Der Krimileser bekommt eine Gänsehaut und kalt läuft es über seinen Rücken. O schauriger Genuss! Mit angehaltenem Atem hastet er die Zeilen, die Seiten weiter, nur daran interessiert, wer der Mörder ist und ob es gut ausgeht…
So kennt man es meist, doch für Bernd Antes muss ein guter Kriminalroman oder Thriller mehr bieten: das soziale Umfeld etwa, in dem die Protagonisten handeln, muss deutlich werden oder auch die politischen und ökonomischen Verhältnisse, kurzum Informationen über Land und Leute. Die zehn besten der knapp vier Dutzend gelesenen Werke stellte Antes einem interessierten Publikum in den Räumen der Buchhandlung »Rund ums Leben Kopf« vor.
Dabei präsentierte sich Bernd Antes als Vorleser, Erzähler und Rezensent in einem: klarer Vortrag, sparsame Gestik, der Ton meist nüchtern, doch nuanciert und der jeweiligen Szenerie angepasst, sodass Atmosphäre entsteht und die Zuhörer in den Bann zieht. Zugleich war es eine Reise durch sieben Länder auf drei Kontinenten, die auf den Färöerinseln begann. Dort soll es in den letzten 15 Jahren keinen Mord gegeben haben. Doch was ist das Geheimnis des John Callum, der erst seit wenigen Monaten in Torshavn lebt und eines Morgens plötzlich im Hafen der Stadt auf einem Steinblock erwacht, auf dem die Fischer ihren Fang ausbreiten? In seiner Tasche findet er ein blutiges Messer, wie es die Waljäger benutzen, aber Callum kann sich an nichts erinnern. Ein gelungener Einstieg war der Vortrag des Romananfangs von C.R. Neilsons Krimi »Das Walmesser«, dem die Kulisse der Färöer ein besonderes Flair verleiht.
»Alte Wunden« von Antonio Manzini ist der 3. Teil einer Reihe mit dem meist schlecht gelaunten Kommissar Rocco Schiavone, der – strafversetzt von Rom ins Aostatal – im Fall eines vermissten Mädchens ermittelt und darüber hinaus mit einer offenen Rechnung vergangener Tage konfrontiert wird. Der Krimi spielt in einer interessanten Berglandschaft, mit deren Bewohnern sich der römische Commissario ganz und gar nicht versteht. Antes »warnte« allerdings: Ein Happy End könne er in diesem ›Fall‹ nicht versprechen.
Korruption und Intrigen
Korruption und Intrigen ziehen sich durch den düsteren Thriller »Die Ratten von Perth« von David Wish-Wilson, dem eine wahre Begebenheit aus den 1970er Jahren zu Grunde liegt. Die Chefin eines Edelbordells wurde ermordet und Superintendent Frank Swann soll aufklären. Der erkennt bald, dass höchste Polizei- und Ermittlerkreise in den Fall verwickelt sind. Eine Kommission, die mit der Sache betraut wird, intrigiert gegen Swann, um ihn und seine Arbeit zu diskreditieren. Kann sich der Superintendent durchsetzen? Welchen Preis muss er schlussendlich bezahlen? Antes stellte die Fragen in den Raum und meinte: Ein Roman, der menschlich berührt und den Leser mitfühlen lässt.
Gedanklichen Tiefgang und sprachliche Virtuosität attestiert Antes dem italienischen Autor Gianrico Carofiglio, der in seinem Werk »In ihrer dunkelsten Stunde« den aufrechten Anwalt Guido Guerrieri mit dem Fall einer in Rom spurlos verschwundenen Studentin konfrontiert. Während die Polizei die Akte längst geschlossen hat, bitten die Eltern der Vermissten den Advokat um Hilfe. Der ermittelt erwartungsgemäß akribisch und hartnäckig. Gerne hätte man vor Ort vom Vorleser mehr Details erfahren.
Doch Bernd Antes erzählte bereits vom bizarren Plot in »Icarus«, in dem Südafrikas preisgekrönter Autor Deon Meyer ein Netz aus Korruption und Lüge spinnt. Dabei bewirken die neuen Medien, die mehr Transparenz und Erleichterung im Alltag versprechen, das genaue Gegenteil. Was hat es mit dem in einer Folie verschnürten Toten auf sich, der mit Hilfe einer Drohne am Strand entdeckt wird? Der Cop Bennie Griessel steht zunächst vor einem großen Rätsel. Ihm hilft die schöne Desirée, die als so genannte Alibivermittlerin tätig ist, d.h. Leuten gegen Bezahlung einen glaubhaften Aufenthaltsort bescheinigt, während die betreffende Person tatsächlich woanders weilt. Ein zweiter Handlungsstrang in Meyers Roman gibt die Lebensgeschichte eines Winzers wieder und geht somit erzählerisch über das Genre des Kriminalromans hinaus, kolportiert auch aktuelle politische und soziale Entwicklungen in Südafrika, was Antes besonders hervorhob.
Wendungsreicher Handlungsverlauf
Arne Dahl ist weniger eingefleischten Krimifans vor allem durch die Verfilmungen seiner Romane bekannt. Während einige Kritiker dem erfolgreichen schwedischen Autor und Literaturprofessor die detailverliebte Darstellung kalter Grausamkeit vorwerfen, hielt Bernd Antes dagegen: Dahl sei ein Meister der psychologischen Inszenierung und der sprachlich präzisen Schilderung, was auch seinen neuen Roman »Sieben minus eins« auszeichne. Hinzu komme eine wendungsreiche Handlung, in der das Ermittlerduo Sam Berger und Molly Blom einem Serientäter nachjagt.
Die versierte Fachanwältin für Strafrecht, Rachel Eisenberg, ist die Hauptfigur einer gleichnamigen Serie aus der Feder des deutschen Starautors Andreas Föhr. Die clevere Advokatin bekommt es im vorgestellten Band mit einem ominösen Mordfall zu tun, bei dem sich der verdächtige Obdachlose als ein alter Bekannter Eisenbergs entpuppt. Das rätselhafte und mit vielen Wendungen versehene Geschehen bleibe bis zum Schluss fesselnd, resümierte Antes, nachdem er aus einem Kapitel vorgelesen hatte.
Ein breites Spektrum politischer und zeitgeschichtlicher Probleme beleuchtet Joakim Zander in seinem neuen Thriller »Der Bruder«. Der junge arabische Flüchtling Fadi schließt sich in Schweden einer Gruppe Dschihadisten an und zieht in den »heiligen Krieg«. Vom Einsatz dort enttäuscht, kehrt er nach Stockholm zurück und will sich an seinen ehemaligen Kumpanen rächen. Seine Schwester Yasimine, die in New York als Trend-Scout arbeitet, erfährt davon und will Fadi davon abbringen. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Yasimine bekommt Unterstützung von Zanders »Serienfigur«, der Juristin Klara Waldéen, die wiederum mit einer russischen Sicherheitsfirma in Kontakt steht. Ein komplexer Handlungsgang, in dem auch die sozioökonomischen Einflüsse und Abhängigkeiten, denen die Protagonisten ausgesetzt sind, eine wichtige Rolle spielen. Anspruchsvoll, aber lesenswert, lautete die Empfehlung.
»Katrina« und die Folgen
Der neueren US-amerikanischen Krimi-Literatur kann Bernd Antes nicht viel abgewinnen, einige hochkarätige Autoren ausgenommen. Zu ihnen zählt er James Lee Burke, der in »Sturm über New Orleans« die Folgen des verheerenden Hurrikans »Katrina« anno 2005 thematisiert, als nach gravierendem Versagen der Behörden Recht und Ordnung auf der Strecke bleiben und stattdessen Gewalt und Rassismus dominieren. In diesem Hexenkessel soll Detective Dave Robicheaux die Vergewaltigung eines Mädchens aufklären und zugleich einen verschwundenen Priester suchen. Dabei kommt er einem ganz anderen Verbrechen auf die Spur.
Zum Schluss präsentierte Antes den Zuhörern den neuen Roman von Ursula Poznanski, die sich als »All-Age«-Autorin einen Namen gemacht hat, denn ihre Bücher sprechen Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen an. »Eleanus« ist die wissenschaftliche Bezeichnung für einen Raubvogel mit außergewöhnlicher Sehschärfe. Das lässt sich ebenso auf den Protagonisten des Romans übertragen, aus dessen Perspektive erzählt wird. Jona ist ein scharfer Beobachter, intelligent, zugleich arrogant und besserwisserisch. Er spioniert auf dem Campus die Kommilitonen aus – mit Hilfe einer Drohne. Doch ihm droht Gefahr. Wer steckt dahinter? Und welche Mitschuld trägt Jona am Suizid eines Professors? Der Vorleser ließ die Frage unbeantwortet, verwies aber auf die anhaltend spannende Handlung.
Spannende Unterhaltung bot die anderthalbstündige abendliche Lesung und erntete reichen Beifall. Da die Werke bei »Kopf« auslagen, konnte man das ein oder andere Buch zur Hand nehmen und »reinlesen«. So ergaben sich auch einige Gespräche. Zum Abschluss dankte Petra Kühnpast und überreichte Bernd Antes einen brandaktuellen Krimi, den sie von der Frankfurter Buchmesse mitgebracht hatte. Vielleicht spricht Krimikenner Antes in einer nächsten »Vorlesestunde« über das Werk der französischen Autorin Sophie Hernan mit dem Titel »Kommando Abstellgleis«. Ein krimibegeistertes Publikum wäre ihm sicher.