»Das macht echt wahnsinnig viel Spaß«, strahlt Katja Kastens ob ihrer neuen Leidenschaft: Sie lässt die stilvolle Burda-Mode der 50er Jahre wiederaufleben – mithilfe von Schnittmusterheften aus dieser Zeit. Mit Kleidern hat sie einen Anfang gemacht, und die sorgen für Furore.
Es war im Anschluss an die letztjährige Ausstrahlung des TV-Spielfilms über Aenne Burda, dass Kastens ein Karton mit rund 30 Burda Schnittmuster-Heften aus den 50er Jahren einfiel, den sie einstmals geschenkt bekommen hatte. Die Schneidermeisterin machte sich auf die Suche, wurde im hintersten Winkel des Kellers fündig.
»Da gehst du jetzt mal dran«, dachte sie – noch nicht ahnend, was in ihrem Schneideratelier damit auf sie zukommen würde. Schon alleine, weil auf den – zu damaliger Zeit hoch innovativen – Schnittmusterbögen »ein wahres Durcheinander herrschte«. In Form von bis zu 40 Schnitten auf einem einzigen, schwarz-weiß-gedruckten Bogen: dünne und dicke Linien, gestrichelt, gepunktet oder in den verschiedensten Kombinationen. In späteren Ausgaben wurde das Gewirr zwar zweifarbig, aber auch dann muss Kastens die zu einem Schnitt gehörenden Linien „mit der Brille auf der Nase und der Lupe in der Hand zusammensuchen.“
Burda-Moden
Mit Burda-Moden baute Anna Magdalena »Aenne« Burda (1909 – 2005) einen der größten deutschen Zeitschriftenverlage auf. Die Geschäftsidee der Unternehmerin, die im Wirtschaftswunder-Deutschland ihren Mann stand: eine Modezeitschrift, die Farbe in den tristen Nachkriegsalltag der Frauen bringen soll. Indem sie ihnen ermöglichte, schicke Mode nachzuschneidern.
Angesichts der Brüchigkeit des alten Papiers kann Katja Kastens die Schnittteile nicht per Rädeln auf den Stoff übertragen, muss stattdessen die Teile nachzeichnen und durchpausen. Im nächsten Schritt gilt es, die auf dem Schnittmusterbogen angegebene Größe in eine andere zu übertragen. »Die damalige Größe 40 ist heute nicht mehr aktuell«, so die Einundfünfzigjährige, die viele Jahre für das Kloster Gengenbach liturgische Gewänder schneiderte und Kirchenfahnen restaurierte, »was früher Größe 42/44 war, ist heute 36/38!«
Und weil die Frauen inzwischen größer sind als dereinst, kann sie sich auch nicht mehr auf die im Schnitt eingezeichneten Abnäher verlassen, sondern muss diese anpassen. Überhaupt das Thema Abnäher: »Das hat mich echt Nerven gekostet«, gesteht die aus Hessen stammende dreifache Mutter lachend. Denn in den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Schnitttechnik enorm verändert, so dass die Schnittgestaltung, die Katja Kastens im Zuge ihrer Ausbildung kennengelernt hat, eine völlig andere ist.
Während man heute gerundete Teile von vornherein in Form schneidet, wurden sie früher meist gerade geschnitten und mit einer Vielzahl von Abnähern sowie mit Fältchen und per Kräuseln diffizil in Form gebracht. »Das musste ich erst mal kapieren«, schmunzelt die in Hessen geborene Wahl-Biberacherin angesichts kniffliger Vorgehensweise und äußerst dürftiger Nähanleitungen.
Das galt auch für die Sache mit dem Keil unter dem Arm. Einen solchen näht Kastens gerade unter der Armachsel eines Oberteils ein. »Mit Keilen erreicht man eine unheimliche Beweglichkeit für die Arme, das war mit das typische für die damalige Zeit«, lacht die Schneiderin, »aber anfangs wusste ich überhaupt nicht, was ich mit diesen kleinen Teilen anfangen soll.«
In Kniffligem geübt
Gerade das Knifflige jedoch ist es, was sie reizt, zumal sie darin viel Erfahrung hat: »Auch das Restaurieren von Kirchenfahnen ist ein sehr kleinteiliges Arbeiten, das habe ich geliebt«, erzählt die zudem in viel Geduld Geübte. Denn auch heute noch schneidert sie Messgewänder – was bedeutet, mit Ausnahme der Schulternaht alles per Hand zu nähen, auch den Saum. 20 bis 25 Stunden dauert das. »Weil der Priester Gott repräsentiert, soll sein Gewand kostbar sein«, erläutert Katja Kastens dazu, »und am kostbarsten verarbeite ich ein Kleidungsstück, wenn ich alles per Hand mache.«
Doch zurück zu der ganz anderen Schiene, der sie sich inzwischen als Hobby widmet – den Burda-Schnitten. Hier kommt ihr die doppelte Ausbildung sowohl im Handwerk als auch in der Industrie zugute: »Weil ich in der Industrie effektive und schnelle Arbeitsmethoden gelernt habe, das vereinfacht vieles.« So heftet sie die einzelnen Stoffteile vor dem Zusammennähen beispielsweise nicht zunächst per Heftfaden mit der Hand zusammen, sondern legt nach dem Stecken gleich mit der Nähmaschine los.
Nach geeigneten Stoffen für die 50er-Jahre-Kleider sucht sie oft lange, verwendet überwiegend Brokatstoffe. Deren Doppelgewebe ist fest und schwingt dennoch, obendrein trägt es sich angenehm. »In den Kleidern hat man die Haltung einer Königin«, schwärmen die Models, die Katja Kastens auf einer Modenschau auf dem Biberacher Ostermarkt zum Vorführen engagiert hatte.
Fernsehdreh im Näh-Atelier
»Eine Frau strahlt in einem solchen Kleid«, stellt die Schneiderin fest. Sie will diesen Stil, diese Kultur wieder hochleben lassen. Auf dass »Frauen wieder mehr Wert auf ihre Weiblichkeit legen und diese auch zeigen, indem sie Taille und Brustumfang betonen und in schwingenden Röcken gehen.« Sie persönlich heimse beim Tragen eines solchen Kleides, mit dem man als Frau eine gewisse Leichtigkeit habe, stets bewundernde Blicke ein.
Sogar das Fernsehen wurde auf das ungewöhnliche Hobby aufmerksam. Sechs Stunden lang drehte der SWR bei Katja Kastens. Ende August dann wurde die Sendung – die man sich noch immer in der Mediathek anschauen kann – im Rahmen der Landesschau Baden-Württemberg ausgestrahlt. »Daraufhin hat sich eine Frau aus Stuttgart bei mir gemeldet, die hat mir eine Originalausgabe des allerersten Aenne-Burda-Heftes überlassen«, kann die Biberacher Schneiderin ihr Glück noch immer kaum fassen, »und dieses Heft ist echt noch in einem guten Zustand.«
Blusen, Kostüme und Mäntel aus den alten Burda-Heften will sie als nächstes in Angriff nehmen, aber auch Herrenbekleidung – so etwa »diese typischen Blousons, wie sie James Dean hatte«.