Um das Jahr 1800 vermochte ein Bauer zusätzlich zu seiner Familie gerade mal drei Menschen zu ernähren. Eine nennenswerte Mechanisierung in der Landwirtschaft setzte erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts ein. Diese Entwicklung verdanken wir in Europa einigen Pionieren, von denen Heinrich Lanz (1838 bis 1905) wohl einer der bedeutendsten gewesen sein dürfte.
Der Spediteurssohn besuchte die Handelsschule in Stuttgart. Nach ersten kaufmännischen Auslandserfahrungen in Marseille trat er ins Geschäft seines Vaters ein. Neben dem Fuhrgeschäft handelte Johann Peter Lanz mit Steinkohle, Sämereien und Maschinenölen. Lanz Junior brachte frischen Wind ins Geschäft. Der junge Heinrich setzte auf die Einfuhr englischer Landmaschinen. 1860 verkaufte er die Erste c. Dabei handelte es sich um eine Dreschmaschine, welche per Riemen von einer Dampflokomobile angetrieben wurde. Dampflokomobile, das sind Dampfmaschinen mit Fahrgestell. Die ersten Lokomobile wurden von Pferden gezogen. Später waren auch selbstfahrende Dampfmaschinen auf den Straßen und Feldern zu sehen. In Mannheim begann man mit der Herstellung von Futterschneid- und Dreschmaschinen für den Hand- und Pferdegöpelantrieb. 1869 ging der erste Dampfpflug Marke John Fowler an die Zuckerfabrik Waghäusel. Auf den 3.000 Morgen (4 Morgen = 1 Hektar) großen Gütern pflügte man damit täglich bis zu 3 Hektar 35 Zentimeter tief. Lanz wandte sich selbst dem Lokomobilbau zu und konnte bald komplette Dampfdreschsätze aus einer Hand liefern. Er lieferte nach Österreich-Ungarn, Holland, Belgien, in die Schweiz, Russland, Italien und Frankreich, später auch nach Algerien, Syrien, Mexiko, Südamerika und China. Heinrich Lanz & Co. avancierte zum größten Unternehmen in Baden und war bei weitem der größte Landmaschinenhersteller auf dem europäischen Festland. In Breslau, Berlin, Köln, Leipzig, Königsberg und Rostow am Don wurden Filialen eingerichtet. Der Lokomobilbau entwickelte sich zum wichtigsten Geschäftszweig der Firma, geriet jedoch noch vor dem ersten Weltkrieg in Konkurrenz zu den Diesel- und Elektroantrieben. 1907 beschäftige Lanz 3.700 Mitarbeiter, es waren die bestbezahlten in Mannheim. Auf der Weltausstellung in Brüssel stellte Heinrich Lanz (HL) die 25.000ste Lokomobile aus. Mit 1.000 PS war sie die größte der Welt.
Schlepper für Feld und Straße
Mit dem beginnenden 20. Jahrhundert ging von den Luftschiffen des Grafen Zeppelin eine einzigartige Faszination aus. Die Leute träumten von komfortablen Flugreisen nach Amerika. Nachdem die Verbesserungsvorschläge des Experten Johann Schütte vom Grafen abgelehnt wurden, kam es 1909 zu einem Vertrag zwischen der Firma Lanz und Schütte. In Mannheim-Rheinau wurde eine Luftschiffwerft eingerichtet. Nach etwa 50 Probeflügen wurde 1912 das Luftschiff SL1 für 550.000 Mark an die Heeresverwaltung verkauft. Bis 1918 entstanden bei Lanz 22 Luftschiffe.
Es ist der Bulldog, welcher heute noch die Erinnerung an den Namen Lanz wach hält. Mit dem Lanz-Bulldog wurde 1921 auf der DLG-Ausstellung in Leipzig der erste Rohölschlepper der Welt vorgestellt. Bei seiner Entwicklung folgte der Konstrukteur Dr. Fritz Huber dem Leitsatz »Der Motor des Bauern kann nicht einzylindrig genug sein”. Der Typ HL war nur mit dem Notwendigsten ausgestattet. Mangels Elektrik konnte er weder Beleuchtung noch Elektrostarter vorweisen. Der liegende Glühkopfmotor arbeitet nach dem Zweitaktprinzip und leistet zwölf PS. Dabei wird der Kraftstoff in eine ungekühlte Kammer eingespritzt. Der sogenannte Glühkopfmotor kann mit Rohöl, Braunkohlenteeröl, Gasöl, Paraffinöl, Petroleum, Pflanzenöl, Diesel und Spiritus betrieben werden. Gestartet wird mit Lenkrad und Heizlampe.
Dazu wird die Lenksäule mit dem Holzlenkrad nach oben aus der Führung gezogen und in eine zentrale Bohrung am Schwungrad gesteckt. Die Düse der brennenden Heizlampe wird in die unter dem Ventildeckel befindliche Glühnase gerichtet. Nach einigen Minuten nimmt man die Lampe vom Halter und löscht diese. Beide Hände umfassen das Holzlenkrad und pendeln mit der Kurbelwelle, bis die Maschine mit mächtigem Stampfen ihre Arbeit aufnimmt. Nun gilt es entschlossen das Lenkrad abzuziehen, bevor es dem Chauffeur um die Ohren fliegt. Der Ur-Bulldog vom Typ HL war mit Vollgummibereifung, Eisenräder, als Lokomobile oder als Bootsmotor erhältlich. Er kostete 3.500 Mark und wurde bis 1929 6.030 mal gebaut. Am 10. November 1924 veranstaltete Lanz eine Leistungsfahrt mit zwei Bulldogs. Die Reise führte von Mannheim nach Berlin, das sind mehr als 1.100 Kilometer. Die Maschinen fuhren bei Tag und Nacht ohne Unterbrechung über Frankfurt, Gießen, Kassel, Paderborn, Bielefeld, Minden, Hannover, Hildesheim, Braunschweig, Halberstadt, Magdeburg, Brandenburg und Potsdam. Bei Landwirtschaft und Gewerbe fand der Bulldog reißenden Absatz. Ab 1929 waren die Schlepper aus Mannheim auch mit Sechsganggetriebe, Luftbereifung und Kabine zu haben. 1934 folgte die Bulldograupe als Raupenschlepper. Eilbulldogs mit 55 PS und zwei Anhänger waren auf den Fernstraßen unterwegs. 1942 lief der 100.000ste Bulldog vom Band. 1945 fielen die Lanz-Werke in Schutt und Asche. Mit dem Segen der Amerikaner wurde kurze Zeit später die Ersatzteilproduktion wieder aufgenommen. Im Neufahrzeuggeschäft wurde 1952 der legendäre Glühkopfmotor durch einen Reihenmotor ersetzt. 1953 rollte der 150.000ste, 1956 der 200.000ste Bulldog vom Band. Das 150.000ste Jubiläumsfahrzeug gelangte in einer feierlichen Überführungsfahrt auf eigener Achse an seinen Einsatzort Munzingen bei Freiburg (Breisgau). 1956 erwarb die »Deere and Company Moline« die Aktienmehrheit der Firma Lanz. Die Bulldog-Ära ging zu Ende. Lanz Bulldog mit Glühkopfmotoren gelten heute als Kultobjekt in der Schlepperszene. Erzeugnisse aus dem Hause John Deere zählen zu den Spitzenprodukten am Weltmarkt. Sie tragen dazu bei, dass ein Landwirt heute 115 Menschen ernähren kann.
Wohltätiger Pionier
Der Landmaschinenpionier Heinrich Lanz hat die volle Blüte seines Unternehmens nicht mehr erlebt. Er starb am 1. Februar 1905 im Alter von 66 Jahren. Ganz Mannheim trauerte. In der Familie und gegenüber seinen Mitarbeitern galt er als strenger und gleichsam sparsamer Vater und Chef. Sein soziales Engagement bei der Familienunterstützung und im Krankheitswesen war vorbildlich. Zu seinem 60. Geburtstag schuf er die »Julia und Heinrich Lanz Stiftung« und stattete diese mit einer Million Mark aus. 1897 gründete er eine Arbeitslosenkasse für entlassene Lanz-Arbeiter. In seinem Testament stellte er insgesamt vier Millionen Mark für wohltätige Zwecke zur Verfügung. Dazu gehörte der Bau des Heinrich-Lanz-Krankenhauses, welches von seiner Ehefrau geführt wurde.








Schlepperfest im Renchtal
Alle drei Jahre veranstalten die Renchtäler Schlepperfreunde ein großes Schleppertreffen in Bottenau. Unter den Freunden alter Landtechnik ist Bottenau Kult. Die Vorbereitungen beginnen schon im Herbst des Vorjahres mit der Lese des Festweines. In Erwartung des Treffens wird auf den Bauernhöfen geschlachtet und Brot gebacken. Das Wochenende vom 5. zum 6. Juni 2021 werden Festtage für alle Sinne sein. Zu sehen sind alte Schlepper und historische Landbaugeräte aller Marken. Holzvergaserfahrzeuge drehen ihre Runden. Auf der Sternfahrt ins badische Rebland sind Besucher mit Bau- und Schäferwagen teilweise eine Woche lang unterwegs. Mehr Informationen unter www.renchtaeler-schlepperfreunde.de.