Im Nordrachtal haben sich, für ein Schwarzwaldtal ungewöhnlich, sehr unterschiedliche Wirtschaftsformen nebeneinander entwickeln können.




Bereits im Jahre 1891 haben Dr. Otto Walther und seine Ehefrau Dr. Hope Bridges Adams ein Lungensanatorium im Ortsteil Kolonie eröffnet, wodurch sich Nordrach zu einem bedeutenden Luftkurort mit vier Lungensanatorien entwickeln konnte. Im Jahre 1962 hat Erwin Junker eine Maschinenfabrik gegründet, die innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem weltweit agierenden Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau aufsteigen konnte. Von den früher mehr als zehn Sägewerken sind noch vier übriggeblieben. Unter ihnen ragt das Sägewerk Echtle heraus, das sich mit seiner großen Verarbeitungspalette von Weißtannenholz zu einem Vorzeigebetrieb entwickeln konnte. Das Sägewerk versorgt auch über sein selbst aufgebautes Fernwärmenetz mehr als jedes dritte Haus in Nordrach mit Fernwärme.
In den letzten Jahrzehnten gab es immer wieder einmal Zeiten, in denen es Krisen gab, von denen aber immer nur ein Bereich der Nordracher Betriebe betroffen war. Dies ist in dieser Corona-Krise anders, sie trifft mehr oder weniger alle.
Maschinenfabrik Junker
Der Strukturwandel in der Autoindustrie, der Brexit und der Handelsstreit zwischen Amerika und China haben insbesondere Auswirkungen auf den Maschinenbau und damit auch auf die Firma Junker. Seit März 2020 wurde nun fast die ganze Welt durch das Corona-Virus wirtschaftlich lahmgelegt. Auch die Firma Junker ist hiervon betroffen, weil weltweite Lieferketten unterbrochen sind und da nahezu alle weltweiten Automobilhersteller und Zulieferbetriebe ihre Produktion eingestellt hatten oder diese immer noch stillsteht. Der Betrieb in Nordrach hatte daher zu Beginn der Osterferien eine dreiwöchige Betriebsruhe durchgeführt. Seit dieser Woche arbeitet die Firma bedarfsorientiert in allen Abteilungen in Kurzarbeit weiter. In den tschechischen Werken erfolgte keine Betriebsruhe. Dort wurde überwiegend gearbeitet, einige Mitarbeiter waren jedoch auch dort in Kurzarbeit.
Der weltweite Kundendienst rund um die Uhr ist nach wie vor gewährleistet. Die Firma ist technisch in der Lage, bei Problemen Ferndiagnosen und Fernwartungen durchzuführen, so dass nicht in jedem Fall eine physische Monteur-Anwesenheit erforderlich ist. Zudem hält die Firma in vielen Ländern der Welt Service-Standorte vor, so dass auch bei weltweiten Kunden bei Bedarf ein Vor-Ort-Serviceeinsatz möglich ist.
Zu den Corona-Schutzmaßnahmen teilte Prokurist Dr. Karsten Schaumann mit: „In den letzten Tagen haben wir unsere vor Wochen bereits implementierten Corona-Regeln und -Maßnahmen mit den derzeitigen Empfehlungen der Bundesregierung abgeglichen, um für unsere Mitarbeiter einen bestmöglichen Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherstellen zu können. Unsere bisherigen Corona-Regeln haben wir an der ein oder anderen Stelle noch verfeinert und zudem noch zusätzliche Maßnahmen implementiert. Unsere Mitarbeiter haben wir mit den bei uns ab dem 27.04.2020 geltenden Neuerungen bereits Ende letzter Woche auf dem Infoportal auf unserer Homepage vertraut gemacht. Dem Schutz der Gesundheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt bei uns ein besonders hoher Stellenwert zu.
Wir ermöglichen unseren Büro-Mitarbeitern zudem dort, wo es möglich ist und Sinn macht, weiterhin Home Office. Auch das bereits Mitte März eingeführte morgendliche Fiebermessen aller Beschäftigten führen wir unverändert bis auf Weiteres fort“.
Trotz der aktuell schwierigen Situation ist JUNKER überzeugt, die Krise zu meistern, mit neuen Ideen und neuem Schwung wieder in die Erfolgsspur zu kommen und auch weiterhin die Spitzenposition im Hochgeschwindigkeitsschleifen zu behaupten.
Sägewerk Echtle
Das Sägewerk Echtle konnte bisher ohne Einschränkungen weiterarbeiten. Geschäftsführer Manuel Echtle: »Durch unsere Nischenprodukte und große Vielseitigkeit ist die Nachfrage konstant auf gutem Niveau. In der Regel haben wir langfristige Verträge (speziell im Export). Dort gab es (vor allem für den chinesischen Markt) Terminverschiebungen, doch wurden keine Aufträge storniert. Durch verschiedenste Maßnahmen haben wir Vorkehrungen zum Schutz der Mitarbeiter getroffen. Dadurch sollte gewährleistet sein, dass der Betrieb bei einem auftretenden Corona-Fall weitergeführt werden kann. Welche Auswirkungen das Virus langfristig noch bringt, ist völlig offen.«
Weitere Firmen
Auch andere holzverarbeitende Betriebe haben derzeit keine Probleme. Die Sägewerke Martin Fehrenbacher und Michael Schnurr haben eine mehr oder weniger unveränderte Auftragslage. Die Zimmerei Fehrenbacher kann sich sogar über zusätzliche Aufträge freuen. Auch die Spedition Fehrenbacher hat nach wie vor volle Auftragsbücher.
Die beiden Einzelhandelsgeschäfte Christine Herbrik und Dorothea Lehmann können die Nordracher wie bisher mit den Dingen des Alltags gut versorgen. Beide Firmen boten schon vor der Krise einen Heimservice an, der unverändert in Anspruch genommen wird. Dorothea Lehmann beklagt, dass sie derzeit dadurch Einbußen hat, da keine Feste und Feiern stattfinden dürfen, die sie normalerweise beliefern könnte.
Manuela Echtle nutzte die zwangsweise Schließung ihres Friseursalons, um den Kundenraum umfassend zu renovieren. Ein neuer Fußboden, eine einladende Kaffeeecke, neue Wandregale und eine neue Theke sorgen für ein freundliches Ambiente und werden ihren Kunden sicherlich gefallen. Sie selbst freut sich darauf, ab Montag, 4. Mai ihre Kunden wieder bedienen zu können.
Kurbetrieb
Der Nordracher Kurbetrieb hat bereits früher zwei wichtige Kurkliniken verloren. Die Kurklinik Nordrach wurde bereits Ende November 1998 geschlossen, danach wurden die Gebäude als Morada-Hotel genutzt. Seit Ende 2017 stehen die Gebäude leer.
Das Median Haus St. Georg, ehemals Lungensanatorium Rothschild, wurde Ende Augst 2019 geschlossen. Was aus dem ortsbildprägenden, unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wird, ist derzeit völlig offen.
Winkelwaldklinik
Die Winkelwaldklinik hat die Lehren aus der Kurkrise in den 90er Jahren gezogen und als Fachklinik für die onkologische Rehabilitation auch zusätzlich die Bereiche geriatrische Rehabilitation, Kurz- und Langzeitpflege integriert. Diese Diversifizierung zahlt sich nun aus. Geschäftsführerin Bettina Lehmann-Isenmann: »Die Corona-Krise hat gewaltige Auswirkungen auf die Klinik. Wir haben ab März Kurzarbeit im Bereich der Onkologie angemeldet. Die Rentenversicherungsträger empfehlen derzeit, zu keinen Heilverfahren einzuladen. AHB-Maßnahmen können weiter aufgenommen werden. Derzeit rehabilitieren wir 10 Patienten in der Onkologie, in normalen Zeiten wären es 100. In der Geriatrie ist die Auslastung ordentlich und in der Pflege sind wir voll belegt. Sehr schmerzlich für unsere Pflegeabteilung ist das derzeitige Besuchsverbot. Generell werden alle Reha-Kliniken ums Überleben kämpfen.«
Franz-Alexander-Klinik
Die Franz-Alexander-Klinik Nordrach, die auf dem Gelände des geschlossenen Haus St. Georg steht, ist ein offen geführtes Akutkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie mit 34 Betten. In einem patientenzentrierten Rahmen können Patienten aus dem gesamten Spektrum psychischer Störungsbilder behandelt werden. Der Chefarzt Dr. med. Tobias Hornig zur derzeitigen Situation: »Aufgrund der Corona Pandemie haben gerade am Anfang der Kontaktbeschränkung einige Patienten die Klinik verlassen oder sind deshalb nicht angereist. Dieser Trend hat sich aber im Verlauf nicht bestätigt, so dass wir eine zufriedenstellende Belegung haben und unserer Klinik aktuell keine Kurzarbeit droht.
Was uns aber Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass die Menschen teils aus Angst, Verunsicherung oder aus Unwissenheit heraus die Haus- und Facharztpraxen immer seltener aufsuchen, so dass auch bei uns die Anmeldungen für einen stationären Aufenthalt deutlich zurückgegangen sind. Was aber natürlich nicht bedeutet, dass es weniger Erkrankungen gibt – eher im Gegenteil, gerade was psychische Störungsbilder angeht. Dieses Phänomen berichten die Kollegen fast aller Fachgebiete und wir befürchten daher einen Ansturm im weiteren Verlauf. Die Gefahr besteht dann natürlich, dass wir Patienten mit weit fortgeschrittenen Krankheitsverläufen sehen«.
Gaststätten und Beherbergungsbetriebe
Diese Betriebe wurden von einem auf den anderen Tag zwangsweise geschlossen, die Wiedereröffnung ist noch nicht abzusehen. Mühlenstüble und Pizza Nordrach bieten Essen auf Abholung an. Beherbergungsbetriebe haben keinerlei zusätzliche Einnahmenmöglichkeiten.
Gemeindeleben
Die wirtschaftlichen Folgen der Krise sind nur ein Aspekt, der zu beachten ist. Auch das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der Gemeinde ist kurz nach der Fasend vollkommen zum Erliegen gekommen. 31 Nordracher Vereine und das Bildungswerk prägen üblicherweise maßgeblich das ganze Jahr über den Veranstaltungskalender. Alle sind derzeit zum Nichtstun verdammt. Fußballer, Sportkegler und Tennisspieler können keine Wettkämpfe austragen. Die Wander-, Radfahr- und Kletterangebote des Schwarzwald- und Alpenvereins, die monatlichen Veranstaltungen des Altenwerks und die kulturellen Veranstaltungen des Bildungswerks, darunter Vorträge, Theaterfahrten und die Pfingstfahrt nach Sardinien, alle fallen aus. Die musizierenden Vereine können weder proben noch auftreten, das Jahreskonzert der Trachtenkapelle musste abgesagt werden.
Kirchen
Die Kirchen könnten den Menschen gerade in dieser schwierigen Zeit seelischen Beistand leisten. Aber auch sie fallen unter das »umfassende Kontakt- und Versammlungsverbot«. Wenigstens bleiben die Kirchengebäude geöffnet, Gottesdienste dürfen aber nicht stattfinden.
Pfarrer Bonaventura Gerner dazu: »Es war ein seltsames Gefühl, die Kar- und Ostertage ohne Gemeinde zu erleben. Zugleich war es sehr berührend, wie viele Menschen von Palmsonntag bis Ostermontag unsere gestalteten Kirchen aufgesucht haben, sei es um die eige-
nen Palmzweige/Palmstangen segnen zu lassen oder für sich und andere (Kranke) gesegnete Palmzweige mitzunehmen, vom Seelsorgeteam gestaltete Gebetstexte mitzunehmen (wir mussten mehrfach nachdrucken). An Ostern haben sehr viele Menschen unsere Angebote, gesegnete Osterkerzen mitzunehmen, angenommen. Ein seltsames Gefühl lösen die Sonntage aus, denn es wären jetzt Erstkommunionfeiern. Das schmerzt schon, dass das Seelsorgeteam mit den Eltern mit Herzblut die Kinder auf deren Feier vorbereitet hat und diese auf unbestimmt verschoben ist. Traurig ist auch, dass wir kranke Menschen nicht besuchen dürfen und nicht die Krankenkommunion wie gewohnt bringen und auch nicht die Krankensalbung spenden dürfen. Sehr schmerzlich ist auch, dass die Beerdigungen und Trauerfeiern nur im familiären Kreis im Freien erlaubt sind. Ich bin froh, dass Anfang Mai entschieden wird, in welcher Form, dann ab Mitte Mai wieder Gottesdienste gefeiert werden dürfen. Die Teilnehmerzahl wird gewiss beschränkt sein, wie auch Hygienevorschriften dann umgesetzt werden müssen, ein kleiner Lichtblick. Ich halte die staatlichen Maßnahmen/Einschränkungen für absolut notwendig, auch wenn diese schmerzlich sind. Die Gesundheit der Einzelnen darf nicht gefährdet werden und muss daher, so gut es geht, mit dem gegenwärtigen Wissensstand geschützt werden«.
Pfarrer Reinhard Monninger trägt ebenfalls die Entscheidungen der verantwortlichen Politiker mit. Auch ihm fehlen die Gottesdienste und Gemeindekreise sowie die vielen Begegnungen. »Als Pfarrer bin ich Brückenbauer zwischen Gott und den Menschen und will an beiden Ufern andocken. Der Kontakt zu den Menschen ist jedoch nicht mehr so einfach«, beklagt er. Selbst Beerdigungsgespräche könne er nur noch am Telefon führen und auf dem Friedhof stehe er dann am Grab zusammen mit nur wenigen Angehörigen und den Sargträgern mit Mundschutz, eine fast gespenstische Szene. Seit kurzer Zeit stelle er Video-Predigten auf die kirchliche Homepage (EKI-Zell.de) ein und gehe dann am Sonntagmorgen in die Kirche, wo er sich mit wenigen Gläubigen am Orgelspiel erfreue. Pfarrer Monninger gewinnt der derzeitigen Situation auch etwas Gutes ab: »Statt der sonstigen Außenkontakte steht jetzt die Familie im Fokus: Gespräche, Musik, gemeinsames Kochen und Wandern zeigen mir, wie kostbar mir meine Lieben sind. Ich würde sie jederzeit mitnehmen auf eine einsame Insel – diese Insel ist jetzt unser Pfarrhaus«. Er bedauerte, auch ein persönliches Fest nicht angemessen feiern zu können, die Silberne Hochzeit mit seiner Ehefrau Bianca.
Gemeinde Nordrach
Die Gemeinde Nordrach ist Träger der Grundschule und führt zusammen mit der katholischen Pfarrei den Kindergarten. Beide Einrichtungen sind seit dem 17. März 2020 auf unbestimmte Zeit geschlossen. Ob und wann das Freibad eröffnet werden kann, weiß derzeit ebenfalls niemand. Die täglich geführten Wanderungen, ein Markenzeichen des Luftkurorts, mussten eingestellt werden. Darunter haben auch die Höfe zu leiden, die mit ihrer hochgelobten Bewirtung für den krönenden Abschluss der Wanderungen gesorgt haben.
Bürgermeister Carsten Erhardt bezeichnet die Corona-Pandemie als eine der größten Herausforderungen seit dem 2. Weltkrieg. »Ich mache mir Sorgen um die Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Nordrach und der Region«, betont er. »Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Gemeinde wird sich verschlechtern. Die öffentliche Hand ist dazu angehalten, durch antizyklische Investitionen die Wirtschaft zu unterstützen. Deswegen werden die geplanten Großinvestitionen in unsere Wasserversorgung in diesem Jahr durchgeführt. Ebenso werden wir an der Umsetzung des Landessanierungsgebiets festhalten. Jedoch werden wir auch bei diesen und anderen Investitionen nochmals kritisch nach Einsparpotentialen suchen. Die Zeitpläne werden sich leider etwas nach hinten schieben«. Konkretere Auskünfte zu Finanzentwicklung und künftigen Veranstaltungen (Brennhislitag, Kilwi) wollte Erhardt nicht geben: »Ich möchte nicht durch Nebelstocherei dazu beitragen, weitere Verwirrung zu stiften«.