Ideenreich gehen Lehrer und Schüler des Bildungszentrums »Ritter von Buß« mit der Corona bedingten Schulschließung um. Weiter gelernt werden muss ja irgendwie trotzdem. Susanne Vollrath hat mit Rektorin Anne-Catrin Medel über leere Flure, Notfall-Pläne in der Schublade und die Herausforderungen des Unterrichts auf die Ferne gesprochen.
Frau Medel, wie ist es so – in einer Schule ohne Schüler? Normalerweise tobt hier ja das pure Leben.
Ruhig und einsam ist es hier. Ein bisschen fühlt man sich fast wie an einem Lost Place. Es verändert sich nichts. Jacken, die an den Garderoben hängen, hängen da schon seit Wochen.
Sie halten mit einigen wenigen Kollegen die Stellung. Wie haben Sie sich die Präsenz aufgeteilt?
Von der Schulleitung ist jeden Tag jemand da und auch das Sekretariat ist bis zu den Osterferien besetzt. Die schülerlose Zeit im Büro können wir nutzen, um Dinge aufzuarbeiten, die gerne mal liegenbleiben. Manche Aufgaben laufen auch einfach weiter. E-Mails kommen und müssen versorgt werden, die Post läuft. Der Verwaltungsaufwand, um eine Schule zu führen, ist immer noch da.
Die Schulschließungen wurden am Nachmittag des 13. März beschlossen und traten am 17. März in Kraft. Das war einigermaßen kurzfristig. Wie konnten Sie die Schule darauf vorbereiten?
Die Dynamik war sehr schnell. Das ist richtig. Aber die Schulschließung kam nicht ganz aus dem Nichts. Nachdem die ersten Fälle in der Region bekannt wurden, haben auch wir uns Gedanken darüber gemacht, was zu tun ist, falls an der Schule jemand positiv getestet wird. Die Idee »was wäre wenn« war schon erarbeitet, als die Anweisung vom Kultusministerium kam. Der Montag war für unsere Schule der Tag, an dem wir den Plan umgesetzt haben. Die Eltern hatten wir rechtzeitig vorher schon mit ins Boot geholt.
Jetzt stehen also alle Zeichen auf Home-Learning. Wie kommt der Unterricht zu den Schülern?
Minimale Voraussetzung ist, dass die Schüler oder die Eltern Zugriff auf ein E-Mail-Konto haben, da die Aufgaben in der Regel per E-Mail versendet werden. Im Detail kommt es ein bisschen auf die Klassenstufen an. Die Grundschul-Kollegen arbeiten anders als die, die die Sekundarstufe unterrichten. Die Grundschüler brauchen noch mehr Papier in der Hand, bei den Größeren geht mehr digital. Zugute kommt uns, dass wir die Schüler Bücher und Arbeitshefte schon Stück für Stück in den Wochen vor den Schulschließungen mit nach Hause nehmen ließen. So war rechtzeitig alles da, wo es gebraucht wird. Manche Kollegen kopieren Lernmaterialien und legen sie vor der Schule aus, andere setzen mehr auf papierlose Kommunikation. Ziel ist es, dass wir jedes Kind erreichen.
Auch zu Hause können die Ressourcen knapp sein. Man stelle sich vor, es gibt mehrere Geschwister, die Eltern arbeiten im Home-Office und nur ein Rechner steht zur Verfügung.
Die Frage, ob zum Schulbuch ein digitales Medium gehört, wird schon länger diskutiert. Seit 2016 ist die digitale Bildung im Lehrplan verankert. Es ist nicht damit getan, jedem Schüler ein Tablet in die Hand zu drücken. Da muss im Hintergrund noch viel mehr organisiert und bedacht werden.
Gilt der Stundenplan auch zu Hause?
Es gibt Wochenpläne, in denen der Unterrichtsstoff strukturiert wird. Die Kollegen machen sich unglaublich viele Gedanken, um abwechslungsreiche Aufgaben zu erstellen, damit die Kinder zu Hause gut weiterlernen können. An den Stundenplan muss sich keiner halten, aber die Inhalte sind so gestaltet, dass eine Unterrichtsstunde in der Schule auch in etwa einer Lernstunde zu Hause entspricht. Es ist sicherlich nicht verkehrt, den gewohnten Rhythmus auch zu Hause aufrecht zu erhalten.
Wie wird der Lernerfolg kontrolliert?
Manche Klassen nutzen Lern-Apps oder das digitale Angebot der Schulbuchverlage, bei denen man den Wissenszuwachs nachvollziehen kann. Klassische Klassenarbeiten gibt es gerade nicht.
Müssen die Schüler mit einer großen Welle rechnen, weil alle Arbeiten, die nicht geschrieben worden sind, nachgeschrieben werden?
Eine gute Frage. Der aktuelle Stand ist, dass das Kultusministerium mitgeteilt hat, dass die Zahl der Klassenarbeiten den Umständen anzupassen ist.
Für die Erstklässler ist das Lernen ohne Schule bestimmt besonders schwer. Sie können noch nicht gut lesen …
Die Klassenlehrerinnen der drei ersten Klassen geben sich jede Menge Mühe und sind sehr kreativ, um auf der einen Seite das Lernen zu ermöglichen und auf der anderen Seite die Schülerinnen und Schüler auch bei Laune zu halten, dass das Lernen weiter Spaß macht. Sie drehen YouTube-Videos und erklären den Stoff. So können zum Beispiel beim Lesenlernen neue Buchstaben-Kombinationen eingeübt werden.
Auch für das Kollegium eine Herausforderung – so plötzlich zum YouTuber zu werden.
Das stimmt. Alle müssen sich gerade ganz schön schnell ganz schön viel Wissen aneignen. Hier kommt dem Bildungszentrum zugute, dass wir ein relativ junges und Technik affines Kollegium haben, das auch schon im normalen Unterricht Smartboards nutzt. Sogar die Sportkollegen machen Videos, damit die Kinder zu Hause in Bewegung kommen. Heimunterricht vorzubereiten ist richtig aufwändig. Man muss es anders tun als beim normalen Unterricht und die Betreuung ist intensiver.
Und wenn man mal alleine oder mit Mama und Papa nicht weiterkommt?
Lehrer und Schüler tauschen sich in verschiedenen Formaten aus. Manchmal geht es über das Telefon, andere schalten Videokonferenzen. Der Kontakt ist auf mehreren Ebenen vorhanden. Uns wird mehr und mehr deutlich, wie viel Beziehungsarbeit Schule im Kern ist. Nicht nur die Schüler brauchen Feedback. Auch den Lehrern fällt es nicht immer leicht, den passenden Ansatz ohne direkte Rückmeldung zu wählen.
Werfen wir einen kleinen Blick in die Zukunft. Können zum Beispiel Ausflüge und Klassenfahrten stattfinden, wenn die Schule wieder normal läuft?
Leider nicht. Wir haben eine Anweisung vom Kultusministerium erhalten, dass diese Aktivitäten dieses Schuljahr ausfallen müssen. Exkursionen, Klassenfahrten, Ausflüge, Schulkino-Wochen – alles gestrichen. Die Eltern sind bereits informiert.
Die Abschlussklassen sitzen bestimmt gerade auf heißen Kohlen.
Sie sind in »Alarmbereitschaft«. Am Freitagnachmittag kam die Meldung vom Kultusministerium, dass die Abschlussprüfungen angeglichen und Termine verschoben werden. Auch die Organisation der Prüfungen wird an aktuelle Gegebenheiten angepasst. Ob das die letzte Meldung zu diesem Thema ist, kann niemand sagen. Die Realschüler hätten eigentlich am 21. April ihre letzte Prüfung geschrieben. Mit dem Stoff sind sie eigentlich durch. Die Vorbereitung haben sie in dem festen Glauben gemacht, dass sie ihr Wissen an diesem Tag brauchen. Jetzt wurde ruckartig das Gas rausgenommen, das ganze Land befindet sich im Schwebezustand. Ich kann mir vorstellen, dass es für diese Schüler jetzt unheimlich schwierig ist, sich wieder zu motivieren.
Übrigens: Nicht nur die Schüler sind in der Schwebe. Die Referendare betrifft es genauso. Für sie wäre eigentlich genau jetzt der Prüfungszeitraum mit Unterrichtsbesuchen.
In jeder Krise steckt eine Chance, heißt es. Welche Chance sehen Sie in der aktuellen Lage in Bezug auf die Schule?
Jeder merkt gerade, dass ohne regulären Schulbetrieb etwas fehlt. Die sozialen Kontakte sind in alle Richtungen gekappt. Ich glaube, da freuen sich alle, wenn sich das wieder ändert. Viele Schüler merken gerade, dass es mehr Spaß macht in der Gruppe zu lernen als alleine. So sehr man sich als Schüler manchmal darüber ärgern mag, wenn der Lehrer einen korrigiert oder auch mal schimpft: Wir haben auch schon Rückmeldung bekommen, dass der Lehrer letztendlich doch fehlt. Vielleicht kommt es hier zu einem stärkeren Miteinander und vielleicht hält die Erfahrung auch eine Zeit lang vor.
Ihr Wunsch für den ersten Schultag nach den Osterferien?
Dass alle wieder gesund zurück und beschwerdefrei durch die Zeit kommen. Dass die Motivation, wieder in die Schule gehen zu dürfen, anhält.