»Viele Leute denken, das macht die Gemeinde«, erzählt Herbert Spitzmüller. Doch die heuer zwölf weihnachtlichen Lichterketten á 30 Meter hat er mit Sohn Lukas an dem Lebensbaum angebracht, der auf seinem Hof unterhalb einer 1916 von einem Kriegsgefangenen gepflanzten Fichte steht.
Sie ist ein markanter Baum: die alte Drei-Wipfel-Fichte auf dem Spitzmüller’schen Hermehansenhof, ein Stück oberhalb des Dorfes. In der Weihnachtszeit jedoch stiehlt ihr inzwischen eine auch »Lebensbaum« genannte Thuja die Schau, sobald ihr Lichterkleid in der Abenddämmerung weithin sichtbar zu leuchten beginnt.
»Über 40 Stunden bin ich mit meinem Sohn bis jetzt drangehockt«, rechnet Herbert Spitzmüller zusammen – für die Vorbereitung und fürs Anbringen der Lichter. »Letztes Jahr hatten wir ein einfaches Ding dran, aber jetzt haben wir ’ne Verstärkung reingemacht.« Gemeint ist ein Gestell rund um das Gewächs, in das die zwölf Lichterketten eingehängt werden. Die werden jeweils einzeln mit einem Seil über den Baum gezogen, so dass insgesamt 24 Stränge zu beiden Seiten leuchten, »das ist ein Haufen Arbeit.«
»Angefangen haben wir früher mit vier Ketten, was natürlich nicht so beeindruckend ausgesehen hat«, erinnert sich der Landwirt, der zudem in der Winkelwaldklinik halbtags im Außenbereich Hausmeisteraufgaben wahrnimmt. Doch in dem Maße, wie der Lebensbaum wuchs, wurde aufgerüstet. Um hinauf in die Spitze kraxeln zu können – nach Adam Riese zwölf muskelfordernde und konditionsfördernde Male – hat das Vater-Sohn-Gespann mittlerweile eine Elf-Meter-Leiter in das Innere der Thuja gestellt, zwischen deren fünf oder sechs Stämme, »an diese Leiter haben wir nochmal ’ne sechs-Meter-Leiter gebunden.« Mit Blick auf die Zukunft, sprich auf weiteres Wachstum, ragen die Sprossen drei Meter über den immergrünen Wipfel hinaus.
Aus eigener Tasche
Einige hundert Euro Materialkosten hat Herbert Spitzmüller in diesem Jahre berappt – denn die bislang verwendeten Lichter wurden im letzten Jahr vom Sturm zerstört. Immerhin ein Gutes hat der teure Schaden jedoch: Die alten Ketten waren 90 Meter lang, da musste man mit einer einzigen Lichterkette immer wieder hoch und runter«, so der 54-Jährige. Ein kompliziertes Unterfangen, da sich die extrem langen Kabel im Inneren des Baumes immer wieder verhedderten und verwickelten. »Deshalb hab’ ich gesagt, das mach’ ich nicht mehr. Jetzt sind’s mit der Kette 15 Meter hoch und 15 Meter runter und dann kommt der Stecker«, ist der Hofbauer froh um wenigstens diese Erleichterung beim Schmücken der Thuja.
Die ist laut Spitzmüller »noch keine 30 oder 40 Jahre alt« und somit ein Jungspund im Vergleich zu der Fichte, die ein Stück hangaufwärts über ihr thront und mehr als ein Jahrhundert »auf dem Buckel hat«. Auf dem Gelände eines Hofes, der 1809 erbaut wurde und vor fünf Generationen in die Hände der Spitzmüller-Familie kam. Des heutigen Hofbauern 1901 geborener Großvater war es, der die besondere Entstehungsgeschichte des Nadelbaumes erlebte und dessen einstiges Erzählen Herbert Spitzmüllers älterer Bruder Ulrich (58) festgehalten hat.
Der Friedensbaum
Im Sommer 1916 arbeitete besagter Großvater gemeinsam mit einem jungen Kriegsgefangenen, der dem Hof als Zwangsarbeiter zugewiesen worden war, in einem zum Abflämmen bestimmten Eichbosch. Dabei entdeckte der Ukrainer einen kleinen Fichtenschößling. Um ihn vor dem Feuer zu bewahren, grub er ihn mit den Händen aus und pflanzte ihn an seine jetzige Stelle, wo er sich zu einem stattlichen Riesen entwickelt hat.
Als der Ukrainer ein Jahr später in seine Heimat zurückkehren konnte, ließ er ein Passbild zurück mit dem Auftrag, dieses an dem Stamm der Fichte anzubringen, sobald dieser Platz dafür böte. Heutzutage ziert eine Gedenktafel den Stamm, der im Jahr 2016 — zum 100-jährigen Jubiläum des Weltkriegsendes — einen Umfang von 3,2 Metern und einen Durchmesser von rund einem Meter aufwies. Die Höhe des geschichtsträchtigen Exemplars ist nie gemessen worden, »aber Fichten können bis zu 60 Meter hoch werden«, weiß Ulrich Spitzmüller.
An Kummer gewöhnt
Besonders gehütet, wie etwa gedüngt oder gewässert, wird die, von ihrer Historie her zum Weihnachtsgedanken und damit zum bevorstehenden Fest passende, »Friedensfichte« nicht. Dennoch haben ihr weder Sturm noch Trockenheit oder Borkenkäfer etwas anhaben können. »Dadurch, dass sie einzeln steht, hat sie viel stärkere Wurzeln und ist viel kräftiger, als es im Wald der Fall wäre«, erklärt Bruder Herbert.
Und weil sie auf einer Anhöhe stehe und damit auf einem »wenig nassen Platz«, sei sie an Trockenheit, an Kummer sozusagen, gewöhnt und robust. Im Gegensatz zu Bäumen, die regelmäßig mit Wasser versorgt werden. »Wenn die dann in einem heißen Sommer auf einmal nichts mehr kriegen, haben sie ein Problem«, weiß der Hofbauer.
Ihre Robustheit komme der Fichte auch in Bezug auf den Borkenkäfer entgegen, meint er. Allerdings würde höchstens hie und da ein vereinzelter Schädling den Solitärbaum anfliegen, »normalerweise ist der Käfer ja direkt im Wald drin.«
Was Kindheitserinnerungen betrifft, so ist für Herbert Spitzmüller nur eine mit der alten Fichte verbunden: »Als Kinder haben wir mal ein paar Nägel reingeschlagen, so richtig lange Zimmermannsnägel, an denen sind wir den Stamm hochgeklettert.« Wahrscheinlich sehe man die nun nicht mehr, »die sind total eingewachsen«, vermutet er und lacht: »kleine Kinder machen so Sachen.«