Gestern vor 96 Jahren hat Johanna Braun in Pforzheim das Licht der Welt erblickt. Die Jubilarin erfreut sich einer erstaunlichen Rüstigkeit. Wenn nicht gerade Schnee liegt, dreht sie mit ihrem Rollator jeden Tag im Umkreis des Heims ihre Runden.
Thomas Dreher, kommissarischer Leiter des Pflegeheims »St. Gallus« zählt Frau Braun zu den seltenen »Phänomenen«, die sich bis ins hohe Alter ihr geistiges Interesse bewahrt haben. Er schätzt ihre Musikalität, mit der sie sich in der Eingangshalle ans Klavier setzt und klassische Werke zum Besten gibt, von Mozart bis Schubert.
Zu den Gratulanten gehörte auch Pfarrer Reinhard Monninger. Er freute sich, dass Frau Braun noch immer im Kirchenchor mitsingt. Der Kirchenchor hatte seinem Mitglied schon am Vorabend die Aufwartung gemacht und im Heim eine Chorprobe veranstaltet und sich anschließend zu einem gemeinsamen Essen zusammengesetzt. Neugierig hat sich Frau Braun erkundigt, ob das neue Programm für die Sommermusik schon stehe. Im letzten Jahr habe sie keinen Musikabend ausgelassen.
Nicht vergessen hat Johanna Braun jenen furchtbaren Fliegerangriff auf ihre Geburtsstadt am 23. Februar, bei dem über 17.000 Menschen ihr Leben verloren haben. Auch das Haus von Johannas Eltern wurde getroffen. Johanna und ihre Mutter hatten Glück, sie waren nicht im Haus. Auch der Vater nicht, der außerhalb der Stadt arbeitete. Aber die Großmutter und sieben andere Bewohner des Hauses fanden den Tod. Ein Erlebnis, das Johanna nicht vergessen kann.
Ihre erste Lehrer-Stelle nach dem Krieg bekam Johanna im nahen Weißenstein. 1951 erhielt Johannas Verlobter Alfons Braun an der Volksschule in Zell a. H. eine feste Anstellung. Damit war für die beiden der Zeitpunkt gekommen, sich das eheliche Ja-Wort zu geben. Heute kaum vorstellbar, dass Johanna damit automatisch ihre Anstellung als Lehrerin verlor. Lehrerinnen hatten damals unverheiratet zu sein. Als jedoch später die aus der Ehe hervorgegangene Tochter ins Gymnasium kam, wollte und durfte auch Johanna wieder unterrichten. Die Zeiten hatten sich geändert.
Zehn Jahre lang haben die Brauns im Schulhaus über den Klassenzimmern gewohnt. Dann entschlossen sie sich zu bauen. »Auf dem Lupfen waren wir die ersten und bekamen die Hausnummer Lupfen 1«, erwähnt Johanna nicht ohne Stolz. Auch nach dem schmerzlichen Tod ihres Mannes blieb sie in diesem Haus wohnen. Als sie jedoch in der Wohnung stürzte und sich einen schweren Bruch zuzog, schien es sinnvoller, das eigene Haus mit einem Platz im Pflegeheim zu tauschen.
Auch Bürgermeister Pfundstein ließ es sich nicht nehmen, der Jubilarin zu ihrem Ehrentag Blumen zu bringen. Es sei üblich, dass die Stadt ihren Bürgern in diesem hohen Alter bei jedem Geburtstag einen Besuch anbiete. »Wenn es mir weiterhin so gut geht, können wir eines Tages den 100. Geburtstag feiern«, prostete Frau Braun dem Bürgermeister mit erhobenem Sektglas zu. Zu ihrem Festtag hatte sich Frau Braun ihr Lieblingsgericht bestellt. Das Pflegepersonal verriet jedoch, dass die Portionen, die Frau Braun zu sich nehme, immer sehr überschaubar blieben. Zu ihren Gewohnheiten zähle jeden Abend vor dem Schlafengehen ein Achtel Spätburgunder, ließ sie die Besucher wissen.