Für einige Wochen übernimmt Prädikant Gottfried Zurbrügg gerade wieder die Vertretung in Jerichow. Er berichtet für unsere Leser von seinen Erfahrungen und Erlebnissen in Sachsen-Anhalt:
Gestern haben wir es versucht. Wir sind hier, um das Kloster zu unterstützen, aber auch, weil wir die Landschaft mögen und uns hier richtig wohlfühlen. Wir haben ein bisschen Zeit gebraucht, um anzukommen. Das weite Land ist so ganz anders als unsere Heimat im Schwarzwald. Wenn man über Land fährt, sieht man schon kilometerweit voraus einen Kirchturm und fährt darauf zu. Für Jahrhunderte waren die Kirchtürme die Orientierungsmarken.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden riesige Kieferwälder angelegt, um die verwüstete Landschaft intensiv zu nutzen. Auf den Sandböden war die Kiefer der geeignete Nadelbaum. Solange es genügend regnet. Die weiten Wälder sind wunderbare Orte zum Wandern und Natur erleben. In der DDR Zeit wurden die Bauernhöfe zu LPG, landwirtschaftlichen Produktionsgemeinschaften, zusammengeschlossen. Dadurch entstanden große Flächen, die gemeinsam bewirtschaftet wurden. Nach der Wende wurden die Großbetriebe aufgelöst und Investoren kauften große Flächen auf. Betriebe aus Dänemark und Holland bewirtschaften hier die Felder mit großen Maschinen. Vieles erinnert an Amerika.
Wie Inseln liegen die Dörfer dazwischen. Die Bevölkerung hat Gärten, die genutzt werden, aber keine Arbeitsplätze mehr vor Ort. Die Bewohner fahren in die größeren Ortschaften, oft viele Kilometer mit dem Auto oder mit der Bahn. Aber sie leben in ihrem Dorf.
Es lohnt sich, die Dörfer und Landschaften zu entdecken. Man muss sich Zeit nehmen. Das ist das Wichtigste. Die Landstraßen sind wichtige Verkehrsadern. Auf ihnen fahren Tag und Nacht die großen Warenströme. Aber schon ein wenig abseits wird es ruhig und still. Die Natur hat es nicht einfach, aber es gelingt Pflanzen und Tieren sich immer wieder Inseln zu schaffen, in denen sie überleben können. Die Altarme der Flüsse, besonders der Elbe und der Havel sind immer noch da und Lebensräume für seltene Tiere und Pflanzen. Plötzlich hört man die Unken und Frösche wieder aus den Teichen rufen. Dann klingt der Ruf es
Kuckuck. Oder gar ein Pirol, der gelbe Zugvogel, der erst im Mai kommt und im Juli schon wieder fortfliegt, ruft sein »Bülow« aus den Baumwipfeln. Es ist unglaublich, was man alles hören kann, wenn man abseits der großen Straßen das Land entdeckt.
Ich habe nicht wenig gestaunt, wie viele Vögel und Insekten hier ganz heimlich vorhanden sind und darauf warten, wieder mehr Lebensraum zu haben. Weithin sichtbar sind die vielen Storchennester, die auch hier Schmuckstücke für die Dörfer sind.
Versteckt brüten die Kraniche. Man hört sie nur rufen.
Wenn man Zeit hat, dann wird das eigentliche Leben wie ein Hintergrundbild deutlich.
Vordergründig ist auch hier der Lärm der Straßen, das Internet, das die moderne Welt verbindet.
Aber bei Ruhe und Stille wird die ganze Weite des Lebens und auch der Geschichte wieder erlebbar.
Wir hatten Zeit am Strand der Elbe auszuruhen. Früher war die Elbe ein wichtiger Wasserweg. Überall erinnern Bilder daran. Aber sie ist ein Fluss mit stark wechselndem Wasserstand, denn sie kommt nicht aus den Alpen. Die alte Schifffahrt war mit breiten Kähnen mit geringem Tiefgang und Schaufelrädern daran angepasst. Viele Kanäle durchziehen das Land und waren früher wichtige Wasserwege. Aber die moderne Wirtschaft verlangt schnelle und immer zuverlässige Transportwege und dafür sind nur Straßen geeignet.
Die Elbe und die Kanäle sind im Schlaf versunken. Im Oberlauf in der Tschechei ist die Elbe ein wichtiger Wasserweg. Aber im Mittellauf ist sie ein ruhiger Fluss, an dem man herrlich entspannen kann.