Was schon seit einigen Wochen in Nordrach Talgespräch war, ist seit Freitag beschlossene Sache: die RehaZentren Baden-Württemberg geben den Standort Nordrach auf. Die Grundsatzentscheidung zur Schließung in Klausenbach und zur Verlagerung in das Glottertal und nach Baden-Baden wurde am Freitag vom Vorstand der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg, die 100-prozentige Gesellschafterin der RehaZentren Baden-Württemberg ist, getroffen.




Als Hauptgrund wurde genannt, dass für den Standort in Nordrach-Kolonie nicht mehr genügend Fachpersonal gefunden werden könne,
um die Strukturanforderungen der Deutschen Rentenversicherung erfüllen zu können. Den derzeit 90 Mitarbeitern in Nordrach wurde angeboten, dass sie an den neuen Standorten weiterbeschäftigt werden. Bis zur Betriebsverlagerung wird der Klinikbetrieb in Nordrach weitergeführt.
»Die Grundsatzentscheidung ist gefällt. Die große Veränderung trifft Nordrach«, bestätigte am heutigen Montagmorgen Ulrich Ehret, der kaufmännische Leiter der Rehaklinik Klausenbach, im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Belegung mit Patienten sei gut, die Klinik in Klausenbach arbeite wirtschaftlich erfolgreich.
Dass es nun dennoch zur Standortverlagerung kommt liege in den Strukturanforderungen der Deutschen Rentenversicherung, die vor allem in der Neurologie eine höhere Anzahl von Ärzten und Pflegekräften fordert. Diese Vorgaben habe man am Standort Nordrach-Kolonie schon seit längerer Zeit nicht mehr erfüllen können. Die Stelle des Oberarztes für die Neurologie konnte erst nach längerer Zeit besetzt werden. Stellen für Pflegepersonal sind nach wie vor offen.
Als Nachteil bei der Patientenbelegung erweise sich zunehmend Nordrach-Kolonie. Die Patienten können für Reha-Maßnahmen die Klinik wählen. Hier mache sich bemerkbar, dass es in der Kolonie kein entsprechendes Umfeld gebe. Nach wie vor zufriedenstellend sei die Belegung der RehaKlinik Klausenbach durch die Akutkrankenhäuser von Offenburg und Lahr mit Patienten für die Anschlussheilbehandlung. Aber auch hier sei die Belegungsquote an anderen Standorten deutlich höher.
Zunehmender Konkurrenzdruck in der Reha
Die RehaZentren in Stuttgart erklären, dass die demographische Entwicklung und die Erhöhung der Lebensarbeitszeit zu erhöhten Bedarfen an Leistungen in der medizinischen Prävention, Rehabilitation und Nachsorge führe. Gleichzeitig seien die finanziellen Mittel durch das Reha-Budget der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Krankenversicherungen begrenzt. Dies führe zu einem Konkurrenzdruck in der Reha.
Um die insgesamt acht Kliniken der RehaZentren Baden-Württemberg wirtschaftlich zukunftssicher zu positionieren, strebe man die Bündelung von Kompetenzen sowie die Nutzung von Synergieeffekten an. Dazu gehöre nun die Planung für die Standortverlegung der Klausenbach-Klinik mit 80 Betten in der Neurologie und 45 Betten in der Orthopädie.
In der Orthopädie erfolge die Behandlung der Patienten zunehmend ganztägig-ambulant. In der Neurologie würden innovative Behandlungskonzepte neue Therapiemöglichkeiten eröffnen. »Beides können wir in der Rehaklinik Klausenbach nicht anbieten«, erklärt Dr. Constanze Schaal, Geschäftsführerin der RehaZentren Baden-Württemberg gGmbH: »Wir bedauern sehr, dass wir für eine so geschichtsträchtige Rehaklinik wie Klausenbach keine Perspektive sehen.«
Vor dem Umzug der beiden Abteilungen müssen durch entsprechende Baumaßnahmen die Bettenkapazitäten an den neuen Standorten geschaffen werden. Die Indikation Neurologie wird in die Rehaklinik Glotterbad im Glottertal bei Freiburg verlegt. Die Orthopädie in die Rehaklinik Höhenblick in Baden-Baden.
Die 90 Mitarbeiter in Nordrach wurden in Betriebsversammlungen über die geplanten Veränderungen informiert. Ihnen wurde eine Weiterbeschäftigung an den neuen Standorten angeboten.
Keimzelle des Nordracher Kurbetriebs
Die Klinik in Klausenbach ist die Keimzelle des Nordracher Kurbetriebs. Dort eröffnete Dr. Otto Walther im Jahr 1891 die erste Lungenheilstätte. Bei seiner Suche nach einem geeigneten Standort wurde er im Gebiet Kolonie fündig. Der windgeschützte, nebelfreie und sonnendurchflutete Talkessel erschien für sein Vorhaben geeignet. Er baute die leerstehenden Gebäude der ehemaligen Glas- und Farbfabrik zur ersten Lungenheilstätte um. Zunächst wurden hier vermögende Patienten, zum Teil aus England, Amerika und Frankreich behandelt. Knapp zwanzig Jahre leitete Dr. Walter mit zum Teil ungewöhnlichen Methoden seine »Anstalt«. 1908 verkaufte er die Lungenheilstätte mit 70 Morgen Land und 12 Gebäuden an die Landesversicherungsanstalt Baden.
Regelmäßig wurde die Klinik in Klausenbach umgebaut und erweitert. Auch die Indikationen der Einrichtung wurden mehrfach geändert. Sie wurde unter anderem als Schwerpunktklinik für Hirnfunktionsstörungen genutzt und im Nordracher Heimatbuch als eine »Modelleinrichtung der Landesversicherungsanstalt Baden (LVA)« bezeichnet. Ab 1990 trug das Haus die Zusatzbezeichnung »Memory-Klinik«. Seit 2013 konzentriert sich die Klinik auf orthopädische und neurologische Erkrankungen und führt die Bezeichnung »Fachklinik für Neurologie und Orthopädie«.
Was die Zukunft für die Gesamtanlage in Nordrach-Kolonie nach dem Wegzug der RehaZentren Baden-Württemberg bringt ist ungewiss. Eine neue Perspektive ist ganz weit weg.