Wohin das Auge auch schaut: Die Apfelbäume hängen in diesem Jahr – im wahrsten Sinne des Wortes – brechend voll. Zudem hat das Mosten in Oberharmersbach vier Wochen früher als sonst begonnen, unter entsprechend besten Vorzeichen stehen die Apfel-Most-Wochen.
Gleich an der Einfahrt zum Lunzeburehof im Hagenbach wird man derzeit von Maschinenlärm und einem unvergleichlichen, apfelfruchtigen Duft empfangen: Die Mosterei der Familie Schwendemann ist in vollem Betrieb und damit auch das Lohnmosten für die Anlieferer aus den Nachbarorten.
Die mehrere Meter lange Entsaftungsanlage steht unter einem riesigen, nach vorne hin offenen Unterstand. Ein Traktor hat die hoch gefüllte Ladefläche seines Anhängers schräg gestellt. Die fruchtige Fracht landet auf einem Transportband – sie wird gewaschen, zerkleinert und gepresst, mit einer Stundenleistung von bis zu 500 Litern. Einen Teil des eigenen Saftes nimmt der Obstbauer in einem riesigen, 1.000 Liter fassenden Kunststoffbehälter mit nach Hause – zur Vergärung, zum anschließenden Schnapsbrennen.
Ein anderer Teil wird in fünf-Liter-Gebinde abgefüllt: in lebensmittelechte PE-Beutel im gut lagerbaren Karton. »Bag in Box« nennt sich das System. Dazu kommt der frische Saft zunächst in einen Zwischenbehälter, damit sich noch vorhandene Trübstoffe absetzen können. Gerade eben leert Mosterei-Inhaber Thomas Schwendemann den Bodensatz eines solchen Fasses auf dem Boden aus, auch dies trägt zu dem alles vereinnahmenden Apfelduft in der Mosterei bei.
Anschließend – noch am gleichen Tag – wird der Saft in einem Durchlauferhitzer schnell und vitaminschonend kontrolliert auf 78 bis 80 Grad Celsius erhitzt. Auf diese Weise werden Hefebakterien abgetötet. Da eine Gärung nun nicht mehr stattfinden kann, ist der Apfelsaft bis zu 24 Monate haltbar, mindestens jedoch zwölf Monate.
Seit acht Jahren ist die automatische Entsaftungsanlage in Betrieb. »Wegen der Witterung sind wir dieses Jahr runde vier Wochen früher, so früh waren wir noch nie«, konstatiert Thomas Schwendemann, Sonst immer sei es mit dem Mosten meist zur Oberharmersbacher Kilwi am ersten Septemberwochenende losgegangen. Heuer jedoch wird seit Anfang August Saft gemacht. 20 bis 30 Anlieferer kommen täglich, von morgens acht Uhr »bis abends um neun oder zehn.« Im Gegenzug wird die Mosterei in diesem Jahr wohl bereits Ende Oktober vollbracht haben, was sonst bis Mitte oder Ende November zu dauern pflegt.
Sehr gute Öchsle-Grade
»Von der Apfelausbeute her merkt man dieses Jahr nichts von der Trockenheit«, freut sich Thomas Schwendemann, der selbst auch Landwirt und Obstbauer ist. Wer also dachte, dass die Äpfel ob der Dürre des diesjährigen Sommers zu trocken seien, daher nicht schmecken und keinen oder nur wenig Saft geben, der irrt. Allenfalls etwas weniger Saft als sonst haben die Früchte, «aber das ist kaum spürbar.« Zumal das kleine Flüssig-Minus durch die extreme Menge an Früchten mehr als wettgemacht wird.
Überdies warten die Früchte mit bester Qualität auf.
Der 50-Jährige, dessen eigener landwirtschaftlicher Betrieb Apfelbäume auf eineinhalb Hektar stehen hat, erklärt: »Die Äpfel haben im Schnitt 50 bis 60 Öchsle, das ist sehr gut.« Will heißen: Die 2018er-Früchte haben einen hohen Zuckergehalt, und der ist überaus wichtig für den Geschmack.
Wobei die hohen Öchslegrade aktuell eine doppelte Besonderheit darstellen. «Wenn die Bäume so voll hängen wie dieses Jahr, bringt man die Äpfel normalerweise fast nicht auf 50 Öchsle, weil sie so dicht hängen«, weiß der Obstbauer, «aber dieses Jahr sind sie durch die enorme Sonneneinstrahlung reif.«
Dass die Bäume derart voll hängen, hat zwei Gründe. Zum einen war die Apfelblüte im letzten Jahr durch den späten Frost erfroren. «Dadurch hat sich der Apfelbaum ausruhen und im August viel Fruchtholz bilden können«, erläutert Thomas Schwendemann, »so dass er in diesem Jahr voll geblüht hat.«
Zum zweiten hat heuer auch das Wetter gepasst, »deshalb haben wir dieses Jahr eine tolle Ernte.« Zu dieser trägt ein weiterer Umstand bei: Die ersten Äpfel, die ein Baum abwirft, kann man in der Regel nicht zum Mosten verwenden – sie haben zu wenig Öchsle. Doch aufgrund der langen Sonneneinwirkung bringen es selbst diese Erstlinge auf mosttaugliche über 50 Öchsle.
Dürre-sprödes Holz
Wie aber haben die Apfelbäume der Hitze und Dürre dieses Sommers überhaupt trotzen können? Zwar wurzeln sie verhältnismäßig flach, doch laut Thomas Schwendemann reichen die bis zu 10 Zentimeter dicken Wurzeln auf ihrer Suche nach Wasser bis zu zwei Meter tief in den Boden hinein.
Allerdings: Die Dürre hat dafür gesorgt, dass das Holz der Apfelbäume spröder und damit bruchanfälliger ist als sonst, der schwergewichtige Behang tut sein übriges. Selbst Stützen können das nicht vollständig verhindern, »manchmal bricht der Ast vor der Stütze ab«, konstatiert der »Lunzebur«.
Dessen Lieblingsapfel ist eindeutig der Topaz, der zu den neueren Apfelsorten gehört. Die findet man in der Regel zwar nicht auf Streuobstwiesen, weil sie auf Ertrag gezüchtet wurden und nicht die Robustheit und Widerstandsfähigkeit der alten Sorten besitzen. Der Topaz allerdings ist resistent gegen den gefürchteten Apfelschorf, zudem lange lagerfähig. Und auch geschmacklich hat er das, was für Thomas Schwendemann einen guten Apfel ausmacht: süß-säuerlich nämlich muss ein solcher schmecken, und schön knackig muss er sein.
Und doch wäre ein sortenreiner Topaz-Saft kein wahrer Genuss: Je sortenreicher das Obst, desto aromatischer der Saft. »Nicht jede Apfelsorte schmeckt pur gut«, weiß Thomas Schwendemann, «den mag man dann auch nicht essen. Aber zusammen mit anderen Sorten macht so ein Apfel den Saft erst richtig gut.«
Apfel-Most-Wochen
Vom 24. September bis 7. Oktober finden in Oberharmersbach die Apfel-Most-Wochen statt, mit vielfältigen Veranstaltungen und kulinarischem Apfel-Erleben für Groß und Klein. Weitere Informationen bei der Tourist-Information Oberharmersbach, Telefon 07837/ 277, www.oberharmersbach.de.