Das Platzangebot im großen Saal des Kultur- und Vereinszentrums ermöglichte es zumindest 15 – natürlich angemeldeten – Zuhörern, risikolos an einer von »Gesundes Kinzigtal« durchgeführten Vortragsveranstaltung teilzunehmen. Referent Dr. Sven Griesbaum erläuterte, wie wichtig es ist, die verschiedenen Atemwegserkrankungen zu unterscheiden, um richtig darauf reagieren zu können, und wie wichtig es ist, das Risiko einer Ansteckung zu minimieren.




Im Herbst boomen Erkältungskrankheiten, sprich Erkrankungen der Atemwege. »Mit dem Corona-Virus wird es noch ein wenig komplizierter«, verdeutlicht Sven Griesbaum zu Beginn seiner Ausführungen. Mit Definitionen schafft er erste Klarheit. Die echte Grippe (Influenza) bezeichnet eine durch Influenzaviren der Gruppe A und B ausgelöste fieberhafte Infektionskrankheit.
Ein grippaler Infekt beziehungsweise eine Erkältung hingegen ist eine alltagssprachliche, medizinisch nicht scharf definierte Bezeichnung für eine Infektionskrankheit der Schleimhäute von Nase, Rachen oder Bronchien. Letztere ist vor allem bei Kindern sehr häufig, mit sechs bis acht Infekten pro Jahr. Erwachsene erwischt es im Schnitt ein- bis zweimal jährlich. Verursacher sind über 200 sehr verschiedene Viren aus unterschiedlichen Virusfamilien.
Definitionssache
Bei Viren handelt es sich um infektiöse organische Strukturen, die sich als Virionen außerhalb von Zellen verbreiten. Da sie sich aber nur innerhalb einer geeigneten Wirtszelle vermehren können, zählen sie im Unterschied zu Bakterien nicht zu den Lebewesen.
Bakterien hingegen vermehren sich durch Zellteilung. Man kann ihnen mit Antibiotika zu Leibe rücken. Bei einem reinen Virusinfekt helfen diese Medikamente jedoch nicht. Antibiotika sind nur dann sinnvoll, wenn sich eine bakterielle Infektion zur ursprünglichen Viruserkrankung gesellt.
»90 Prozent aller Atemwegsinfekte heilen ohne Antibiotika ab«, betont Sven Griesbaum. Zwar sei die Verabreichung von Antibiotika in Deutschland im Vergleich zu früher zurückgegangen, doch noch immer würden sie zu oft verschrieben, kritisiert der Mediziner. Womit die Gefahr einer Resistenzentwicklung einher geht, die Entwicklung multiresistenter Keime, »das zeigt sich in Spanien, wo Antibiotika rezeptfrei in der Apotheke erhältlich sind.«
Was Viren so gefährlich macht
Während man Bakterien mit ihrer Größe im Mikrobereich unter dem Lichtmikroskop erkennen kann, sind Viren mit gerade einmal 15 bis 400 Nanometern nur unter dem Elektronenmikroskop sichtbar. Auch Corona wird bekanntermaßen durch Viren verursacht. »Ihr extremes Kleinsein macht die Eindämmung der Verbreitung so schwierig«, verdeutlicht Sven Griesbaum.
Hinzukommt: Die Winzlinge gibt es in behüllter sowie unbehüllter Form. Wobei eine Hülle dem Virus den Vorteil einer hohen Variabilität bietet, so dass es die Immunabwehr eines Wirts leichter unterlaufen oder sich besser an einen neuen Wirt anpassen kann. Überdies kann sich die Hülle eines Virus laufend verändern. »Das macht Viren so gefährlich«, mahnt der Arzt, wie Grippe und Corona mit ihren Todesfällen zeigen.
Symptome und »AHAL«
Die Symptome einer Grippe unterscheiden sich stark von denen einer Erkältung. Letztere stellt sich eher schleichend ein, geht mit erhöhter Temperatur einher sowie häufig mit Halsschmerzen sowie möglicherweise leichten Kopf- und Gliederschmerzen, leichtem Schwächegefühl. Eine Genesung stellt sich meist nach sieben bis neun Tagen ein.
Die Influenza hingegen hat einen deutlich schwereren Verlauf. Sie beginnt plötzlich, innerhalb weniger Stunden. Halsschmerzen sind eher selten, stattdessen plagen hohes Fieber und typischerweise starke Kopf- und Gliederschmerzen den Erkrankten, verbunden mit einer rasch auftretenden, starken Schwäche. Bis zur Genesung vergehen sieben bis 14 Tage, gelegentlich auch mehrere Wochen.
Und Corona? Die typischen Symptome äußern sich in Fieber, trocken-bellendem Husten, Hals- und Kopfschmerzen, Durchfall, Luftnot, typisch oftmals der Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn. »Insbesondere bei Corona kann die Symptomatik jedoch sehr variabel ausgeprägt und das Krankheitsgefühl sehr unterschiedlich sein«, so Sven Griesbaum, »und Symptome wie Müdigkeit, Husten, Fieber et cetera können klinisch oftmals nicht eindeutig einer Virusinfektion zugeordnet werden.«
Die Inkubationszeit beträgt bei einer Influenza ein bis zwei Tage, bei einem grippalen Infekt zwei bis acht Tage, bei Corona im Schnitt fünf bis sechs Tage. Durch Husten und Niesen erzeugte Tröpfen oder Aerosole sorgen für eine Übertragung der Erreger, die über eine geringe Distanz auf die Schleimhäute der Atemwege der Kontaktperson gelangen. Auch der direkte Kontakt der Hände zu kontaminierten Oberflächen – dazu zählt auch die Haut beim Händeschütteln – sorgt für eine Übertragung, wenn man mit der Hand anschließend ins Gesicht kommt.
Prävention
Damit es eben zu keiner Übertragung kommt, ist Prävention das Maß aller Dinge, und zwar unter der Überschrift AHAL.
Das erste A steht für Abstand halten. Gemäß einer aktuellen WHO-Studie senkt eine körperliche Distanz von mehr als einem Meter das Ansteckungsrisiko um 82 Prozent. Mit jedem zusätzlichen Meter Distanz verdoppelt sich die Schutzwirkung. Ein Mund-Nase-Schutz senkt das Infektionsrisiko um 85 Prozent auf 3,1 Prozent.
H steht für »Hygiene beachten«. Umso mehr, als die behüllten Grippe- und Corona-Viren durch Seife teilweise inaktiviert werden! Das zweite »A«, die Alltagsmaske, meint die sprich Mund-Nasen-Bedeckung. Vor allem im Winter kommt das »L« hinzu. Es steht für regelmäßiges Lüften der Räume, möglichst jede halbe Stunde.
Grippeimpfung
Damit das Gesundheitssystem während der Coronapandemie nicht überlastet wird, sollte die Zahl von Infektionskrankheiten und damit auch von Grippefällen so gering wie möglich gehalten werden. Immerhin erkranken in Deutschland während einer Grippewelle zwei bis 14 Millionen Menschen. Die Zahl der Todesfälle schwankt stark, bis hin zu 20.000 Menschen pro Jahr.
Sven Griesbaum rät daher dringend zur Grippe-Impfung als wichtigste und zugleich kosteneffektivste Präventionsmaßnahme. Durchgeführt werden sollte sie im Oktober und November. Der Impfschutz stellt sich nach etwa zwei Wochen ein und hält in der Regel sechs bis zwölf Monate an.
Impfen lassen sollten sich alle Personen ab 60 Jahren, Personen jeden Alters mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens, Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, Schwangere ab dem vierten Monat. Personen mit erhöhter beruflicher Gefährdung sowie Personen, die als mögliche Infektionsquelle für von ihnen betreute Risikopersonen fungieren. Auch gegen Pneumokokken sollte sich dieser Personenkreis impfen lassen.
Für Prävention stehen zudem ausreichend Schlaf, ausgewogene Ernährung, körperliche Aktivität (am besten im Freien) und Nicht-Rauchen. Die Wirksamkeit von Nahrungsergänzungsmitteln zur Stärkung des Immunsystems ist in keiner Studie eindeutig belegt.
Wenn es doch passiert …
Haben Influenza- oder Corona-Viren trotz aller Vorsichtsmaßnahmen zugeschlagen, so sieht die Therapie in der Regel wie folgt aus: Bei schwerem Verlauf von Grippe oder Corona oder wenn ein hohes Risiko für einen komplizierten Verlauf einer echten Grippe besteht, kann eine antivirale Therapie (Oseltamivir und Zanamivir) erwogen werden. Diese Medikamente bremsen die Virusvermehrung. Allerdings können Probleme hinsichtlich Resistenz und Verträglichkeit auftreten. Hinzu kommen Sauerstoffgabe und Beatmung sowie die Gabe von Cortison.
Bei einem grippalen Infekt hingegen ist eine ursächliche Therapie oft nicht möglich. Die leitliniengerechte Behandlung besteht aus Analgetika wie beispielsweise Ibuprofen, Nasentropfen oder -spray sowie Inhalation mit Kochsalzlösung. Nasenspülungen hingegen haben gemäß den Worten des Mediziners keine dokumentierte Wirkung, außerdem bergen sie die Gefahr einer Schleimhautschädigung. Und: Die Wirkung pflanzlicher Präparate ist oft unsicher oder nicht nachgewiesen. Vorsicht auch ob der hohen Allergenität bei Gelomyrtol, bei Umckaloabo werden Leberschäden für möglich erachtet.