Zurück blieb der nachhaltige Eindruck eines großartigen Konzerterlebnisses. Heike Thoma, Querflöte, und Dieter Benson, Klavier, hatten die Besucher der 4. Sommermusik mit auf eine »Klangreise nach Frankreich, Deutschland, Tschechien und England« genommen. Zusammen erwiesen sich die beiden Instrumentalisten als musikalisches Traumpaar.
Nach einem musikalischen »hors d‘ oeuvre« zur Einstimmung ging es mit Phillipe Gauberts »Suite« sogleich französisch weiter: Vielleicht in dem Sinn in dem Claude Debussy das Französische als »Sprache der Nuancierung« – im Gegensatz zur Akzentuierung – begriff. Wie sich das Duo der vier Sätze der »Suite« annahm, war ein wunderbares Beispiel für solcherlei Nuancierungskunst. Bereits beim ersten Satz »Invocation« wurde das deutlich, wenn Heike Thoma insbesondere die Übergänge mit weicher Phrasierung gestaltet, lebhaft und luzide. Mit überaus schönem Ton auch im Satz »Berceuse orientale«, ein weich fließendes souveränes Spiel auf der Flöte, das schillernde Luftschlangen hervorbringt.
In diese Musik konnte man tief eintauchen, freute sich über die feine Modulation und die sanften Triller in »Barcarolle«; das »Scherzo-Valse« legte an Dynamik zu, technisch meisterhaft und subtil dargeboten. Daran beteiligt Dieter Benson, dessen warme, ausbalancierte Klavierbegleitung der Solistin zunächst viel Raum zur Entfaltung gelassen hatte, um dann mit virtuosem, kraftvollem Spiel hervorzutreten, das Spannung erzeugte.
Mustergültige Interaktion
Carl Reinecke war bereits 84 Jahre alt, als er das »Konzert für Flöte und Orchester D-Dur« komponierte. Von 1860 an hatte er 35 Jahre lang das Gewandhausorchester in Leipzig geleitet, wie Heike Thoma den Konzertgästen erzählte. Reinecke war stark von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Robert Schumann beeinflusst, die er beide noch persönlich kennen gelernt hatte. So trägt das »Konzert für Flöte …« durchaus spätromantische Züge. Heike Thoma interpretierte das Allegro molto moderato im liedhaften Geist, agierte ausdrucksstark und emotional, ohne dass die Perfektion des Flötenspiels gelitten hätte: Klare, lang ausklingende Töne, makellose Läufe, wunderbar die Lagenwechsel, die bruchlos und organisch klangen.
Mustergültig war auch die Interaktion mit dem Klavierpartner, der den 2. Satz Lento e mesto mit samtenem, federndem Anschlag gestaltete, weich und beseelt, dann wieder zupackend und prägnant. Thoma und Benson harmonieren großartig: Ein kurzer Blickkontakt und beide vertiefen sich in ihre Spiel, das im 3. Satz jubilierende Flötentöne hervorzauberte, während der Pianist den Diskant zum Leuchten brachte. Stürmischer Applaus und lautstarke Zustimmung im Publikum.
Interpretatorische Tiefe
Schwere Kost wurde mit der »Sonate Nr.1 (1945)« des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu serviert. Und wieder war es die interpretatorische Tiefe, die beeindruckte. Martinu lebte von 1923 bis 1940 in Paris und floh in die USA, als sich der Einmarsch deutscher Truppen in die französische Hauptstadt abzeichnete. Vielleicht spielen die folkloristischen Elemente im Werk auf den Verlust der Heimat an, beschwören die musikalischen Mittel die Schönheiten der Natur und der Landschaft.
Liebreizende Klänge, liedhafte Melodiefloskeln entzückten im Allegro moderato. Doch die originäre Kreativität Martinus zeigt auch die im wahrsten Sinn des Wortes geballte Kraft: Bensons lyrische Arpeggio-Tändeleien mündeten unversehens in ein machtvolles Akkordspiel, während Heike Thomas heiter sinnliche Flötentöne sich in mitreißend schnellen Läufen aneinander reihten.
Als wolle der Tonschöpfer seine Interpreten in einer Tour de Force an die Grenzen der Spielbarkeit führen, fordert der dritte Satz den Einsatz weiterer virtuoser dynamischer Kunstgriffe. Assoziationen mit zwitschernden Vögeln kamen auf. Es folgten atemberaubende Läufe, häufige Triller der Flöte gehörten dazu und ahmten die Tiere tonmalerisch nach. Dass der Pianist die harten Kontraste nicht einfach aufeinanderprallen ließ, sondern selbst im wuchtigen Akkordspiel subkutane Melodien herausarbeitete, löste im Kirchensaal Begeisterung aus.
Sprudelnde Melodien
John Rutters »Suite Antique« offenbarte noch einmal die vorzügliche Qualität des Zusammenspiels beider Musiker: authentisch, mit gezügelter Leidenschaft und einer riesigen Palette an Ausdrucksmöglichkeiten. Beide wissen zu jeder Zeit, was angebracht ist. Denn der Engländer John Rutter gehört zu jenen zeitgenössischen Komponisten, in deren Erfindungsreichtum immer wieder musikalische Zitate vergangener Epochen zu finden oder Elemente des Jazz und der Popmusic zu entdecken sind.
»Prelude« ließ die Melodien sprudeln, mal getragen (»Aria«), mal beschwingt und tänzerisch (»Waltz« und »Rondeau«), mal liedhaft und verträumt (»Chanson«). Grandiose Klangbilder entstanden da – mit sicherem Gespür für die Inszenierung der Kontraste. Beiden Künstlern gelang es auf einzigartige Weise, instrumentale Souveränität mit atmosphärischer Gestaltung zu verbinden. Das sachkundige Zeller Publikum gewährt sie selten, aber an diesem Konzertabend in der evangelischen Kirche waren sie absolut angebracht – stehende Ovationen für Heike Thoma und Dieter Benson. Das Duo dankte mit einer Zugabe, feinsinnig und mit kleinen Improvisationen vorgetragen.