Pilatus erwiderte:
Was für ein Verbrechen hat er denn begangen?
Matthäus 27,23
»Er hat uns allen wohlgetan,
den Blinden gab er das Gesicht,
Die Lahmen macht er gehend,
Er sagt uns seines Vaters Wort,
Er trieb die Teufel fort,
Betrübte hat er aufgericht‘,
Er nahm die Sünder auf und an.
Sonst hat mein Jesus nichts getan.
Johann Sebastian Bach,
Matthäus-Passion
Entwicklung der Kreuzwege
Ein Kreuzweg (via crucis) ermöglicht Gläubigen und Pilgern, den Leidensweg von Jesus Christus von der Verurteilung bis zum Tod am Kreuze mit Gebet und Gesängen in bis zu 14 Stationen innerlich nachzuvollziehen. Der Rahmen dieser Karfreitagsbetrachtung gibt die 14 Stationen des Zeller Kreuzwegs des Kunstmalers Konrad Schmider (1859 – 1898) in der Stadtpfarrkirche St. Symphorian bildlich wieder.
Seinen Ausgang nahm die Entwicklung der Kreuzwege am historischen Ort, in Jerusalem also, wo Pilger zunächst nur zwei Stationen (Haus des Pilatus und Golgotha, Ort der Kreuzigung) des Leidenswegs von Jesus Christus aufsuchten. Die Franziskaner eröffneten diese Tradition der Kreuzwege im 14. Jahrhundert und verbreiteten den Brauch in ihren jeweiligen Heimatländern mit später sieben Stationen. Der älteste Kreuzweg dieser Art in Deutschland datiert 1493 in Lübeck.
Der Franziskaner Leonhard von Porto Maurizio etablierte in Rom den Kreuzweg mit 14 Stationen (von der Verurteilung durch Pontius Pilatus bis zur Kreuzigung und Grablegung). Papst Clemens XII. kanonisierte diese Form des Kreuzwegs 1731 und erlaubte im Gedenken an die christlichen Märtyrer in der Arena des Kolosseums die Errichtung von Kapellen mit den 14 Kreuzwegstationen. Damit begründete er die bis heute begangene Tradition des Kreuzwegs an dieser Stelle (BR Fernsehen LIVE Karfreitag, 14. April, 21.10 Uhr – 22.45 Uhr Papst Franziskus betet den Kreuzweg).
Unter dem Motto »Das Kreuz als Baum des Lebens« bietet für die Gläubigen in unserem Raum die Seelsorgeeinheit Zell die ganze Karwoche schon die Teilnahme an vorösterlichen Gottesdiensten an. Bereits am Montag, dem 10. April begingen Gläubige beider christlicher Konfessionen einen »Ökumenischen Kreuzweg« mit Meditationen, Gebeten und Liedern. Am Karfreitag, 14. April, werden Kinderkreuzwege in Zell, St. Symphorian (10.30 Uhr) und in Biberach, St. Blasius (10.00 Uhr) unternommen.
Vom Ende des 17. Jahrhunderts an wurden zunehmend Kreuzwege in Form von Reliefs, Fresken oder Gemälden in Kirchenräumen an den Wänden angebracht, zunächst in franziskanischen Kirchen. Vor allem im 19. Jahrhundert wurden aber wegen der großen Beliebtheit dieser Andachtsform fast alle katholischen Kirchen mit Kreuzwegen ausgestattet.
Joseph von Führich und seine Schüler schufen – in der Absicht, mit ihrer Kunst den Betrachter dazu zu anzuregen, sich mit christlichen Motiven zu beschäftigen und damit eine verlorengegangene Religiosität wieder zu beleben – auch die sogenannten Führich – Kreuzwege.
Konrad Schmider, der Künstler des Zeller Kreuzwegs, verstand sich in der Tradition von Führich und den anderen »Nazarenern«.
Der Zeller Kreuzweg von Konrad Schmider nach Joseph Führich
Konrad Schmider verließ sich in vielen Kirchen, die er ausmalte, auf seine eigene Gestaltungskraft. Beim Zeller Kreuzweg jedoch verwendete er, ganz im Sinne des Wirkens der Nazarener, ein Vorbild. Der Wiener Joseph Führich gestaltete zunächst in Prag, dann aber in zwei Kirchen von Wien monumentale Kreuzwegfresken. Für Führich ist das Bild »im Hause des Herrn nicht Schmuck und Dekoration, sondern Lehrformel, die das geheimnisvolle Glaubensleben, welches in der Kirche wirkt, durch die Sinne dem Gemüthe zuführt, darstellt und vermittelt.« Immer wieder wird der Betrachter zum erlebnishaften Nachvollzug der Leiden Christi im Sinne einer »Compassio« (Mitleidens) angeleitet. In der Figurensprache spiegeln sich neben Albrecht Dürer auch Stilelemente der Spätrenaissance und des Manierismus. Durchgängiges Grundmuster der Figurensprache ist der bewusste Gegensatz zwischen der meditativ versunkenen Christusfigur zu den vielfach übersteigerten, zum Teil in Gestik und Mimik hemmungslose Gewalt ausdrückenden übrigen Handlungsträgern.
Wie der Vergleich der Kartons von Führich mit dem Kreuzweg in Ölgemälden von Konrad Schmider mehrfach zeigt, ist es Schmider hervorragend gelungen, die nazarenischen Intentionen durch bewusste Auslassungen zu verdichten und durch die farbliche Gestaltung der einfarbigen Vorlagen die Wirkung weiter zu intensivieren und damit weiter zu versinnlichen.
Konrad Schmider – ein Leben für die Kunst und den Glauben
Fährt man jetzt im Frühling in das überall aufblühende Langenbacher Tal bei Wolfach und zweigt man dann ab in das Tal des Übelbachs, stößt man bald auf den Schillingerhof, heute eine Pension mit »Ferien auf dem Bauernhof« (www.schillingerhof.de). Und freundlich wird man hier nicht nur empfangen, wenn man Ferien mitten im Schwarzwald machen will, sondern auch, wenn man frägt: Ist dies die »Heimet« von Konrad Schmider? Die heutigen Besitzer des Hofs heißen immer noch Schmider und die Senioren Manfred und Hedwig Schmider packen eifrig an und helfen mit, wenn die Besitzer Frank und Karin Schmider, wie zur Zeit, mit dem Umbauen und Erweitern der Gebäude beschäftigt sind. Gerne beantworten sie Fragen nach Konrad Schmider und packen die sorgsam verwahrten Kisten mit den Porträts und gesammelten Dokumenten von Konrad Schmider aus.
Diese Ölgemälde zeigen Konrad Schmider im Zenith seiner Kunstfertigkeit, zu der eben auch Porträtmalerei gehörte. Sie sind beeindruckende, liebevolle Charakterstudien seiner Eltern.
Konrad wurde am 12.11.1859 geboren und besuchte die Langenbacher Dorfschule. Stadtpfarrer Friedrich Schultheiß und Lehrer Eichkamm erkannten früh die künstlerische Begabung ihres Schülers und verschafften ihm eine Lehrstelle bei Maler Georg Straub.
Nach Abschluss der Lehre ging er zunächst zur Kunstgewerbeschule in Karlsruhe und anschließend studierte er erfolgreich an der dortigen Kunstakademie. Er entwickelte sich zu einem vortrefflichen Porträt- und Kirchenmaler. Im gesamten mittelbadischen Raum und in Donaueschingen bekam er in kurzer Zeit Aufträge und sicherte sich so seinen Lebensunterhalt. Zwei Beispiele von vielen: In Wolfachs St. Jakobskapelle stellte er die Gründungslegende anschaulich dar; in der Waldulmer Kirche St. Albin gibt es in eigenständigem nazarenischen Stil sein Altarbild der Heiligen Familie. Erst 1893 heiratete er in Baden-Baden Maria Lenz und ließ sich alsbald in Karlsruhe nieder. Genau dann, als für ihn
eine Karriere als höfischer Maler anstand, mit einem Auftrag zur Ausmalung des Mannheimer Schlosses, riss ein jäher Tod ihn aus dem Leben. Am 5. Juli 1898 stürzte er im Mannheimer Schloss vom Gerüst. Der »Kinzigtäler« berichtete, dass er während der Arbeiten auf dem Gerüst einen Schlaganfall erlitten habe, und die »Karlsruher Zeitung« wusste, dass der Schlossverwalter, der auf ihn gewartet hatte, ihn tot auf einer Steinstufe sitzend vorfand, neben ihm Bleistift und Notizbuch. Der mündlichen Überlieferung aber zufolge soll ihm ein neidischer Konkurrent das Gerüst gelockert haben, so dass er dadurch abstürzte. Nie konnte die Todesursache geklärt werden.
Die Nazarener – neu bewertet
Drei Rezeptionsphasen der Nazarener kann man aus heutiger Sicht bilanzieren:
Phase 1 (19. Jahrhundert)
Von 1809 an bilden die Nazarener eine Art studentische Aussteigergruppe, die an der Wiener Akademie der bildenden Künste sich gemäß dem Schutzheiligen der Maler »Lukasbund« nannte. Als Ziele nahmen sie sich vor: eine Befreiung der Gegenwart aus ihrer Rationalisierung und Sinnentleerung durch die Mittel der Kunst sowie die Erneuerung der religiösen Gesinnung durch Kunst. Der Rückgriff auf frühere Epochen und auf den Stil Raffaels und Dürers wurde bei ihnen zum Programm. Viele dieser Kunstschüler wurden erfolgreiche Künstler, Leiter von Kunstakademien, Direktoren oder Professoren. Große Verbreitung fanden ihre Werke im 19. Jahrhundert als druckgraphische Andachtsbilder; die Wiederaufnahme der monumentalen Freskenmalerei in kirchlichen und staatlichen Gebäuden trug wesentlich dazu bei, ihren Stil in der Öffentlichkeit zu verankern.
Phase 2, 1918 – 1980er Jahre
Zunehmende Ablehnung erfuhr die religiöse Kunst der Nazarener im 20. Jahrhundert, weil sie konträr war zu fast allen Kunstrichtungen dieser Zeit. Sie galt als rückständig; ihr fehle es an innovativen Impulsen. Sie galt für die meisten Künstler, Galeristen und Museumsdirektoren in dieser Phase als zu traditionalistisch und auch zu nationalistisch. Auf der religiösen Seite fegten die kunstgeschichtlichen Konsequenzen des 2. Vatikanischen Konzils viele Werke der Nazarener als »Kitsch« aus den Kirchen, obwohl die entsprechenden Erlasse des Konzils diese »Säuberungen« vom Wortsinn her nicht rechtfertigten.
Phase 3 ab 1960
Die Sicherung der monumentalen nazarenischen Wandfresken von Johann von Schraudolph im Speyrer Dom ab 1962 kann als Wendepunkt in der Beurteilung angesehen werden. Kleinere regional begrenzte, aber vor allem größere Ausstellungen, wie die in Frankfurt, Schirn Kunsthalle (2005), und im Landesmuseum Mainz (2012) mit ihren wissenschaftlich fundierten Katalogen bereiteten den Boden für eine neue Würdigung der Professionalität, des Eigenwerts und der künstlerischen Gesamtleistung der Nazarener.
Zwei Hinweise zum Thema Passion in der Kunst
- Schauen Sie sich doch in einer stillen Stunde den Kreuzweg von Konrad Schmider in der St. Symphorianskirche Zell (tagsüber immer geöffnet) an. Im Original erst strahlen sie ihre künstlerische bzw. religiöse Wirkung aus! Lassen Sie sich einmal darauf ein.
- Gerade um die Ecke ist, im Löwenberg-Museum Gengenbach, bis 25. Juni 2017 die Ausstellung »Passion. Leidenschaft« zu besichtigen. Hier werden die Gengenbacher Passionsteppiche (1600) in Bezug gesetzt zu moderner Kunst (Reiner) und zu aktuellen Erfahrungen des Leidens (Opfer einer Terrorgruppe). Eine bewegende Erfahrung ist der Besuch dieser Ausstellung auf jeden Fall!