Das Projekt schien ein Selbstläufer zu werden. Der Achertäler Eisenbahnverein (AEV) musste 2013 seine regelmäßigen Dampfzugfahrten im Achertal einstellen. Als Ausweichlösung bot sich der Dampfzugbetrieb auf der Strecke im Harmersbachtal an. Doch dieses Projekt ist vorerst in ganz weite Ferne gerückt.
Seit 1968 verkehrte in den Sommermonaten regelmäßig der historische Dampfzug zwischen Achern und Ottenhöfen. Vor fünf Jahren beendete die Südwestdeutsche Eisenbahngesellschaft (SWEG) die Zusammenarbeit mit dem Verein. Man könne die »eisenbahnrechtlichen und betrieblichen Voraussetzungen nicht mehr vorhalten«, hieß es damals. Gekündigt wurden dem Verein Werkstatt- und Abstellflächen: damit war ihm im Achertal die Grundlage für den weiteren Betrieb entzogen.
Der Verein kündigte daraufhin an, nicht mehr regelmäßig im Achertal zu fahren und stattdessen ins Harmersbachtal umzusiedeln. Dort, so der Vorsitzende Bernd Roschach, gäbe es bessere logistische Voraussetzungen. Das künftige Ziel lag in greifbarer Nähe. Eine enge Verknüpfung gab es auch mit der Lok 20, die zuletzt im Achertal fuhr. Ihren letzten Arbeitseinsatz hatte diese auf der Harmersbachtalbahn.
Die Gemeinde erwarb die Lok 20, nachdem sie außer Dienst gestellt war, als Museumsstück. Am Bahnhof Dorf rostete sie einige Jahre vor sich hin, ehe die Mitglieder des AEV mit einem immensen Aufwand die Fahrtüchtigkeit wieder herstellten. »Wir haben rund 12.000 Arbeitsstunden und etwa 200.000 Euro investiert«, rechnet Bernd Roschach vor. Ein Vertrag regelte Nutzung und Eigentumsverhältnisse: das Fahrgestell gehört weiterhin der Gemeinde, der Kessel –wegen der Kosten – gehört dem AEV.
Im Harmersbachtal war die Euphorie groß. Vor allem Oberharmersbach schien das Projekt »Dampfzug« voranzutreiben. Man schwärmte von der »Stärkung des Tourismus im ländlichen Raum«. Bernd Roschach legte Zahlen für das Projekt vor. Schon 2015 sollten 12 planmäßige Betriebstage von Mai bis Oktober mehrere Tausend Gäste ins Tal locken, auch Sonderfahrten waren geplant. Selbst Fahrten bis Gengenbach waren angedacht. Dem Vorsitzenden des AEV schwebte auch vor, im historischen Lokschuppen beim Riersbacher Bahnhof eine Schauwerkstatt einzurichten.
Über einen Antrag sollten Mittel aus dem »Leader«-Programm der Europäischen Union bereitgestellt werden. Damit, so war sich damals der Oberharmersbacher Bürgermeister Siegfried Huber sicher, könnte man einen Großteil der Investitionskosten von ca. 600.000 Euro finanzieren, die restlichen 40 Prozent sollten die Talgemeinden Biberach, Zell, Nordrach und Oberharmersbach entsprechend einem »noch zu bestimmenden Verteilerschlüssel« tragen.
Doch die anfängliche Begeisterung zeigte bald deutliche Schleifspuren. Das Jahr 2015 zog vorüber. Im Mai 2016 erklärte Siegfried Huber, das Projekt sei »auf einem guten Weg«, aber der Antrag auf Fördermittel könne voraussichtlich erst im Spätjahr gestellt werden, wegen noch fehlender Genehmigungen und einer genaueren Ermittlung der Kosten.
Dampfplauderei – und dann dauerhafte Funkstille, wie auch das weitere Geschehen belegt, »Es ging bis heute kein Antrag ein«, erklärte auf Nachfrage Julia Kiefer, Geschäftsführerin der »Leader Kulisse Mittlerer Schwarzwald« in Schiltach. »Man kam einfach nicht in die Gänge«, klagt Bernd Roschach, der sich mit dem Projekt im Stich gelassen fühlt. So sah er sich gezwungen, nach Alternativen Ausschau zu halten, »um Einnahmen zu generieren«, wie er begründet, denn die Unterhaltung des rollenden Materials verursache laufend Kosten.
Die neuen Fakten sind bezüglich des Dampfbetriebs im Harmersbachtal eher ernüchternd. Seit September 2016 ist die Lok 20 zur »Schwäbischen Alb-Bahn« nach Münsingen umgezogen. Im Spätjahr 2017 hat der Gemeinderat den Kauf des Lokschuppens verworfen. Die Bürgermeister der Talgemeinden stehen momentan dem Projekt, nicht zuletzt aus Kostengründen, sehr skeptisch gegenüber. »Vielleicht klappt es doch irgendwann, in die Ortenau zurückzukehren«, zeigt Bernd Roschach ungebrochenen Optimismus.



»In weite Ferne gerückt«
In einer gemeinsamen Erklärung sehen Bürgermeisterin Daniela Paletta (Biberach) sowie Bürgermeister Günter Pfundstein (Zell a. H.), Carsten Ehrhardt (Nordrach) und Richard Weith (Oberharmersbach) in absehbarer Zeit nicht nur aus »betriebswirtschaftlicher Natur« keine Chance, das Projekt »Dampfzug« weiter zu verfolgen, trotz der zahlreichen Befürworter einer solchen Touristenattraktion. Wegen der anstehenden Demontage der Weiche zum Lokschuppen, der an eine Privatperson verkauft wurde, sei das Thema »in weite Ferne gerückt.«
Die allgemeine Erfahrung mit anderen historischen Dampfzugbetrieben, so der gemeinsame Tenor, habe »die Vermutung bestätigt, dass ein enormer Aufwand an ehrenamtlicher Arbeit erbracht sowie umfangreiche Finanzierungsmittel investiert werden müssen, um einen Zugbetrieb mit positiven und hinreichenden Auswirkungen auf den Tourismus der Talgemeinden in Gang zu setzen und dauerhaft in wirtschaftlich tragbarer Weise gewährleisten zu können«.
Unstrittig sei, »dass die Gemeinden für eine freiwillige Aufgabe, die der Tourismus nun einmal darstellt, ein hohes Maß an finanziellen und personellen Ressourcen bereitstellen müssten, soweit nicht potente Sponsoren ihr Interesse bekunden und sich in dieses Projekt einbringen«. Es sei aber genauso falsch, dem Vorhaben insgesamt eine endgültige Absage zu erteilen. Aber Bürgermeisterin Paletta sowie Bürgermeister Pfundstein, Erhardt und Weith sind sich einig. Aus den genannten Gründen werde »der Dampflokbetrieb´ in keiner der Talgemeinden – wenn auch aus teilweise verschiedenen Gründen – aktuell und in absehbarer Zeit als vorrangig zu verfolgendes Projekt betrachtet.«



Lange Irrfahrt
Die Lok 20 hat in den vergangenen 90 Jahren einiges gesehen – und erlebt. 1928 wurde sie von der Maschinenbau-Gesellschaft in Karlsruhe als Eigenentwicklung unter der Fabriknummer 2367 an die Badische Lokal-Eisenbahn-AG in Karlsruhe ausgeliefert. Sie ist schon länger ein Unikat, denn ihre einzige »Schwester« wurde in den 1960er Jahren verschrottet.
Nach ihrem Einsatz auf der Kraichgautalbahn zog sie ins Harmersbachtal um. Dort kam sie aber vorzeitig aufs Abstellgleis. Die Gemeinde Oberharmersbach erwarb sie als Denkmal, wo sie am Bahnhof Dorf jahrelang vor sich hinrostete.
1988 kümmerte sich der Achertäler Eisenbahnverein um die verbliebenen Teile. Sie wurde abtransportiert und in Achern auf einem Abstellgleis zwischengelagert.
Das Ende des Kalten Krieges war der Beginn für das zweite Leben der Lok 20. In der Panzerhalle der ehemaligen französischen Kaserne in Offenburg wurde die Lok in sämtliche Einzelteile zerlegt. Die Teile wurden sandgestrahlt, zum Teil neu angefertigt, lackiert und nach und nach wieder zusammengebaut. Mit der Neuanfertigung des Kessels in Meiningen war die Lok 20 wieder soweit hergestellt, dass sie im Juli 2005 zum ersten Mal wieder talauf, talab fahren konnte. Zweimal kam sie nochmals zurück ins Tal, 2006 und 2009, ehe sie 2016 auf der Schwäbischen Alb ein neues Domizil fand – Heimkehr ungewiss.