Man stelle sich vor, die Glocken der Stadtkirche würden verstummen. Kein Geläut mehr zu Gottesdiensten, zu Hochzeiten, Beerdigungen und Taufen. Kein Glockenschlag, der Mittagszeit oder Feierabend verkündet. Ein schrecklicher Gedanke, oder nicht? Genau das passiert gerade in Zells Partnergemeinde Frauenstein. Seit November letzten Jahres ist dort das Kirchengeläut der Stadtkirche verstummt, weil erhebliche Schäden an den wesentlichen Teilen der Konstruktion festgestellt wurden.



Die Bilanz ist verheerend: Die Gesamtkosten für die Instandsetzung von Turm, Glocken und Glockenstuhl werden auf 250.000 Euro geschätzt. Eine Menge Geld für eine kleine Gemeinde. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche hat zugesagt, bei Glockenstuhl und Glocken zu helfen, beim Land Sachsen sind Mittel zur Sanierung des Glockenturms beauftragt. Trotz allem bleibt eine erhebliche Finanzierungslücke. An Eigenmitteln braucht es noch mindestens 150.000 Euro. Durch Spenden der Einwohner, Trödelmärkte und die aktive Ansprache ehemaliger Frauensteiner wurden bereits 40.000 Euro gesammelt. Friedmar Altwein, ein auch in Zell bekannter Frauensteiner, wird den gesamten Erlös, den er mit dem Verkauf einer Chronik eines seiner früheren Verwandten erzielt, dem Projekt spenden. Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Frauenstein und die »Frauensteiner Initiativgruppe Glocken« hoffen nun außerdem auf Hilfe aus dem Harmersbachtal senden einen Spendenaufruf und bitten um kleinere oder auch größere Spenden. Zells Bürgermeister Günter Pfundstein, Bürgermeister a. D. und Ehrenbürger Hans-Martin Moll sowie Dr. Wolf-Dieter Geißler, Mitbegründer der Partnerschaft, unterstützen den Aufruf im Namen der Stadt Zell am Harmersbach als Partnergemeinde der Stadt Frauenstein.
Drei Mal abgebrannt
Die Hintergründe zur anstehenden Sanierung reichen weit in die Geschichte zurück. Nach dem Stadtbrand im Jahr 1869 wurde die Kirche in ihrem heutigen Erscheinungsbild 1873 eingeweiht. Es war bereits der dritte Kirchenneubau, denn zuvor waren ebenfalls bei Bränden die ursprüngliche Kirche 1534 (geweiht im Jahr 1491) und das danach an gleicher Stelle neu errichtete Gotteshaus 1728 zerstört worden. Der dritte Bau, die heutige Kirche, erhielt ein vierstimmiges D-Dur Geläut aus Bronzeglocken von der Glockengießerei Große aus Dresden. Am Kirchweihmontag, dem 28. Oktober 1872, erklangen diese Glocken zum ersten Mal und in den folgenden Jahren versahen sie ihren Dienst ohne Fehl und Tadel.
Zwei Mal Krieg
Anfang Juli 1917 holte man diese Glocken kriegsbedingt vom Turm. Zum Glück erfolgte keine Einschmelzung. Am 13. Mai 1919 konnte man die Glocken unversehrt vom Glockenlager Leipzig zurück nach Frauenstein bringen, wo sie an ihrem alten Platz nach Pfingsten 1919 wieder läuteten. Doch schon nach weiteren 23 Jahren ereilte sie das gleiche Schicksal. Reichsmarschall Hermann Göhring ordnete an: »Glocken aus Bronze und Gebäudeteile aus Kupfer sind zu erfassen und unverzüglich der deutschen Rüstungsreserve dienstbar zu machen.« Man holte das Geläut also am 20. Mai 1942 erneut vom Turm. Die Frauensteiner Glocken fielen unter die Gruppe A, was sofortige Einschmelzung bedeutete. Allerdings wurde von staatlicher Seite auch angeordnet, dass jeweils eine Glocke in der Kirchgemeinde verblieb, meistens war es die kleinste. So auch in Frauenstein.
Ein Mal Hartguss
Nach 1945 bemühte man sich intensiv um neue Glocken. Bronze gab es nicht. So musste man sich mit Stahlhartguss helfen mit allen seinen Nachteilen. Die begrenzte Lebensdauer von etwa 70 Jahren, den größeren Umfang und so weiter. Die Kirchgemeinde musste ein aufwendiges Genehmigungsverfahren durchstehen und 3,5 Tonnen Bruchguss sammeln. Doch die Mühe lohnte sich. Am Sonntag, den 13. Januar 1952, konnten drei neue Hartgussglocken geweiht werden. Sie taten ihren Dienst zusammen mit der verbliebenen Bronzeglocke. Die Sorge über die begrenzte Lebensdauer sollte sich bewahrheiten. Letztes Jahr mussten die Glocken aus dem Turm genommen werden. Es wurden Risse in den Jochen festgestellt, die Glocken drohten herabzustürzten.
Zu viel Schwingung für das alte Mauerwerk
Die Glocken sind jedoch nur ein Teil des Problems in Frauenstein. Auch am Glockenturm wurden im Zuge der Untersuchungen erhebliche Schäden festgestellt. Sie lassen sich auf einen Umbau in den 1980er Jahren zurückführen, als mit der Elektrifizierung des Geläuts moderne Zeiten in das altehrwürdige Gemäuer eingezogen waren. Damals spendete die Part-nergemeinde Lindhorst aus dem Schaumburger Land die Ausrüstungsteile dafür. Zusätzlich musste aber auch der hölzerne Glockenstuhl erneuert werden, da der Platz für die neue technische Anlage nicht reichte. In Ermangelung von Eiche kam Stahl zum Einsatz – mit dem Ergebnis, dass die Schwingungen der Glocken nicht abgefedert wurden, sondern sich vollständig auf das Mauerwerk übertragen haben und dieses schädigten. So müssen jetzt nicht nur drei Glocken neu angeschafft werden, sondern auch der Glockenstuhl erneuert und das Mauerwerk repariert werden. Dazu kommen neue Jalousien mit integrierten Schneefanggittern im Turm sowie der Umbau der denkmalgeschützten mechanischen Kirchenuhr. Alles in Allem wird das geschätzt 250.000 Euro kosten.
Baubeginn in Sicht
Die Gewerke werden in nächster Zeit vergeben, Baubeginn soll im kommenden März sein. In Frauenstein hofft man, bis zum 1. Advent 2021 das Projekt verwirklichen zu können, damit die Glocken nicht mehr schweigen müssen, sondern im harmonischen Vierklang in Bronze erklingen können.
Spendenkonto
Das Spendenkonto ist bei der Kassenverwaltung Pirna, IBAN: DE11 3506 0190 1617 2090 27, Verwendungszweck: RT 0880 Glockenprojekt Frauenstein Spende Zell, eingerichtet. Die Spenden sind steuerlich absetzbar. Gern stellt das Pfarramt Frauenstein eine Spendenbescheinigung aus. Bis zu einer Höhe von 200 Euro gilt aber auch der Kontoauszug als Beleg.
Weitere Auskünfte gibt es bei Kristina Albani in Frauenstein (Tel. 0163/9713923), Friedmar Altwein in Frauenstein (Tel. 037326/1487) sowie in Zell bei Bürgermeister Pfundstein, Bürgermeister
a. D. Hans-Martin Moll sowie beim Mitbegründer der Städtepartnerschaft Dr. Wolf-Dieter Geißler.