Jeder, der zur Zeller Wallfahrtskirche »Maria zu den Ketten« geht, kennt den Gnadenbrunnen. Zwei Lindenbäume geben der Muttergottes, geschaffen aus heimischen Sandstein, Schutz und prägen dieses eindrucksvolle Bild. Jetzt hat die Kapuziner des Klosters als Hüter der Wallfahrt und der Wallfahrtskirche ein Schock getroffen. Der linke Lindenbaum ist stark beschädigt und muss weg.
Im Halbkreis davor führen Sandsteinstufen hinab zum Brunnen. Seit dem frühen Mittelalter bis heute kommen Pilger mit Augenleiden, um mit dem Brunnenwasser nach alter Überlieferung die Augen zu benetzen, damit sie wieder mit dem Segen Marias gesund werden.
Doch nicht alles wird oder bleibt automatisch gesund, nur weil er am Gnadenbrunnen ist. Der linke Lindenbaum wurde vermutlich irgendwann einmal von einem Fahrzeug angefahren. Dadurch scheint die Rinde breitflächig verletzt worden zu sein. Manuel Wieber, Bausachverständiger, hat den Baum untersucht und er kam zu folgendem Ergebnis: Große Schäden am und im Innern des Stammes und der starke Befall mit dem Austerseitling, der raschen Holzabbau verursacht, machen einen Fällung unumgänglich. Der Baum ist in diesem Zustand nicht mehr verkehrssicher. Der Baum muss so schnell wie möglich weg, um Schäden an Menschen oder Fahrzeugen zu vermeiden.
Guardian Bruder Markus und Wallfahrtsseelsorger Bruder Berthold haben schweren Herzens die schnelle Fällung des Baumes durch eine einheimische Spezialfirma veranlasst. Bruder Markus seufzt: »Das wird teuer. Wir rechnen mit rund 1.000 Euro.« Um das schöne Bild wiederherzustellen soll aber bald wieder eine neue Linde an der Stelle gepflanzt werden. Bruder Markus: »Vielleicht unterstützen uns die Pilger und die Freunde der Wallfahrtskirche. Dann können wir schon einen größeren Baum pflanzen.«
Info
In Mitteleuropa haben Lindenbäume eine lange Kulturgeschichte und sind fester Bestandteil vieler Mythen und Sagen. Schon bei den Germanen galten sie wegen ihres enormen Alters (bis zu 2.000 Jahre) als heiliger Baum. In der Nibelungensage kommt der Linde sogar eine entscheidende Rolle zu: Beim Bad des Siegfrieds in Drachenblut fällt ein Lindenblatt zwischen seine Schulterblätter und verhindert so seine Unsterblichkeit. Viele Orte hatten eine Dorflinde, wo man sich zu politischen Abstimmungen oder zu Hochzeitsfeiern traf. Darüber hinaus wurde im Mittelalter Recht gesprochen. So war es auch an der Gerichtslinde bei der Michaelskapelle im Ortsteil Grün. Dies zeigt die hohe Bedeutung dieser Baumart. Nach Kriegen (oder Epidemien) gab es den Brauch, sogenannte Friedenslinden zu pflanzen. So erinnern die meisten erhalten gebliebenen Lindenbäume heute an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71.