen Beifall.
Historische Instrumente und barocker Gestus
Das Duo spielt auf originalgetreuen Nachbauten historischer Instrumente. Birgit Schwab verwendete am Mittwochabend bei drei Stücken die langhalsige Erzlaute mit den volltönenden Basssaiten, beim Finale die barocke Knickhalslaute. Daniel Ahlert musizierte auf der Barockmandoline, deren Saiten er für gewöhnlich mit einem hölzernen Plektrum anschlägt. Das Zusammenspiel der beiden Instrumentalisten ist perfekt aufeinander abgestimmt. Das Ergebnis jahrzehntelanger Konzerterfahrung.
Esprit Philippe Chédeville kennt heute kaum jemand mehr. Seinerzeit war der 1696 geborene Komponist als Dudelsackpfeifer am Hof des ‚Sonnenkönigs‘ Ludwig XIV. hochgeschätzt. Die »Sonatille Cinquième, op. 6« verströmt in der Tat den Esprit, der sich mit seinem Namen verbinden lässt: unablässig fließend und ereignisreich, expressiv. Schwab&Ahlert musizieren mit Feingefühl, bündig vereinigen sich in ihrer Interpretation Überraschungsmomente und Reflexion.
Mit Baldassare Galuppis »Sonate G-Dur« kam ein weiterer Gestus barocker Feierlichkeit auf. Der Venezianer gilt zusammen mit seinem Partner Carlo Goldoni als stilbildender Opernkomponist (Opera buffa) und hat ein beachtliches kirchenmusikalisches Alterswerk geschaffen. Die drei Sätze der Sonate mit ihren liedhaften Melodien begeisterten das Publikum. Jeder melodische Bogen, jeder Moment war spannungserfüllt. Tonschönheit ist bei Schwab&Ahlert fraglos Ehrensache.
Für jeden Satz eine eigene Welt
Anekdoten erzählen vom Zusammentreffen Johann Sebastian Bachs mit Sylvius Leopold Weiss, bei dem die beiden Musiker sich gegenseitig in ihrer Improvisationskunst befeuerten. Immerhin galt Weiss damals als bester Lautist Europas und war mit rund 600 Kompositionen für Kammermusik überaus produktiv. Die »Sonate 14 in g-moll« begann mit einem langsamen, besinnlichen Adagio und endete mit einer nuanciert melodischen Charconne. Für jeden der sechs traditionellen Tanzsätze schuf das Duo eine eigene Welt. Vielfältige Klangkombinationen, transparent und makellos dargeboten bis zum dezenten Flageolett der Mandoline am Schluss. In summa: eine Harmonie nach Noten.
Über den wohlverdienten, langen Beifall freuten sich Birgit Schwab und Daniel Ahlert. Zugleich erklatschte sich das Publikum damit eine Zugabe. Jean Philippe Rameaus kleine musikalische Preziose glänzte durch den für die Werke des französischen Barocks typischen leichten und eleganten Ton.
Ein großartiger Auftakt der Zeller »Sommermusiken« anno 2021, der in der schönen Tradition – jede Künstlerin und jeder Künstler erhält eine weiße Rose – wieder ein Stück ‚Normalität‘ in diesen schwierigen Zeiten bedeutet.