Der Nordracher Pfarrer Matthäus Walser hat 1849 in einem 17-seitigen Brief an die katholische Kirchenleitung in Freiburg um die Rücknahme seiner Amts enthebung gebeten, die der staatliche Oberkirchenrat in Karlsruhe ohne Begründung verfügt hatte. Walser wurde vorgeworfen, zur Volksbewaffnung aufgerufen zu haben, nachdem er auf Drängen des Gemeinderats bei einer Bürgerversammlung die Forderungen der Demokraten vorgetragen hatte.
Am 3. September 1849 schreibt der Nordracher Pfarrer Matthäus Walser einen 17 Seiten langen Brief an die kath. Kirchenleitung in Freiburg mit der inständigen Bitte, sich für die Rücknahme seiner Amtsenthebung und Sperrung der Einkünfte einzusetzen. Darüber entschieden hatte damals nicht die bischöfliche Behörde, sondern der staatliche Oberkirchenrat in Karlsruhe. Der badische Staat behielt sich damals vor, über die Besetzung einer Pfarrei und damit auch über eine evtl. Amtsenthebung das letzte Wort zu haben. In der Regel geschah dies im Einvernehmen mit den Kirchen. Wenn daher der Bischof von Freiburg der Meinung war, eine Amtsenthebung, wie in diesem Fall, sei nicht gerechtfertigt, konnte er gegenüber der Regierung seine Gründe darlegen.
Für die Amtsenthebung von Pfarrer Walser wurden vom Karlsruher Oberkirchenrat keine Gründe angegeben. Der Pfarrer konnte sich aber denken, was der staatlichen Behörde aufgestoßen ist. Am 16. Mai besuchte er auf Verlangen des Gemeinderats eine eigens anberaumte Bürgerversammlung. Auf dieser sollte der Pfarrer die demokratischen Forderungen der Offenburger Verfassungsfreunde darlegen.
Treffen der Demokraten in Offenburg
Bei der Versammlung der Verfassungsfreunde in Offenburg am 13. Mai 1849 wurde unter anderem die sofortige Volksbewaffnung beschlossen. Pfarrer Walser war kein Mitglied dieser Versammlung, wohl aber war er an diesem Tag nach Offenburg gekommen, um evtl. Teilnehmer aus Meßkirch zu treffen, da solche bei den früheren Treffen in Offenburg vertreten waren. Walser stammte von Meßkirch, wo er 1796 zur Welt gekommen war. Von den Delegierten aus dieser Gegend wollte er nach eigenen Worten erfahren, ob es stimmt, wie in der Zeitung zu lesen war, dass eine Umlandgemeinde von Meßkirch sich mehrheitlich dem Deutschkatholizismus angeschlossen habe. Walser hegte nämlich die Absicht, sich für eine Pfarrstelle im heimatlichen Raum zu bewerben.
Der „Deutschkatholizismus“ war eine Bewegung, die auf einen katholischen Kaplan zurückging. Sie war äußerst rom- und traditionskritisch. Ausgelöst wurde sie von der Ausstellung des angeblichen Gewands Jesu, dem „Heiligen Rock“, in Trier.
Walser berichtet, er habe bei seinem Besuch im Offenburger „Zähringer Hof“ ein Flugblatt mit den Forderungen der Demokraten bekommen. Der Nordracher Gemeinderat, dem dies zugetragen wurde, drängte den Pfarrer, in einer Bürgerversammlung diese Forderungen vorzulesen und zu erläutern. In der Versammlung wurde der Pfarrer gefragt, was die Forderung nach einer „Volksbewaffnung“ für Nordrach bedeute. Ob sich die wehrfähigen Männer dem Oberkircher Beispiel folgend mit aufgepflanzten Sensen bewaffnen sollen. Als Antwort gab der Pfarrer zu bedenken, dass Spieße billiger wären. Es ist davon auszugehen, dass diese Äußerung in Karlsruhe den Stein des Anstoßes gab.
Was meint „Volksbewaffnung“?
Der Pfarrer hat in der Folge sogar einen Musterspieß anfertigen lassen, wie er später ehrlich zugab. Aber er habe diesen nicht an die Gemeinde weitergegeben, hält er sich später zugute. Am Schluss des Briefes räumt der Pfarrer ein sich ungeschickt verhalten zu haben und bittet die Behörde um Nachsicht. Er habe sich dem Drängen des Gemeinderats schwerlich entziehen können. Er sei überhaupt kein Revoluzzer. Domkapitular Haiz in der Freiburger Kirchenbehörde könne dies bestätigen. – Auf dem in Freiburg eingegangen Brief vermerkt der geistliche Amtsträger: „In den 1830er Jahren kannte ich den Pfarrer [Walser] als ruhigen friedliebenden Mann“.
Pfarrer Walser will in der Forderung der Offenburger Verfassungsfreunde nach einer „Volksbewaffnung“ lediglich einen finanziellen Vorschlag gesehen haben, keinesfalls einen Aufruf zur Volkserhebung gegen die großherzogliche Regierung. Wie aus den Regierungsblättern hervorgehe, belaufe sich der Etat für das stehende Heer jährlich auf 2 Millionen Gulden. Eine entsprechende Bewaffnung der örtlichen Bürgerwehren würden den Steuerzahler nur die Hälfte kosten.
In seiner Ehrlichkeit oder Naivität lässt der Pfarrer in seinem Brief dann aber doch auch Kritik einfließen, wie sie auch von Verfechtern einer Republik vertreten sein konnten: „Ihr wisst es aus den Regierungsblättern“ schreibt er den Domkapitularen, die den Bischof beraten, „dass seine königliche Hoheit jährlich 650.000 Gulden aus der Staatskasse bezieht“ und eigens für die „großherzoglichen Kinder…jährlich 78.000 Gulden“ aufgebracht werden müssen.
Der Empörung angeklagt
Von der Amtsenthebung war der Pfarrer völlig überrascht worden. Als er am 27. August 1849 ahnungslos nach Zell kam und ins Pfarrhaus gehen wollte, kam der Zeller Gendarm auf ihn zu und erklärte, er habe den Auftrag, ihn zu verhaften. Der Pfarrer habe ihm unverzüglich zum Bezirksamt Gengenbach zu folgen, wo er verhört werde. „Bei diesem Verhör erfuhr ich zu meiner größten Entrüstung, dass ich des Aufrufs zu den Waffen, also der Empörung angeklagt sei“, schreibt er an die bischöfliche Behörde.
Der Oberamtmann im Gengenbacher Bezirksamt gibt dem Pfarrer zu verstehen, dass Nordracher Bürger dem Amt mitgeteilt hätten, dass der Pfarrer sich zugunsten einer Volkserhebung ausgesprochen habe. Der Pfarrer glaubte, die missgünstigen Bürger zu kennen, die ihn angeschwärzt haben. In seinem Brief verdächtigt er konkrete Personen, mit denen er sich in der Vergangenheit gestritten habe. Er könne Zeugen benennen, die bestätigen würden, dass er nicht zum Aufruhr aufgerufen habe. An solchen Gegenzeugen habe jedoch der Oberamtmann kein Interesse gezeigt, hält der Pfarrer in seinem Brief fest.
Revolutionäre Stimmung in Nordrach
Als Beispiele für Feindseligkeiten gegen ihn, berichtet der Pfarrer der Kirchenbehörde, dass ihm im Juni zwei Jahre zuvor im Garten 100 Krautköpfe und 15 tragende Apfel- Birn- und Kirschbäume von unbekannt abgehauen wurden. Er habe diesen Schaden dem Bezirksamt gemeldet. Derselbe Oberamtmann, der ihn jetzt verhört und angeklagt habe, sei damals erst zehn Tage später aufgekreuzt. Er habe zwar den Schaden notiert, sei aber den Verdachts-Hinweisen des Pfarrers nicht nachgegangen. Er habe deswegen den Oberamtmann damals bei der großherzoglichen Regierung wegen Untätigkeit verklagt.
Dass er kein Aufrührer sei, sondern vielmehr die Aufrührer gegen sich habe, bewiesen nächtliche Ruhestörungen im Jahr zuvor, 1848, als er die Märzrevolution missbilligt habe. Daraufhin hätten Unbekannte in der Nacht Steine an die Fensterläden seines Arbeits- und seines Schlafzimmers geworfen und ihn lauthals als „Fürstenpfaff“ beschimpft. Man werde ihn anderntags zum Pfarrhaus hinauswerfen, drohten die Unbekannten. Ob es Männer oder Burschen waren, sei in der Dunkelheit nicht auszumachen gewesen. Als sich die Unbekannten trotz Ermahnung des Pfarrers nicht entfernen wollten, drohte ihnen der Pfarrer „zu schießen“. Dies habe Wirkung gezeigt. – Der heutige Leser des Briefes ist verwundert, dass ein Priester damals bewaffnet sein konnte.
Pfarrer im Gefängnis
Es ist davon auszugehen, dass die kath. Kirchenbehörde versucht hat, die Regierung zur Rücknahme der Amtsenthebung und Sperrung des Gehalts zu bewegen. Eine sofortige Wirkung hatten die vermutlichen Bemühungen jedenfalls nicht. Das laufende Verfahren gegen den Pfarrer wegen „Aufforderung zum bewaffneten Widerstand gegen die gesetzliche Regierung“ wurde erst am 4. Januar 1850 ausgesetzt. Bis Ende Februar musste der Pfarrer mit dem Gefängnis des Bezirksamtes Gengenbach vorliebnehmen. Von da ab durfte er die Amtstätigkeit als Pfarrer in Nordrach wieder aufnehmen. 1853 wurde er Pfarrer von Nöggenschwiel. Er starb 1869.
Staatlich verwaltete Akten sprechen davon, dass in Nordrach „Bürgermeister, Pfarrer, Lehrer und Gemeinderechner auf der Seite der Revolution stehen und dass mit dem Wirt Monsch und Pfarrer Walser zwei über das Dorf hinauswirkende Revolutionäre“ wirken. „Wie überhaupt die Zahl der durch die Revolution aktenkundig gewordenen Nordracher – 20 – als überdurchschnittlich zu bezeichnen ist.“
Im Gegenzug fanden sich 20 Nordracher Bürger, die mit ihrer Unterschrift bestätigten, dass Pfarrer Walser in der fraglichen Versammlung am 15. Mai 1849 „nicht im Geringsten zum Aufruhre oder zur Empörung gegen den Großherzog“ beigetragen habe.
Die Frage, ob Monarchie oder Republik die richtige Staatsform sei, bewegten gerade auch die der Kirche nahestehenden Kreise. An zwei konträren Beispielen sei dies deutlich gemacht.
Franz Joseph Ritter von Buß – ein Gegner der Republik
Der in Zell a. H. 1803 geborene Franz Joseph Buß wurde später an der Universität Professor für Staatsrecht. Zwar war er ein Freund demokratischer Mitbestimmung, aber ein entschiedener Gegner der Republikaner, welche die Monarchie abschaffen wollten. Da er 1848 auf dem 1. Katholikentag in Mainz zum Präsidenten gewählt wurde, mag seine politische Einstellung in gewisser Weise für einen Großteil der Katholiken repräsentativ gewesen sein.
Als 1849 in Baden der Aufstand gegen den Großherzog entflammte und diesen zur Flucht aus Karlsruhe zwang, verfasste Buß am 8. Juni 1849 ein Flugblatt gegen die „Wühler…auf der Volksversammlung in Offenburg“, welche mit ihren Forderungen den Aufruhr begünstigt hätten. Er beschimpfte die Mitglieder ungeschminkt als „eidbrüchige Beamte, gewissenlose Advokaten…verdorbene Buchhändler, Krämer, Apotheker, liederliche Schulmeister, fahnenbrüchige Soldaten und ausgebrochenen Sträflinge“ und machte sie als geistige Väter für den Aufruhr mitverantwortlich.
Bereits im Herbst 1848 hatte Buß die Radikalität von Republikanern bei einer Versammlung in Tauberbischofsheim zu spüren bekommen. Dort hat er einen „Katholischen Verein“ gegründet, der sich für die Rechte der Kirche im Staat starkmachen sollte. Gleichzeitig sprach er sich gegen das Programm der Republikaner aus. Als Buß nach der Versammlung im Pfarrhaus übernachten wollte, rottete sich eine Menge zusammen und drohte ihm, dass er die Stadt nicht unbeschadet verlassen werde. Noch in der Nacht verließ Buß heimlich mit Hilfe des Kaplans das Haus durch den Hintereingang.
Schwärmer für die Republik – Pfarrer Heinrich Hansjakob
Ein ganz anderes Verhältnis als Franz Joseph Buß zur Badischen Revolution hatte Pfarrer Hansjakob. Er hatte sie als 12-jähriger Bub in seiner Heimatstadt Haslach i. K. erlebt. Damals haben preußische Truppen die Aufständischen niedergeschlagen. Ein gewisser Hass auf die Preußen ist ihm lebenslang hängen geblieben. In der Beseitigung der Fürsten sah er eine vielversprechende Idee, führte er doch die Kriege in erster Linie auf deren Ehrgeiz und Machtgier zurück.
Nachdem Hansjakob an der Universität Freiburg sowohl in Theologie als auch in Geschichte die Examina abgelegt hatte, schickte die Kirchenleitung ihn nach Waldshut, wo ihm zugleich die Leitung der höheren Bürgerschule und eine Stelle als Kaplan übertragen wurde. Nebenbei gewann ihn die Katholische Volkspartei für einen politischen Vortag in Engen. Die dabei von Hansjakob an der Regierung geübte Kritik wurde ihm als schwere Staatsbeleidung ausgelegt. Sie brachte ihm eine mehrjährige Haft ein.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis stellte die Kath. Volkspartei Hansjakob im Wahlkreis Offenburg- Land erfolgreich für die Wahl zum Landtagsabgeordneten in Karlsruhe auf. Zwei Perioden gehörte er diesem Parlament an und scheint sich dabei mit der Regierung durch einen Großherzog abgefunden zu haben. Die Erfüllung seines Traums von einer fürstenfreien Republik hat er selbst nicht mehr erlebt. Diese kam erst 1918, am Ende des 1. Weltkrieges, zum Zug. Zwei Jahre zuvor war der streitbare Pfarrer gestorben.
Monarchie oder Republik von relativer Bedeutung
In der Frage des richtigen politischen Systems kommen die drei kirchlich geprägten Persönlichkeiten, der Nordracher Pfarrer Matthäus Walser, der Zeller Franz Joseph Ritter von Buß und der Haslacher Heinrich Hans jakob zu unterschiedlichen Vorlieben. Als die Französische Revolution 1789 den König umbrachte, siegte die Republik. Zwar gab es später nochmals einen Bürgerkönig, aber am Ende setzte sich die monarchenfreie Republik durch.
In Deutschland flammte das republikanische Modell zwar schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf, wie die badische Revolution in den Jahren 1848 und 1849 zeigt, musste jedoch bis nach dem Ersten Weltkrieg auf ihre Durchsetzung warten.
England und die skandinavischen Länder Dänemark, Norwegen und Schweden demonstrieren, dass sich parlamentarische Demokratie und Königtum miteinander versöhnen lassen.
Wichtiger als die Frage nach dem staatlichen System wird sein, dass Regierung, Gesetzgebung und Rechtsprechung sich im Rahmen der Menschenrechte und Menschenpflichten bewegen.
Literatur:
Wolfgang Gall, Der Landeskongress der Badischen Volksvereine vom 12. und 13. Mai 1849.In: Die Ortenau, Jg. 1998, S. 96-101.
Manfred Hildenbrand, Heinrich Hansjakob. Rebell im Priesterrock. Haslach 2000. Bildentnahme S. 67
Quellen:
Archivalien des Erzb. Ordinariats
Mein besonderer Dank gilt Thomas Laifer, Historischer Verein Nordrach, für seine Vorarbeit und Unterstützung.