»Im Jahr 2018 hat es 28 Kriege und bewaffnete Konflikte auf der Welt gegeben«, mahnte Biberachs Bürgermeisterin Daniela Paletta bei ihrer Rede zum Volkstrauertag am vergangenen Sonntag, verwies zudem auf die jüngsten Terroranschläge in Frankreich und Österreich sowie auf die Gefahr durch nationalsozialistisches Gedankengut hierzulande.
Coronabedingt hatten sich nur wenige Menschen in der St. Blasius-Kirche eingefunden, wo strikt und wohlorganisiert auf die Einhaltung der geltenden AHA-Regeln geachtet wurde.
Um Menschenansammlungen zu vermeiden, verzichtete die Gemeinde in diesem Jahr bei der Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal auf die öffentliche Gedenkstunde. Ihre jährliche Rede zum Volkstrauertag hielt die Bürgermeisterin daher im Anschluss an den Gottesdienst.
An diesem Gedenktag für die Opfer von Krieg, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen erinnerte sie an die beiden Weltkriege und an die Gewaltherrschaft des nationalsozialistischen Regimes. »Weltweit forderten die Machtsucht und die rassistische Ideologie des NS-Regimes 82 Millionen Menschen – so viele Einwohner hat Deutschland heute«, machte Daniela Paletta deutlich: Demokratie und Gleichheit aller Bürger wurden in dieser Zeit abgelehnt, Menschen ihrer Würde beraubt.
»Die Tatsache, dass die Zeitspanne zwischen dem letzten Weltkrieg und der heutigen Generation immer größer wird, macht es nicht besser, denn Vergessen wird immer einfacher«, beklagte sie. Den Stellenwert, den die Aufrechterhaltung dieser Erinnerung hat, verdeutlichte Daniela Paletta mit dem Erzählen der Geschichte einer Schulfahrt, die vor einigen Jahren stattfand und von der sie gelesen hat.
Die alljährlich unter Elftklässlern ausgeloste Fahrt führte nach Auschwitz. Unter den Schülern war sie heiß begehrt, sorgte sie doch für drei Tage schulfrei. Auschwitz als wohl bekanntester Ort des Todes, den die Nazis während des zweiten Weltkrieges erschufen, hinterließ die jungen Menschen am Abend jedoch völlig sprachlos.
Eingebranntes
Ob man nun noch um die Häuser ziehen wolle – danach fragte keiner mehr. Denn hautnah hatte die Gedenkstätte den Heranwachsenden ein menschenverachtendes Grauen vermittelt, das 1,1 Millionen Leben vernichtete: Die Schüler gingen die Wege, die Menschen zu den Gaskammern gingen. Sie gingen an den Gleisen entlang, wo Menschen massenweise in Viehwaggons angekarrt wurden, um sie dann zu selektieren: Ein Handzeichen nach rechts für das Arbeitslager. Ein Handzeichen nach links zum riesigen Krematorium, wo Leichen im Akkord verbrannt wurden.
Die Schüler wollten das Erlebte verdrängen, nicht darüber reden, weil dafür einfach die Worte fehlten. Das änderte sich nach einem Treffen mit einer Zeitzeugin, die sich dazu bereit erklärt hatte, über ihre Zeit im Konzentrationslager Auschwitz zu reden. Ihre abschließenden Worte brannten sich den Schülern ins Gedächtnis: »Ihr seid nicht die Generation, die sich für irgendetwas schuldig fühlen muss, aber Ihr seid die, die die Erinnerung an das Grauen wachhalten muss und deswegen versprecht mir eins: Setzt Euch dafür ein, dass so etwas nie, nie wieder passiert!«
Genau dies begründe die Notwendigkeit eines Volkstrauertages, betonte Daniela Paletta. Denn die Zeit, in der es noch Zeugen des Krieges gibt, nähert sich dem Ende. Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg werden immer blasser, »damit ändert sich aber nicht unsere Geschichte«, betonte Biberachs Gemeinde-Oberhaupt. Und unterstrich: in einem demokratischen Staat zu leben und Frieden und Freiheit zu kennen, sei nicht selbstverständlich.
»Wachsam sein«
Um den Zustand des Friedens zu bewahren, »müssen wir wachsam sein«, mahnte Daniela Paletta mit Fingerzeig auf nationalsozialistisches Gedankengut auch heutzutage – in entsprechenden politischen Parteien gelebt. Insofern sei der Volkstrauertag mit seinem Blick in die Vergangenheit gleichzeitig mit einem Blick in die Zukunft verbunden.
Dieses Gedenken und Trauern allerdings »sollten wir nicht nur einmal im Jahr tun, sondern beständig.« Wenngleich es auch damit nicht getan sei: »Wir müssen das Erinnern zu einer Handlung machen. Die Handlung zu einer Gewohnheit, damit so etwas nie wieder passiert.« Denn Frieden schätze man meist erst richtig, wenn er nicht mehr da sei, so die Bürgermeisterin, »lasst es uns nicht dazu kommen.«
Womit der Volkstrauertag »auch eine Mahnung zur Versöhnung, zur Verständigung, zur Toleranz und zum Frieden« sei. Damals wie heute schließlich sterben Menschen als Soldaten sinnlos an der Front oder werden als Zivilisten Opfer von Anschlägen.
Mit Talent
Auch der von Pater Burkhard Volkmann abgehaltene Biberacher Gedenkgottesdienst stand unter dem Thema Kriege zu verhindern, ergänzt durch den Aspekt Armut zu verändern. Ausgehend von einem Bibelgleichnis warb er für den gemeinnützigen Einsatz von Talenten. Stellte ein Talent einstmals ein sehr großes Vermögen von umgerechnet etwa 100 000 Euro dar, so hat das Wort »Talent« gleichfalls die Bedeutung von »Fähigkeit« respektive »Gabe«.
Gottgegeben seien Talente unter den Menschen sehr unterschiedlich verteilt, so der Angehörige des Zeller Kapuzinerklosters. »Nicht jeder hat alles, aber keiner hat nichts«, hob er hervor. Das allerdings, was einem gegeben sei, solle man auch zum Wohle anderer nutzen. Und der, der viel Talent oder viele Talente besitze – im materiellen wie im immateriellen Sinne –, der möge sich um die kümmern, die weniger haben. Denn für das, was einem gegeben sei, gelte es Verantwortung zu übernehmen.
»Es geht darum, das, was wir bekommen haben, im Füreinander einzusetzen«, so der für die Seelsorgeeinheit Zell agierende Geistliche, »jeder von uns, der Talente hat, soll sie im Alltag einsetzen.« Womit einhergehe, dass der, der mehr habe, auch mehr machen müsse. Ohne auf den neidisch zu sein, der aufgrund einer geringeren Ausstattung weniger machen müsse. So wie umgekehrt derjenige, der weniger habe, nicht auf den neidisch sein solle, der mehr habe.
Zu den vom Apostel Paulus genannten Talenten zähle beispielsweise die Liebe. »Hierbei geht es darum, nicht nur an die zu denken, die wir in unserem unmittelbaren persönlichen Umfeld gern haben, sondern über den Tellerrand hinauszuschauen«, hob Pater Burkhard hervor.
Zum Über-den-Tellerrand–Schauen gehöre an diesem Volkstrauertag des Jahres 2020 dazu, nicht nur der Kriegsgefallenen und Gewaltopfer zu gedenken, »sondern auch der Menschen, die durch Corona gestorben sind.«