Wolfgang Bösinger, ehemaliger Bürgermeister von Biberach, feiert am Montag seinen 75. Geburtstag. Er will den Tag mit Freunden und Familie verbringen und ist gespannt darauf, wer sonst noch spontan zum Gratulieren vorbei kommt.
Wolfgang Bösinger – dieser Name ist allen Biberacher Bürgern ein Begriff. Von 1974 bis 1998 war er Bürgermeister; er war und ist Inhaber zahlreicher Ehrenämter, Träger nicht alltäglicher Auszeichnungen, Familienvater, Opa, Bergsteiger und vieles mehr. »Mein Leben war ziemlich ausgefüllt«, blickt er auf die vergangenen Jahrzehnte Zeit zurück. »Da ist es gut, dass jetzt langsam etwas mehr Ruhe einkehrt.«
Privat zog es ihn immer hoch hinaus. Am liebsten mit dem Offenburger Alpenverein auf die ganz hohen Gipfel im Wallis. »Ich hatte nicht besonders oft die Zeit, um Bergsteigen zu gehen«, so Bösinger über sein liebstes Hobby, »aber wenn ich in den Bergen war, dann habe ich es sehr genossen, von oben auf die Welt zu schauen.«
Nicht minder wichtig als Kraftquelle ist seine Familie. Seine Frau Ingeborg hat er in St. Georgen beim Tanz in den Mai kennengelernt. Dieses Jahr feiert das Paar seine goldene Hochzeit. Die beiden Töchter sind ganz in der Nähe geblieben. Eine wohnt mit im Haus, die andere ist die Fröschbacher Erdbeerbäuerin geworden. Vier Enkelkinder hat Wolfgang Bösinger. »Man erlebt die Enkelkinder ganz anders als die eigenen«, sagt er. »Wahrscheinlich auch, weil ich jetzt mehr Zeit habe.« Und er fügt hinzu: »Ich habe wirklich viel gearbeitet. Zum Glück hat mir das nie jemand zum Vorwurf gemacht.«
Sein berufliches Leben verbrachte er von 1974 bis 1998 im Dienste der Gemeinde, für die Zeller Orbau hat er von 1998 bis 2009 Bauland erschlossen. Ein Wegzug aus dem milden, nahezu »paradiesischen« Klima Biberachs kam für die Bösingers nach der Bürgermeisterzeit nie in Frage.
Seine Kindheit verbrachte Wolfgang Bösinger in St. Georgen. Die Mutter war Damenschneiderin, sein Vater Feinmechaniker. Da war es nicht unbedingt der zwingende Weg, dass der einzige Sohn eine Beamtenlaufbahn ergreift. Doch nach der Volksschule fuhr Wolfgang Bösinger Tag für Tag mit dem »Schülerbähnle«, einer Dampflock mit drei Wägen, von St. Georgen nach Villingen, wo er die höhere Handelsschule besuchte. Mit dem Abschluss in der Tasche begann er eine Inspektoren-Ausbildung im gehobenen Dienst, die er erfolgreich abschloss und schließlich Stadtinspektor seiner Heimatgemeinde wurde.
Als persönlicher Referent des Bürgermeisters hatte er schon in jungen Jahren tiefen Einblick in das Aufgabenspektrum eines Bürgermeisters – und selbst Lust bekommen, ein solches Amt auszufüllen. Die Gelegenheit ergab sich schneller als gedacht. Im Alter von gerade einmal 25 Jahren wurde er 1969 Bürgermeister von Buchenberg und damit der jüngste in ganz Baden-Württemberg.
Schon wenige Jahre später dann der Wechsel nach Biberach, einer Gemeinde, zu der er eigentlich gar keine Verbindung hatte. Der erste Kontakt war telefonischer Natur und wurde mitten in einer Gemeinderatssitzung in Buchenberg hergestellt. Anrufer war seinerzeit der damalige CDU-Vorsitzende Fridolin Mäntele. Der Inhalt des Gesprächs: Biberach sucht einen neuen Bürgermeister. Mäntele war der Überzeugung, dass Bösinger der ideale Kandidat sei, um die Nachfolge von Bürgermeister Karl Allgaier anzutreten. Das dachten auch Leonhard Wussler und Franz-Josef Lukassen sowie der spätere Ministerpräsident Erwin Teufel, die allesamt die Idee befürworteten. Bösinger ließ sich überzeugen und trat am 22. März 1974 zur Wahl an. Er setzte sich im ersten Wahlgang mit 68 Prozent der Stimmen gegen vier weitere Bewerber durch. Gänzlich unerwartet, denn der frisch gewählte Bürgermeister war gar nicht im Kinzigtal, sondern zu Hause in Buchenfeld, als ihn die Nachricht von sei-nem Wahlsieg erreichte. »Die Prinzbacher haben mich damals noch nicht gewählt«, erinnert er sich zurück – der Ort und Biberach wuchsen erst wenig später verwaltungstechnisch zusammen – und ist selbst immer noch ein bisschen überrascht, dass sein protestantischer Glaube bei der Wahl keine Rolle gespielt hat.
Gefragt nach den wesentlichsten Veränderungen in Biberach seit 1974, fallen Wolfgang Bösinger gleich mehrere Projekte ein. Ganz besonders findet er jedoch, dass der Bau der Ortsumgehung (1983) Biberach am meisten verändert hat. »Der Verkehr ist dadurch aus dem Ort rausgekommen«, sagt er und ergänzt, wenn man sich vor Augen führen würde, dass der ganze Verkehr heute noch durch die S-Kurve in der Ortsmitte führte, wäre das unvorstellbar.
Auch andere wichtige Infrastrukturprojekte wurden unter Bürgermeister Bösinger angegangen und vollendet: Straßenbau-Maßnahmen, Anschluss aller Häuser im Ortskern an die Kanalisation, der Bau der Kläranlage, der Anschluss an die »Kleine Kinzig«, der Bau von Schwimmbad und Kindergarten, die Hallenerweiterung, die Flurbereinigung und vieles mehr.
Der Bau des Kinzigdamms und des Rückhaltebeckens fielen ebenfalls in die Amtszeit Bösingers und haben ihn stark in Anspruch genommen. Das Rückhaltebecken war ursprünglich mit einem Fassungsvolumen von vier Millionen Kubikmetern geplant. Viel zu groß, wie Bösinger und viele Biberacher fanden. Die Bürger demonstrierten mit Kundgebungen und Transparenten, die Gemeinde suchte mit dem zuständigen Minister eine Lösung. Das Becken schrumpfte auf drei Millionen Kubikmeter. Seit seiner Fertigstellung im Jahr 1998 wartet es zum Glück immer noch auf seine Feuertaufe. Das Wasser der Kinzig stand noch nie so hoch, dass das Becken vollgelaufen wäre.
»Die schönsten Momente waren für mich immer, wenn große Infrastrukturmaßnahmen abgeschlossen waren,« meint Bösinger. Dass es im Gemeinderat manchmal etwas ruppig zuging, bedauert er. Er habe immer versucht, den Menschen zu sehen, nicht die Sache oder den Verwaltungsakt, Spielräume zugunsten der Bürger zu nutzen und einen respektvollen Umgang zu pflegen. »Ich wollte nicht mit dem eisernen Besen kehren, wie ich es anderswo erlebt habe«, sagt er, »sondern guten Entscheidungen die nötige Zeit zum Reifen geben.«
Eines seiner Vorbilder ist Manfred Rommel, ehemaliger Stuttgarter Oberbürgermeister, den er für seine schlagfertige, humorvolle Art bewundert. Ein anderes ist Erwin Teufel, den er für seine geradlinige, menschenzugewandte Art sehr schätzt und mit dem ihn die Schulzeit an der Gemeindeverwaltungsschule Karlsruhe verbindet.
Eng verbunden mit dem politischen Amt ist das gesellschaftliche Engagement Wolfgang Bösingers. Er gründete 1975 den Heimat- und Verkehrsverein, dessen Vorsitzender er bis zur Auflösung im letzten Jahr war. Das Ziel des Vereins, den Fremdenverkehr in Biberach langfristig zu einem ernstzunehmenden Standortfaktor zu machen, hat sich leider nicht im angedachten Umfang erfüllt. Wolfgang Bösinger kümmerte sich bis letztes Jahr als stellvertretender Vorsitzender des Trägervereins des Alten- und Pflegeheims St. Gallus in Zell ehrenamtlich um die Geschicke des Seniorenzentrums, organisierte regelmäßig eine viertägige Reise für den Elsässer-Badischen Freundeskreis und ist auch an vielen anderen Stellen ein wichtiger und verlässlicher Ansprechpartner im gesellschaftlichen Leben der Gemeinde.
Bösingers Engagement wurde mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt. 2000 erhielt er zum Beispiel die Landesehrennadel. Besonders gefreut und überrascht hat es ihn, dass er 2009 zum Ehrenbürger »seiner« Gemeinde ernannt wurde. »Ich habe Glück gehabt in meinem Leben und will den Menschen etwas zurückgeben«, begründet er seine Ehrenämter, die er samt und sonders gerne und lange ausgeübt hat beziehungsweise ausübt.