Bereits zur Jahresmitte 2019 war die Entscheidung gefallen: Die Firma Holzbau Rombach, die das ehemalige Gasthaus »Sonne« gekauft hatte, wird nach dem Abriss des gesamten Gebäudes im kommenden Jahr hier mit dem Bau neuer Büro-, Tagungs- sowie Schulungsräume beginnen.
Noch einmal stand das traditionsreiche Gasthaus »Sonne« im Mittelpunkt, als die Freiwillige Feuerwehr das große Gebäude im Oktober als Objekt für ihre Jahresübung ausgesucht hatte und schon damals keine Rücksicht auf die Einrichtung zu nehmen brauchte. Nur wenige Tage später begannen die Vorbereitungen für den Abbruch des riesigen Gebäudetraktes. Teppichböden und Türen wurden entfernt, Teile der Inneneinrichtung demontiert. Die Dachisolierung verschwand in großen Containern, ebenso die noch vorhandenen Elektrogeräte. Bevor der Bagger anrückte, war das Dach des neuen rückseitigen Gebäudeteils bereits weitgehend verschwunden.
Das Gasthaus »Sonne« war das zweitälteste im oberen Teil des ehemaligen Reichstals Harmersbach. 1735 erhielt Christoph Heitzmann das Recht, »einen schilt aufzuhenckhen, mithin was man für einen wolle, Creutz, Sonnen, Cronen, was ihnen gefallen wirdt«. Damit verbunden war allerdings nur eine eingeschränkte Wirtschaftsgerechtigkeit, denn Vogt und Zwölferrat schienen schier eifersüchtig darüber zu wachen, dass Hochzeiten und Kindstaufen »ihrer« Stubenwirtschaft im Dorf vorbehalten blieben Während also das Gasthaus »Zur Stube« weiterhin mehr den Versammlungen des Rates und größeren Festlichkeiten diente, war die »Sonne« wohl eher eine Wirtschaft für die Handwerker und deren Zünfte, die sich erstmals ab Mitte des 17. Jahrhunderts formierten. Ein Stein im Keller des Gasthauses »Sonne« aus dem Jahre 1666 weist Zunftzeichen der Maurer, Müller, Bäcker, Zimmerer und Weber auf.
Abbruch mit Feingefühl
Baggerfahrer Matthias Ketterer weiß, wo er mit seinem 25 Tonnen schweren Bagger ansetzen muss. Präzise greift die Abbruchschere, die sich schier mühelos durch die Betonteile frisst, den Baustahl wie Gräten herausragen lässt oder ganze Stücke aus Wänden und Decken reißt. Hin und wieder löst Sorgfalt die fast unwiderstehliche Brachialgewalt ab. Das Abbruchmaterial muss sortiert werden. Gezielt und feinfühlig zieht Baggerfahrer Matthias Ketterer mit der grobschlächtig wirkenden Abbruchschere oder der nicht minder großen Sortiergabel dünne Kabel und Rohre aus der Wand oder hebt Fensterrahmen aus der Verankerung. Heizkörper und Eisenträger landen krachend auf einem Schrotthaufen, während Holz im bereit gestellten Container verschwindet. Aluminium- und Kunststoffteile werden separat abgelegt.
Erst Saal, dann Gästezimmer
1892 erweiterte derer damalige Besitzer Leonhard Schmider die Gaststätte um den ersten Festsaal in Oberharmersbach. Familienfeiern und Vereinsveranstaltungen waren im Sonnensaal an der Tagesordnung, 1976 wurde der Saal abgerissen, die Familie Hummel ließ stattdessen einen vierstöckigen Anbau mit modernen Gästezimmern und Fahrstuhl errichten.
Immer weiter dringt der Bagger in diesen Gebäudeteil vor. Stockwerk für Stockwerk arbeitet er sich nach unten vor. Staub verbreitet sich, immer wieder greift der versierte Baggerfahrer auch kleinste Teile und sortiert sie, während die Abbruchschere Stück für Stück den Fahrstuhlschacht und das gesamte Treppenhaus zerkleinert.
Leichter Modergeruch wabert über den Platz. Nachdem Arthur Hummel und seine Frau Elisabeth die Leitung des Hauses im November 2000 abgegeben hatten, war das Ende des renommierten Hauses abzusehen. Mehrere »Wiederbelebungsversuche« scheiterten, zuletzt mit einer Pizzeria. 2010 wurde das Haus verkauft und nur ein Jahr später übernahm es ein Schweizer Privatier. Jahre des Leerstandes folgten. Eine ganz andere Verwendung schien sich zur Zeit des Flüchtlingsnotstandes anzubahnen. Gespräche waren geführt, Umbauten sollten konkrete Formen annehmen, aber auch dieses Projekt verlief letztlich im Sand.
Den Rest wird nun der Bagger erledigen, der sich nach und nach im rückwärtigen Teil auf Kellerniveau vorgearbeitet hat. Nach der Weihnachtspause wird im kommenden Jahr der Abriss entlang der Talstraße fortgesetzt. Dann regeln auch zeitweise Ampeln den Verkehr auf der unmittelbar neben dem Haus vorbei führenden L94, bis der Bagger weiter ungehindert den älteren Teil des Gebäudes abtragen kann – und der wertvolle Stein aus dem Jahre 1666 geborgen sein wird.