Das Grundstück Nr. 6 von Zell am Harmersbach im Pfarrhofgraben 4 ist ein Teil der Stadtgeschichte. Seit dem Jahr 1930 beherbergt es die Druckerei der »Schwarzwälder Post«.


Der verstorbene Heimatforscher Thomas Kopp hat in einer umfassenden Arbeit, die im Jahr 1973 erschienen ist, die Bebauung des Grundstücks und die späteren Besitzer des Hauses erforscht. Die gelungene Sanierung des Wohn- und Geschäftshauses gibt heute den Anlass dafür, die 194-jährige Hausgeschichte – zumindest in Auszügen – erneut in Erinnerung zu rufen.
Als verlässliche Quellen für seine Arbeit nennt Thomas Kopp das Grundbuch der Stadt Zell, Band 2, die Disch-Chronik sowie Berichte aus der Schwarzwälder Post. Beim Suchen der Grundlagen für die Haus-Geschichte in den Akten der Stadt Zell waren ihm Archivar R. Hahn und Ratschreiber J. Isenmann behilflich.
Besonders lebendige Schilderungen von Personen, die in den vergangenen knapp zwei Jahrhunderten die rechtmäßigen Besitzer des Hauses Pfarrhofgraben 4 waren, stammen aus der Feder des Schriftstellers Heinrich Hansjakob. Nun aber lassen wir Heimatforscher Thomas Kopp sprechen:
Rabenwirt Nepomuk Lechleitner und seine Frau Magdalena Nittinger
Das Grundstück Nr. 6 war verhältnismäßig lange unbebaut, was leicht erklärlich ist, da es ja außerhalb der Stadtmauer lag. Noch für 1825 haben wir einen Hinweis, nach dem das Grundstück »Gemüßgarten« war. Am 1.12.1825 meldet das Grundbuch: »Vor versammeltem Stadtrath. Es erschienen der hiesige bürgerliche Naglermeister Anton Vetter und der hiesige Rabenwirth Nepomuk Lechleitner und bitten folgenden Kaufvertrag zu Protokoll zu verfaßen und darüber zu gewähren.
Es verkauft nemlich Anton Vetter der Nagler an Rabenwirth Johann Nepomuk Lechleitner seinen eigenthümlichen Gemüßgarten von ungefähr zwei Mäßle gros im Stadtgraben zwischen der großen Stadtmauer und dem Pfarrgut gelegen…für und um 200 Gulden. Wobei folgendes bedungen wurde: …5. Hat sich der Verkäufer einen Schuh tief Grund vom Garten zu beziehen vorbehalten. (Die die bei einem Bau frei werdende Muttererde zu bekommen).«
Aus dem Hinweis ist zu schließen, dass der Käufer, der Rabenwirt J. N. Lechleitner vor hat, das erworbene Landstück bald zu bebauen. Dass dem so ist, ergeben die bis heute erhaltenen Türstürze der beiden Kellereingänge (unter der Druckerei), auf denen steht »M N« und »N. L.« (M N bedeutet Magdalena Nittinger und N L Nepomuk Lechleitner). Danach also dürfte klar sein: Der Keller, auf dem das heutige
Druckerei- und Wohngebäude steht, wurde vom damaligen Rabenwirt und seiner Ehefrau im Jahr 1826 erbaut.
Ein Schildbürgerstreich der Stadtgeschichte
Über die näheren Verhältnisse gibt das Grundbuch 1833 einen ersten Hinweis, der deshalb recht wertvoll ist, weil es sich dabei um
einen auch stadtgeschichtlich interessanten Vorgang handelt, nämlich um den »Schildbürgerstreich« der Stadtgemeinde Zell, einen Teil ihrer Stadtmauer zu verkaufen.
Die Akten melden dazu: »11. Merz 1833 verhandelt vor dem gesammelten Gemeinderath. Nach Versteigerung vom 28.2.1833 hat die Stadtgemeinde einen Theil der Stadtmauer mit Grund und Boden zu Eigenthum im Meistgebot verkauft. (Durch Regierungsbeschluss des Mittel-Rhein-Kreises vom 16.4.1833 genehmigt mit der Bedingung, dass der Erlös der Gemeindeverordnung gemäß verwendet werden soll.) Der Abschnitt XIX der Stadtmauer wird für 12 Gulden an J. N. Lechleitner verkauft.«
Am Tisch zusammen mit Graf Magga und dem schwarzen Doktor
Am 16.10.1846 verkauft J.N. Lechleitner und Magdalena, geb. Nittinger, an ihre minderjährige Tochter Louise Lechleitner (Pfleger Bernhard Mösch) den ganzen Raben-Besitz einschließlich unserm »von Stein gebauten« gewölbten Keller, worauf sich ein Stock von Riegelholz gebaute Wohnung befindet, mit Ziegel gedeckt auf dem Graben beim Pfarrhaus gelegen.
Diese Louise Lechleitner heiratete Heinrich Fischer (sen.) und brachte so den »Raben« und das Haus im Pfarrhofgraben mit in die Ehe ein. Frau Louise Fischer verstarb schon 1851. Auch Fischers zweite Ehefrau Franziska geb. Stöckle verstarb früh. Heinrich Fischer sen. ging eine dritte Ehe mit Luise Mösch ein. Aus erster Ehe stammte der Sohn Heinrich Fischer (jun.), der von 1880 bis 1892 Bürgermeister in Zell war.
Über Heinrich Fischer (sen.) schreibt Hansjakob: »Die Osterferien in Untersexta brachte ich teilweise auf dem Gröbernhof bei Zell am Harmersbach zu. Auf diesem Besitztum des Klosters Gengenbach saß damals der Sohn des in meinen Jugenderinnerungen genannten ,Herrn‘, des Rentmeisters Heinrich Fischer. Ehemals auch ein lustiger Studio, der mit Recht ein unabhängiges, durch Erbschaft ihm zugefallenes Stück Land dem Staatsdienst vorgezogen hatte. Er lud mich auf seinen Landsitz am Eingang des Harmersbacher Tales ein. Morgens und mittags trieb ich mich in Feld und Wald, bei Pferden und Rindern herum…, am Abend aber wanderte der Gutsherr und ich hinein ins Städtchen zum Bier. Wir saßen dann „im Raben“, zusammen mit dem reichen Granatenschleifer Mösch, dem Grafen Magga, dem Tierarzt König und dem schwarzen Doktor.«
Der beste Wein und ein erschütterndes Schicksal
Heinrich Fischer (sen.) starb am 9.3.1882. Seine Erben, Witwe Luise, geb. Mösch, und ihre Kinder verkauften das Grundstück Nr. 6 am 12. 7. 1887 für 6500 Mark an Joseph Willmann, Pflugwirt in Unterentersbach. Der Käufer Joseph Willmann erscheint in Hansjakobs Roman »Bauernblut«. »Heider (= Heinrich Benz, der spätere Wunderdoktor) war Hausknecht beim Pflugwirt in Unterentersbach, der ein kurioser Heiliger und ein nervöser Kamerad war aber die besten Weine hatte, von denen die Buren gerne tranken, wenn sie nach Zell heimkehrten von der Wallfahrt…« Anmerkung Thomas Kopp: »Der Wein lagerte im gewölbten Keller im Pfarrhofgraben!«
Die Ehefrau von Josef Willmann, Karolina Willmann geb. Isenmann, verkaufte am 26.7.1899 die Liegenschaften Lagebuch Nr. 6 mit
Hofreite und Hausgarten, die vorhandenen 13 Stück Lagerfäßer, Faßlager und sonstiges Inventar für 7000 Mark an den Biberacher Weinhändler Friedrich Gießler.
Friedrich Gießler starb am 19.5.1913 In Prinzbach. Die Schwarzwälder Post berichtet zwei Tage später über den »plötzlichen und schrecklichen Tod« des erst Siebenundvierzigjährigen: Gießler war mit seinem Fahrrad geschäftlich in Reichenbach (Schuttertal) und kam gegen 8 Uhr abends in den »Gasthof zum Löwen«, wo er bis halb 10 Uhr blieb. Man fand dann Gießler noch in der Nacht schwerverletzt im »untersten Ausruhplatz« der Schönberger Landstraße. Die in Biberach geholte Hilfe fand bei ihrer Ankunft den Verunglückten schon tot. Nach Befund des Rades ist anzunehmen, daß Gießler im scharfen Tempo dem Randstein des Gehweges zu nahe kam, mit dem Pedal aufstieß und dadurch mit ungeheurer Gewalt in die Höhe geworfen wurde.
Die Heimatzeitung rühmt das »arbeitsreiche Leben, das gerade, aufrichtige Wesen, den liebenswürdigen Charakter und die geschäftlich eifrige Tätigkeit« und beklagt sein »erschütterndes Schicksal…«
Josef Fuchs erwirbt 1930 das Haus
Die Witwe Frau Elise Gießler, geb. Hund, Biberach, wurde alleinige Eigentümerin des Gißler’schen Vermögens. Das Haus in Zell a. H. erwarben am 17.4.1930 für 6500 Mark Buchdruckereibesitzer Josef Fuchs und seine Frau Theresia, geb. Vollmer. Sie ließen das Gebäude bis zum Kellergewölbe abbrechen und darauf die Räumlichkeiten für die neue Druckerei errichten.
Firmengründer Josef Fuchs starb am 12.2.1951. Wenigen Wochen zuvor war er an einem Sonntag im Januar zu Fuß nach Nordrach unterwegs und erlitt dabei in Neuhausen einen Verkehrsunfall, von dessen Folgen sich der Senior nicht mehr erholen sollte.
Der gesamte Besitz ging an seine Ehefrau Theresia Fuchs über. Nach dem Tod von ihr am 4. 9. 1958 kamen die drei Töchter überein, das Druckereigebäude der jüngsten Schwester Gertrud zu überlassen. Sie und ihr Mann Julius Koch haben 1958 den bisherigen Bau um eine Wohnung aufgestockt. Das Ehepaar Koch hat dann das Werk der Eltern weiterentwickelt und bis zum 30. Juni 1973 geführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Julius Koch pensioniert und Druckerei und Verlag an den langjährigen Mitarbeiter, Schriftsetzermeister Herbert Schwendemann, verkauft.
Die Ära Schwendemann hat begonnen
Im Jahr 1973 endet die Dokumentation von Heimatforscher Thomas Kopp. Seither sind weitere 47 Jahre Geschichte – und Hausgeschichte – fortgeschrieben. Am 1. Juli 1973 begann die Ära Schwendemann, die bis zum heutigen Tag andauert. Während Druckerei und Verlag direkt in den Besitz von Herbert Schwendemann übergingen wurde die Immobilie von den Koch-Erben Astrid Petter und Dorothea Lepold übernommen.
Am 1.8.1998 verkauften die beiden Töchter der Familie Koch-Fuchs auch die Immobilie an ihre Nachfolger.
Anna Schwendemann, die Ehefrau von Schriftsetzermeister Herbert Schwendemann, wurde Eigentümerin des Gebäudes. Nach ihrem Tod im September 2016 ging das Erbe zum 1. Januar 2017 an ihren Sohn Hanspeter Schwendemann über.
Damit ist nun schon seit dem Jahr 1930 – und damit seit neun Jahrzehnten – das Wohn- und Geschäftshaus im Pfarrhofgraben 4 aufs Engste mit der geschäftlichen Entwicklung der Schwarzwälder Post und der Druckerei Fuchs verbunden.