Seit 1984 ist Horst Koller Sonderschullehrer, seit 16 Jahren Schulleiter am SBBZ Lernen in Zell a. H. Zum Schuljahreswechsel 2019/2020 geht er in den Ruhestand. Susanne Vollrath hat mit ihm über die Entwicklung der »Förderschule«, wie sie von vielen immer noch genannt wird, gesprochen. Von sich spricht Koller dabei selten. Er begreift die Schulentwicklung als Teamleistung und spricht von »wir«.
Susanne Vollrath: Wie geht es im SBBZ Lernen ohne Sie weiter?
Horst Koller: Matthias Demmel wird mein Nachfolger werden. Er ist ein erfahrener Kollege, seit zehn Jahren Sonderschullehrer – und: Er kennt den Betrieb, denn er unterrichtet bereits am SBBZ in Zell. Wichtig ist vor allem, dass der Übergang fließend ist. Wir haben hier ein Schulkonzept entwickelt, das etwas Besonderes ist. Es braucht jemanden, der das weiterführt.
Was macht das Schulkonzept im Zell SBBZ aus?
In unserem Leitbild steht, dass die Schule Freude machen soll, weil man sich wohlfühlt. Das ist uns gelungen. Unsere Schüler kommen gerne. Wer sich wohlfühlt, kann gut lernen. Wir unterrichten Kinder, keine Fächer.
Wohlfühlen und Schule – wie kommt das zusammen?
Wir haben Strukturen geschaffen, die das Lernen erleichtern und in denen alle Kinder nach ihrem Bedarf gefördert werden können. Warum soll man auch alle Kinder gleich behandeln? Manche brauchen mehr Unterstützung, andere weniger. Der Lehrer ist der, der das Lernen organisiert. Wir verfolgen außerdem zum Beispiel das Prinzip der offenen Türen. Die Türen zu den Klassenzimmern und dem Lehrerzimmer sind immer offen. Die Schüler können in vielen Situationen wählen, wo sie Aufgaben erledigen.
Gibt das nicht ein großes Durcheinander?
Das Gegenteil ist der Fall. Der Lärm reduziert sich. Das Öffnen und Schließen der Türen, wenn jemand den Raum betritt oder verlässt, bringt jede Menge Unruhe. Das fällt weg. In den Klassenzimmern gibt es Einzelarbeitsplätze und Gruppentische für das kooperative Lernen.
Kooperatives Lernen?
Die Schüler bilden Vierergruppen. Jeder Schüler übernimmt eine bestimmte Aufgabe in der Gruppe. Nur wenn alle zusammenarbeiten, kommt man zum Ziel und kann die Aufgabe lösen. Keiner ist Chef, alle werden miteinbezogen. Es geht um den Austausch von Wissen. Das schult auch soziale Fähigkeiten. Diese Lernform ist mehr als Gruppenarbeit. Sie wird in allen Schulformen angewendet.
Gibt der Lehrplan das denn her?
Mit der Bildungsplan-Änderung von 1998 wurden die Fächer in der üblichen Form abgeschafft. Jetzt wird nach Themen unterrichtet. Bei unserem Klassenlehrer-Unterricht ist das ideal.
Die Raumausstattung in der Schule wirkt modern. In jedem Klassenzimmer hängt ein Großbildschirm. Was hat es damit auf sich?
Unsere Schule ist technisch sehr gut ausgerüstet. Wir haben Fernseher in jedem Klassenzimmer und 32 Tablets für 55 Schüler. Die Digitalisierung kommt gerade auf ein neues Niveau. In unserer Schule ist das Tablet mehr als ein digitales Schulbuch. Wir nutzen es zum personalisierten Lernen. Die Lehrer können die Aufgaben über eine App gezielt steuern und den Lernerfolg nachvollziehen. Der Lehrer greift gezielt ein, wo es nötig ist.
Wir haben eine Riesenverantwortung, die Schüler auf die Digitalisierung vorzubereiten. Dass manche Schulen Handys verbieten, kann ich nicht verstehen. Bei uns sind sie erlaubt – und es gibt keine Probleme.
Das hört sich nach einer echten Vorreiter-Rolle an.
Wir sind gut aufgestellt. Wir arbeiten in vielen Arbeitskreisen mit, schauen uns andere Schulen an. Es gibt einen lebendigen Kontakt zum Lehrerseminar und Hospitanten kommen immer wieder gerne nach Zell. Das schönste ist, dass das Land Baden-Württemberg einen Film über die »best pratice« unserer Schule gemacht hat.
Was ist überhaupt die Aufgabe der Förderschule?
Unsere Aufgabe ist es, die Teilhabemöglichkeiten unserer Schüler zu erweitern. Außerdem ist Berufsorientierung sehr wichtig. Mit dem Bildungsplan 2008 kam der Leitgedanke der Individuellen Lern- und Entwicklungsbegleitung (ILEB) auf. Wir denken vom Kind aus, nicht vom Stundenplan. Die Welt hat sich verändert. Wir müssen Zusammenhänge begreifbar machen. Wir müssen die Kinder kompetent machen. Als ich als Sonderschullehrer angefangen habe, war die wesentliche Unterscheidung zur Hauptschule, dass die Klassen kleiner waren. Ziel war der Hauptschulabschluss. Heute hat sich das total gewandelt. Wir trainieren auch die praktischen Fähigkeiten. Und es funktioniert. Die Abschlüsse unserer Schüler sind sehr gut, wenn man die anschließende Bildung in BVJ und CJ Jugendorf miteinbezieht.
Worauf sind Sie besonders stolz?
Die Rückmeldung von Betrieben und Berufsschulen bezüglich unserer Schüler sind durchweg positiv. Ich bin stolz auf den hohen Standard im Sozialverhalten, den unsere Schüler haben. Ich bin stolz, dass unsere Schüler den Schritt in die Arbeitswelt schaffen und ich bin stolz darauf, dass ehemalige Schüler sagen, dass sie eine glückliche Schulzeit gehabt haben. Dass es in den Betrieben super läuft, hängt damit zusammen, dass wir hier im SBBZ die Voraussetzungen in Sachen Arbeitshaltung und im sozialen Bereich schaffen.
Keine leichte Aufgabe …
… und doch gar nicht so schwer. Ich muss das vorleben – jeder muss das vorleben. Schimpfen hilft wenig, konsequent sein schon.
Was ist der Schlüssel?
Man muss von den Kindern viel fordern, sie akzeptieren und sich auf einer Ebene bewegen. Ein wichtiger Schritt für die Schule war ein Vortrag von Norm und Kathy Green zum Kooperativen Lernen im Kultur- und Vereinszentrum in Zell. Alle Lehrer des SBBZ wollten hin. Am Schluss haben wir es mit Notunterricht geschafft, dass die Hälfte hingehen konnte. Sie kamen so begeistert zurück, die Begeisterung ging auf die anderen über.
Es hört sich so an, als ob Sie viel Eigeninitiative in die Schulentwicklung gesteckt haben.
Mit der Schule von vor 2000 hat das Lernen heute nicht mehr viel zu tun. Aber die jungen Kollegen heute sind bestens qualifiziert. Sie studieren zehn Semester plus Referendariat. Auch die Persönlichkeit ist wichtig, um als Sonderschullehrer bestehen zu können. Eigentlich haben alle, die Sonderschullehrer werden, auch eine persönliche Geschichte.
Apropos Sonderschullehrer: Ihre Frau hat den gleichen Beruf, richtig?
Das stimmt. Kennengelernt haben wir uns aber ganz anders – beim Surfen.
Wie sahen Sie Ihre Rolle als Schulleiter?
Managen gehört unbedingt dazu. Jede Schule braucht außerdem ein Portfolio. Ich habe begonnen, alles in der Schule zu inventarisieren und Abläufe so vorzubereiten, dass die eigentliche Arbeit mit den Kindern flüssig ablaufen kann. Effektive Lernzeit ist wichtig, da haben die Kinder einen Anspruch drauf! Noch ein anderer Aspekt war in meiner Rolle als Schulleiter wichtig: Ich weiß, dass man nicht von jedem Lehrer das gleiche verlangen kann.
Wie stehen Sie zum Inklusionsgedanken?
Inklusion im eigentlichen Sinn ist eine super Sache. Aber sie funktioniert nur dann, wenn es der Beteiligte nicht mehr merkt. Dafür braucht es faire Bedingungen – und die gibt es momentan nicht.
Was machen Sie am 11. September, dem ersten Schultag des neuen Schuljahres?
Wenn der erste Schultag beginnt, bin ich weit weg im Süden. Wenn der Rektor geht, muss er weg sein – außer er wird um Rat gefragt.
Da heißt, Sie kehren der Schule nicht komplett den Rücken?
Das Projekt »Naturparkschule« steht aktuell im Raum. Dafür wird ein externer Projektleiter gebraucht. Auch die Radtour nach Baume-les Dames werde ich weiterhin organisieren. Ansonsten wird mir aber auch nicht langweilig. Meine Frau kann hervorragend Urlaubsreisen planen!
Sehr gelungen, finde mich voll wieder!