Sobald der neue Rathaus-Umbau fertiggestellt ist, beginnt für die Renovierung des alten Rathauses der Umzug. Beim Vorbereiten ist Ludwig Börsig in seinen letzten Amtstagen auf die Fahne des ehemaligen Zeller Militärvereins gestoßen. Er übergab das eindrucksvolle Stück dem Bürgerwehr-Kommandanten Paul Gutmann zur Reinigung. Der reichte es nun weiter an Heinz Scherzinger, der das Zeit-Dokument im Museum der Öffentlichkeit zeigen will.
Die eine Seite der Fahne enthält die Widmung: »Dem Militär-Verein Zell a. H., 1876, Gestiftet von Frauen und Jungfrauen«. Die Schrift rankt sich um den Reichsadler. Dieser findet sich auch auf der anderen Seite; hier mit dem Spruch »Mit Gott für Kaiser und Reich.« Zum Fund gehören zwei Fahnenschleifen, welche gleichfalls von »Frauen und Jungfrauen« überreicht wurden. Die eine trägt die Jahreszahl 1863 und erinnert an das 50-jährige Stiftungsfest 1813. Die zweite Schleife wurde 1913 überreicht und erinnert so an das 100-jährige Stiftungsfest.
Paul Gutmann hält dafür, dass Militärverein und Bürgerwehr nicht dasselbe sind. Deshalb reklamierte er die Fahne auch nicht für die Kammer der Bürgerwehr. Damit liegt er wohl richtig. Die Bürgerwehr hat sich aus der ortsüblichen Schützengilde entwickelt. Diese kämpfte 1848 und 1849 mit den Freischärlern für die Abschaffung der Monarchie. Nach der Niederschlagung des Aufstandes durch die vom Großherzog herbeigerufenen preußischen Truppen, wurde die »Bürgerwehr« daher verboten. Erst als sich der Rauch der Revolution verzogen hatte, wurde die Schützenformation wieder erlaubt, mit der Auflage, sich mit der Verschönerung kirchlicher und weltlicher Feste zu begnügen.
Die entdeckte Fahne wurde 1876, fünf Jahre nach der Neugründung des Deutschen Reiches, in Auftrag gegeben. Vorausgegangen war ein Einfall der Deutschen in Frankreich mit der Ausrufung des Deutschen Kaisers, ausgerechnet im Vorzeige-Schloss Versailles. Diese Demütigung haben die Franzosen nicht vergessen. Der Versailler Friedensvertrag nach dem Ersten Weltkrieg, den die Deutschen verloren haben, trug daher die Handschrift der Vergeltung.
Zunächst aber haben die Deutschen den Sieg über Frankreich 1870/71 genossen. Schließlich hatten die Deutschen danach wieder ein geeintes Reich und dazu das Elsass-Lothringen gewonnen. In diesem Hochgefühl wiegten sich wohl die Kriegsteilnehmer des Zeller Militär-Vereins, als sie sich die stolze Fahne zulegten. Der Verein hatte offensichtlich schon länger bestanden. Immerhin hatte man 1863 schon das 50-jährige Stiftungsfest gefeiert. Die Veteranen knüpften an den Sieg über Napoleon im Jahre 1813 an.
Das Bekenntnis »Mit Gott für Kaiser und Reich« zeigt nicht nur die Begeisterung der Veteranen für den Kaiser, sondern auch die Verbeugung vor der Religion. Die Verknüpfung von Religion und Politik ist heikel. Bei den Franzosen hat sich die Trennung zwischen Staat und Kirche durchgesetzt. In Deutschland setzt man seit der Verfassung von Weimar auf Anerkennung, Zusammenarbeit bei Wahrung der Eigenständigkeit. In den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts prägte der Politologe Eric Voegelin den bedenkenswerten Satz: »Wer die Religion verkennt, kennt die Politik nicht«. Wo die Religion vertrieben wurde, zog vielfach eine knallharte Ideologie ein.
Ob der künftige Besucher des Storchenturm-Museums sich mit dem Wahlspruch des einstigen Militärvereins auseinandersetzen möchte, bleibt ihm überlassen. So oder so erinnert die Fahne des Vereins an eine ungetrübte Begeisterung, die nach zwei verlorenen Weltkriegen zumindest bei den meisten Deutschen nicht mehr aufkommt.