Was Zwiebelschalen sagen

Alte Bräuche bestimmen das Wetter des kommenden Jahres

Jetzt an Heiligabend war es wieder so weit: Josef Ruf befragte die Zwiebelschalen nach dem Wetter des vor der Tür stehenden neuen Jahres. Seine Mutter Alberta aber setzte früher auf die Losnächte – auf die Nächte zwischen Weihnachten und Drei-König.

Eben noch hat Josef Ruf vor der Tür des über 100 Jahre alten Hofes Walnüsse aus ihrer schwarzen Schale geholt und in Säcke sortiert. Mit ruhigen und doch zielstrebigen Händen, denen man ansieht, dass sie das Arbeiten in und mit der Natur gewohnt sind.

Nun aber demonstriert er, wie sie geht, die Sache mit der Zwiebel: Die befreit er von ihrer äußeren braunen Schale, zerschneidet sie sorgsam in vier Teile. Von jedem Viertel werden die äußeren drei Schalen vorsichtig abgenommen und der Reihe nach ausgelegt, dann mit Salz bestreut.

»Das mache ich meist vor der Christmette«, erzählt Ruf, »ohne Kerze und Bromborium, einfach nur in einem stillen Winkel, wo ich von niemandem gestört werde.« Schließlich habe die Durchführung dieses alten Brauches etwas Meditatives, eine innerliche Ruhe brauche er dazu, »man muss sich darauf einlassen können. Schön langsam muss man die Schalen auslegen.«

Eine automatisch sanfte, nahezu feierliche Bewegung führen die Hände des Mannes aus, der als hauptberuflicher Gärtner den achtsamen Umgang mit der Natur verinnerlicht hat. In seiner Freizeit unterstützt er zudem den Bruder beim Bewirtschaften des landwirtschaftlichen Nebenerwerbshofes. Den hat Mutter Alberta vor vielen Jahren bereits übergeben, und auch sie ist hier oben, im Gewann Misslinke aufgewachsen, hat ihr gesamtes Leben hier verbracht.
Er ist nicht unbedingt einfach zu finden, dieser Hof im Oberharmersbacher Hinterland. Geschützt in einer tiefen Senke liegt er, zwischen Wäldern und Wiesen, mit einem atemberaubenden Blick in die Ferne. Wenn man dann hier oben schließlich angekommen ist, hat man das Gefühl, alle Hektik unten im Tal gelassen zu haben: »Für das ist ja die Weihnachtszeit da«, meint Josef Ruf: »Dass es besinnlich ist, zum Runterkommen von dem ganzen Stress.«

Zu kargen Zeiten

Betulich geht es hier oben allerdings keinesfalls zu, immer gibt es etwas zu tun. Auch heutzutage noch. Bevor sich – in der Nachkriegszeit – die Möglichkeiten eines Zu-Erwerbs ergaben, hatte der Hof Albertas damals zehnköpfige Familie in Selbstversorgung ernährt. »Alles in Handarbeit, wegen der Hanglage«, erinnert sich die Altbäuerin, »da hat man rund um die Uhr schaffen müssen, damit man was zum Leben gehabt hat.« Das, was minimal übrig blieb, »das hat dann gereicht, um den Müller zu bezahlen«, für’s Mahlen des Getreides.
Wenn unter diesen Umständen das Wetter nicht mitspielte, dann war das Leben mehr als karg. »Dann sah es böse aus«, so ihr historisch interessierter Sohn. Der erklärt: »Weil man vom Wetter abhängig war, versuchte man es zu Zeiten, als es noch keine Vorhersage gab, im Vorhinein zu bestimmen.« Beispielsweise mithilfe der ­Zwiebelschalen in der Christnacht.
Da die Zwiebel stark wasserhaltig ist, entzieht ihr das hygroskopisch wirkende Salz dasselbe. Wobei jedes der zwölf Schalenschiffchen für einen Monat des kommenden neuen Jahres steht. Die Wassermenge, die das Salz jeweils aus der Schale gezogen hat, sagt voraus, wie trocken oder nass der ihr zugewiesene Monat werden wird.

Wobei das Salz mindestens zwei Stunden einwirken sollte, oder auch über Nacht. »Nach der Christmette gucke ich, ob sich schon was getan hat«, erzählt Josef Ruf. »Manchmal ist es so, dass eine der Schalen überhaupt kein Wasser zieht, während die nächste randvoll ist, dass es überläuft.«

Trefferquote 70 Prozent

Die Ergebnisse notiert er sich. Und gibt ihnen eine Trefferquote »ähnlich wie dem Siebenschläfer: zu 70 Prozent triff das Orakel ins Schwarze.« Selbstverständlich auf den regionalen Raum bezieht sich dieses. Und: »Das alles hat natürlich auch ein bisschen mit Aberglaube zu tun«, lächelt Josef Ruf, der die Methode heutzutage zur Planung seines Urlaubs verwendet.

Seine Mutter hat das

Zwiebelschalen-Ritual früher ebenfalls durchgeführt: »Aber selten. Ich habe mich eher mit den Losnächten zwischen Weihnachten und Drei-König befasst.« Auch Raunächte werden sie genannt: Jene zwölf Tage zwischen dem 25. Dezember und Drei-König, die das Wetter der kommenden zwölf Monate abbilden.

»Jeder Tag steht für einen Monat im Jahr«, so die Altbäuerin, wobei der Dreikönigstag dann wieder der Lostag für das ganze Jahr ist. Was bedeutet: »Wenn es den Losnächten nach das ganze Jahr über trocken sein soll, aber am Dreikönigstag hat’s geregnet, dann hat sich das übers Jahr wieder ausgeglichen.«
Wenn nun also aufgrund der in den Losnächten notierten Ergebnisse der April nass werden sollte, »dann schaute man, dass man das Getreide schon im März in die Erde brachte – oder halt erst im Mai«, erklärt Josef Ruf, wie ein hiesiger Landwirt zu nicht-technisierten Zeiten sein Tun nach dem Orakel-Ergebnis plante. Wenngleich man sicher vieles auch intuitiv gemacht habe, »man hat einfach besser aufs Wetter geachtet und die Natur mit ihren Zeichen besser gelesen oder lesen können. Heutzutage nimmt man dagegen vieles nicht mehr war.«