22.49 Uhr zeigte die Uhr, als Siegfried Rappenecker nach seinem letzten Jahreskonzert in der Reichstalhalle den Taktstock endgültig aus der Hand legte. Stehend applaudierte das begeisterte Publikum und zollte damit nicht nur dem scheidenden Dirigenten seine Wertschätzung, sondern auch der musikalischen Leistung der über 70 Musikerinnen und Musiker.





Was Rang und Namen hat in der Musikwelt der Umgebung, hatte sich zum Abschiedskonzert eingefunden. Benachbarte Kapellen und der Bund deutscher Blasmusikverbände hatten ihre Vertreter geschickt, langjährige Weggefährten des scheidenden Dirigenten gaben sich ein Stelldichein. Vorstand Michael Gutmann begrüßte daneben auch die Politprominenz des Tales und geistliche Würdenträger.
»Zur Ruhe kommen« – das sollte die Weihnachtszeit mit sich bringen, wie Moderatorin Alisa Jilg mahnte, die mit Daniel Faist durch das Programm führte. Diese Stille intonierten die Musiker mit »Stille Nacht, heilige Nacht«. Und genauso mucksmäuschenstill war es nach über zwei Stunden in der Halle, als Dirigent Rappenecker mit leisen Tönen aus dem Volkslied »Guten Abend, gute Nacht« seinen musikalischen Abschied untermalte.
Damit war er frei, der Oberharmersbacher Dirigent nach 30 Jahren, aber diese Freiheit war wohl nicht gemeint, als er das Programm im ersten Teil des Jahreskonzertes unter dieses Motto stellte. Die Kapelle hat einfach den Fundus und die Virtuosität, um sich musikalischen Herausforderungen zu stellen, der Klassik wie auch der Moderne. Gioachino Rossinis Ouvertüre zu Wilhelm Tell eröffnete den klassischen Teil. Still und leise musste es sein, um auch die feinen Töne wahrzunehmen. Lena Jilg mit der Flöte und Anne Baumgartner mit dem Englisch Horn meisterten ihren Solopart, der immer wieder zwischen den fulminanten Akkorden des bekannten Motivs zu hören war.
Ein Tongemälde der besonderen Art komponierte Carlo Alberto Pizzini. Sein »Al Piemonte« versetzt den Zuhörer in jenen Landstrich im Nordwesten Italiens. In dieser Musikrichtung ist die Kapelle zu Hause. Trefflich verwob sie mit den ihr eigenen stilistischen Mitteln Land und Leute, Natur und Industrie und den vielfältigen kulturellen Einflüssen. Vor allem der Industrieteil forderte Posaunen, Tuben und Pauken, um das Hämmern der Maschinen umzusetzen.
Die Schlacht am Berg Isel durfte in der Trilogie der Freiheiten nicht fehlen. Ein waschechter Tiroler (Rudolf Fröhlich aus Haiterwang/Tirol) schilderte zwischen den Sätzen der Suite »Tirol 1809« inbrünstig den Freiheitsdrang seiner Vorfahren, den eine Unisono-Stelle aller Instrumente am Ende des ersten Satzes betont. Die Fortissimo-Stelle des Schlusses zeigt die Bereitschaft der Tiroler.
Marschmusik und zahlreiche exakt gesetzte Trompetensignale versinnbildlichen den Aufmarsch der Franzosen und mit abwechselnder Einarbeitung der »Marseillaise« deutete Komponist Sepp Tanzer an, zu wessen Gunsten sich die Schlacht wendet. Die rasch wechselnden Tempi, die den Aufmarsch, das Getümmel und schließlich die Siegesmeldungen wiedergeben, fordern die Musiker zu jedem Zeitpunkt, denn choralartig klingt auch die Trauer um die Toten an. Technik und Intonation müssen stimmen, um dieses Werk im Sinne des Komponisten zu interpretieren.
Der moderne Teil drehte sich um Schüler der berühmten Nadia Boulangers. Ihr gemeinsamer Treffpunkt wurde in Anlehnung an ihren Namen »Boulangerie« (Bäckerei) genannt. Da lag es nahe, dass die Holzofenbäckerei Lehmann die Literatur dafür stiftete. Leonard Bernstein, der dieses Jahr seinen 100. Geburtstag hätte feiern können, forderte mit der Ouvertüre zu »Candide« das Orchester vor allem in der Technik, die alle Register gleichermaßen beherrschen müssen, denn nur das perfekte Zusammenspiel lässt unterschiedliche Stile dieser zeitgenössischen Komposition perfekt erklingen.
Wie tänzerisch beschwingt und wie vielseitig die Kapelle in der Lage ist zu reagieren, bewies sie einmal mehr mit der Aufführung von Robert Russell Bennetts »Suite of American Dances«. Während »Cake Walk« als stolzer Tanz auf Marschmusik basiert, klingt »Schottische« im 2/4 Takt eher ähnlich einer Polka, während »Rag« hingegen als Gestaltungsmittel immer wieder das Betonungsschema aufbricht, unbetonte Schläge betont und so rhythmische Spannung erzeugt, mit der die vielseitige Tanzsuite abschließt.
Junge Kräfte sind in der Miliz- und Trachtenkapelle immer wieder gefordert. Diese Talente durften beim ersten wie beim letzten Stück ihre Fähigkeiten zeigen. Aaron Nock (Posaune) und Daniel Faist (Trompete) rundeten den Auftritt der Kapelle im Stile einer Bigband ab. »Soul Bossa Nova« hätte durchaus als schwungvoller Hit der »Rausschmeißer« sein können. Doch ohne Zugabe geht ein Dirigent nach 30 Jahren nicht. Mit dem »Deutschmeister Regimentsmarsch« und dem anschließenden »Locken« als Übergang zum »Radetzki-Marsch« wiederholten Siegfried Rappenecker und seine Musikerinnen und Musiker den Erfolg beim Blasmusikfest in Ellmau, als sie das Festzelt zum Kochen brachten. Zum Abschluss des Weihnachtskonzertes geht es etwas ruhiger zu, aber die stehenden Ovationen zeigten ein ehrlich überzeugtes und dankbares Publikum.