Vor 240 Jahren erließ die Gräfin Maria Anna von und zu der Leyen und der Hohengeroldseck eine Schulverordnung.
Bei der Gestaltung der Schule gehen die Meinungen auseinander. Vor 25 Jahren schien das 9-jährige Gymnasium (G9) überholt. Im europäischen Umfeld kamen die Gymnasiasten bereits nach acht Jahren an Universität und Hochschule (G8). Nachdem das neunjährige Gymnasium weithin abgeschafft war, soll es neuerdings wieder eingeführt werden. Das Beispiel zeigt die bleibende Unsicherheit bei der Handhabung der Schule. Deshalb scheint es reizvoll, sich eine alte Schulordnung anzusehen und diese nach ihren Ansätzen zu befragen.
Stammschloss: Blieskastell
Maria Anna übernahm die Herrschaft Hohengeroldseck nach dem Tod ihres Mannes Franz Karl. Ihr Sohn Philipp Franz war noch nicht mündig, um in das Amt einzutreten. Der Titel „Reichsfreyin“ spielt auf die Reichsunmittelbarkeit der Grafschaft an. Sie war damit im Reichstag vertreten. Eine Verwandtschaft mit der derzeitigen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, geb. Albrecht, besteht nicht. Deren Mann stammt aus einer Familie, die im 19. Jahrhundert für ihre industriellen Verdienste geadelt wurde. Maria Anna gehörte dagegen dem alten Erbadel an. Zur Herrschaft Hohengeroldseck gehörten die Orte Seelbach, Reichenbach, Prinzbach und Schuttertal. Sitz des Oberamtes war Schloss Dautenstein in Seelbach. Unterzeichnet wurde die Verordnung in Blieskastell, wo die Herrschaft von der Leyen ihr Stammschloss hatte.
Zum Wohl der Untertanen
In der Präambel der Schulverordnung von 1783 begründet die Gräfin, warum ihr der Erlass einer Schulordnung notwendig erscheint:
„Demnach wir mit Bedauern haben vernehmen müssen, daß in Unserm Oberamt der Grafschaft Hohengeroldseck die Erziehung der Jugend und das zu derselben Unterricht und Bildung so nöthige Schulwesen nicht wirksam genug eingerichtet seye und die jungen Leute größtenteils aus Unüberlegung und Nachlässigkeit der Aeltern [Eltern] und Vormündern in großer und außerordentlicher Unwißenheit aufwachsen; als[o] haben Wir zur Abhülfe diese gemeinschädlichen, dem Christentum höchst unanständigen, und der wichtigen Folgen wegen so nahe trettenden Übels, gegenwärtige das Wohl Unsren Unterthanen hauptsächlich betreffende und der dasigen Landes Verfaßung angemessene Schulverordnung zu erlassen für nöthig befunden.“
Lesen, schreiben, rechnen
Im ersten Paragrafen werden die Werte und Techniken aufgeführt, die in der Schule vermittelt werden sollen, nämlich „das Nöthige vom Christentum“ zu erfahren, sowie die Fähigkeit zu „lesen, schreiben und rechnen“ zu erwerben. An späterer Stelle wird als Ziel der Schule anvisiert, die Kinder zur „Tugend und Wissenschaft“ zu leiten und zu „guten Christen und rechtschaffenen Bürgern“ heranzubilden. (§ 37)
Der Religionsunterricht in der Schule wird nicht als Aufgabe des Pfarrers, sondern des Lehrers betrachtet.
Rücksicht auf den Schulweg
Zu den grundsätzlichen Fragen gehören auch das Schulalter und die Schulzeiten. Sofern die Kinder in einem geschlossenen Dorf leben, beginnt die Schulpflicht mit 6 Jahren und endet mit dem 13. Lebensjahr. Wer dagegen von einem abgelegenen Hof kommt, muss erst mit 7 Jahren zur Schule. Seine Schulpflicht endet daher mit 14 Jahren. Damit wird auf den unterschiedlich langen Schulweg Rücksicht genommen.
Sonderregel für die Landwirtschaft
Weil besonders die ärmeren Kinder zu Hause in der Landwirtschaft den Eltern helfen müssen, sollen diese im Sommer nur täglich eine Stunde zum Unterrichtsbesuch verpflichtet sein. Im Winter sind sie bei der Unterrichtsdauer den anderen Kindern gleichgestellt. (§ 2)
Weniger Arbeit für Kinder
Bislang dauerte die Schulzeit nur von Allerheiligen bis Ostern. Das soll sich jetzt ändern. Auch die Sommerzeit wird einbezogen. Dazu bedarf es besonderer Überzeugungsarbeit. Die Bauersleute sollen etwa die Zeiten des Viehhütens für ihre Kinder zugunsten des Unterrichts kürzen. Schließlich sei der „Hausvater“ es den Kindern schuldig, dass sie in der Schule „zur Ehre Gottes und zum Besten des gemeinen Wesens“ erzogen würden. (§ 3)
Freie Hand bei den Ferien
Die Ferienzeiten werden von der Schulordnung nicht festgelegt. Dem Oberamt wird freie Hand gelassen, um auf die besonderen Arbeiten in der Landwirtschaft wie etwa der Heuernte Rücksicht zu nehmen (§ 5). Die Ferien dürfen jeweils 10 bis 14 Tage dauern.
Eltern bezahlen den Lehrer
Der Lehrer wird wie bisher von den Beiträgen der Eltern bezahlt. Die Vergütung beträgt bisher in der Woche 1 Kreuzer je Kind. Dieser Betrag soll bleiben, aber für jede Woche im Jahr angesetzt werden, nicht nur für die Wochen zwischen Allerheiligen und Ostern. Bei 52 Wochenbeiträgen, das heißt 52 Kreuzern, bleibt das jährliche Schulgeld unter einem Gulden (mit 60 Kreuzern). Waren die Beiträge bislang wöchentlich eingesammelt worden, sollen sie künftig vierteljahrweis eingezogen werden. (§ 6)
Sozialklausel
Wenn Eltern mit dem Schulgeld für ihre Kinder überfordert sind, können sie dies dem Oberamt melden. Wird von diesem eine Befreiung gewährt, so werden dem Lehrer die Fehlbeträge durch Einnahmen aus einem Fond beglichen. Dieser Fond soll von der Weinsteuer gespeist werden. (§ 7)
Schulpflicht
Es besteht grundsätzlich Schulpflicht. Wenn Eltern ihre Kinder nicht zur Schule schicken, obwohl sie gesund sind, muss der Lehrer dies dem Oberamt melden, das eine Geldstrafe verhängt. Wer diese nicht bezahlen kann, dem droht die „Züchtigung“ mit einer „Leibstrafe“. (§ 9)
Bitte frisch gewaschen
Die Kinder sollen in „ehrbarer Kleidung…besonders aber mit gekammten Haaren, gewaschenem Gesichte und Händen“ erscheinen (§ 12). Betritt der Lehrer den Unterrichtsraum „sollen alle Kinder aufstehen und ihm die schuldige Ehre“ erweisen; „die Knaben mit entblößtem Haupte und die Mädchen mittelst einer Verneigung.“ (§ 14)
Ein Gebet zu Beginn
Der Unterricht soll mit einem Gebet begonnen werden. Dazu gehöre das „Vater unser“, ein „Gegrüßet seist du Maria“ und das Glaubensbekenntnis (§ 17). Auch am Ende des Unterrichts soll gebetet werden. Der Lehrer solle auch darauf hinwirken, dass die Kinder den sonntäglichen Gottesdienst besuchen und der Predigt aufmerksam zuhören. (§ 33)
Auswendiglernen und Wiederholen
Der Unterrichtsmethode widmet sich die Schulordnung in mehreren Paragrafen. Im Wesentlichen geht es darum, sich die Kenntnisse durch ständiges Auswendiglernen, Abhören und Wiederholen einzuverleiben. Beim Religionsunterricht soll auf den Katechismus zurückgegriffen werden. Weil dieses Lehrbuch mit dem Wechselspiel von Frage und Antwort arbeitet, eignet es sich besonders gut zum Auswendiglernen und Aufsagen. Die Schulordnung setzt die sogenannte Zwergschule voraus, bei der ein Lehrer drei Arbeitsgruppen bildet: Die Anfänger, die Fortgeschrittenen und die, die in absehbarer Zeit entlassen werden. Jede Gruppe muss mit eigenen Aufgaben bedacht werden; für den Lehrer eine nicht geringe Herausforderung.
Die Regentin stellt sich vor:
„Wir Maria Anna, des heiligen römischen Reichs verwittibte Gräfinn von und zu der Leyen und zu Hohen geroldseck – gebohrne Reichsfreyinn von Dalberg – Sternkreuz ordens-Dame, als Obnervormünderin Unsers minderjährigen Herrn Sohns; thun kund, und fügen hiermit zu wissen.“
Bitte mit Geduld
Dem Lehrer wird nahegelegt, zwischen einer nachlässigen Milde und einer übertriebenen Strenge einen Mittelweg einzuschlagen. Den Schülern, die sich schwerer tun, soll er sich mit besonderer Geduld widmen. Bei Störungen des Unterrichts soll der Lehrer den Schüler zuerst mit milden Strafen zur Vernunft bringen. Erst wenn diese nicht fruchten, darf er die Rute einsetzen. (§ 38)
Ruhe beim Gottesdienst
Noch schwerer als Störungen des Unterrichts wiegen Störungen des Gottesdienstes. Wenn die Pfarrgemeinde keinen „Kirchenrüger“ bestellt (manchen Orts „Stecklebott“ genannt), kommt die Verantwortung auf den „Schulmeister“ zu. Wenn störende Kinder im Gottesdienst nicht auf Ermahnung reagieren, sollen sie nach der Feier mit der Rute bestraft werden. Dass der Lehrer gegebenenfalls auch Erwachsene zur Ruhe rufen muss, zeigt seinen ausgedehnten Pflichtenkreis. Wird seiner Aufforderung zur Einhaltung der Ruhe nicht gefolgt, soll er den Störenfried dem Ortsvorsteher melden, damit dieser ihn notfalls in das Arrest-Lokal steckt. Etwas spöttisch wird es „Bürgerhäusl“ genannt. (§ 33)
Ortspfarrer als Aufsicht
Die Arbeit des „Schulmeisters“ soll kontrolliert werden. Noch immer wird die Schule als eine Einrichtung der Ortskirche gesehen. Daher wird der Ortspfarrer als Aufsichtsperson zu einem wöchentlichen Besuch des Unterrichts verpflichtet (§ 34). Da es oft nicht nur im Hauptort, sondern auch in den Filialorten eine Schule gibt, dürften die Pfarrer kaum der geforderten Besuchspflicht nachgekommen sein; zumal ihre Besuche vorzugsweise unangekündigt erfolgen sollten und sie den Lehrern damit im Nacken saßen. Die Verquickung von Kirche und Schule ist auch daraus ersichtlich, dass diese Schulverordnung von den Kanzeln verlesen werden müsse. (§ 4)
Der Weg zu staatlichen Schulämtern
Der Regentin ging es nicht darum, den Einfluss der Kirche zurückzudrängen. Ihr Engagement beim Ausbau der Prinzbacher Kirche beweist das Gegenteil. (Ihre Initialen an der dortigen Kirche halten dies fest). Andererseits hat die Gräfin die wachsende Verantwortung der öffentlichen Hand im Bildungsbereich frühzeitig erkannt. Denn im Großherzogtum Baden werden acht Jahrzehnte später staatliche Schulämter errichtet.
Erste Schulauszeichnungen
Zusätzlich solle eine jährliche Visitation durch den Inspektor („Praeceptor“) des Oberamtes kommen.
Dieser solle auch gute Leistungen belobigen und mit Preisen auszeichnen. Die Kosten dafür sollen wieder aus dem obengenannten Fond des Oberamtes bestritten werden. (§ 35)
Was aus heutiger pädagogischer Sicht besonders ins Auge fällt, ist die Züchtigung mit der Rute als letztes Mittel der Erziehung. Man muss allerdings einräumen, dass die körperliche Züchtigung in der Schule erst nach dem zweiten Weltkrieg verboten wurde.
Die Seelbacher Chronik (1979, S. 116) würdigt nicht nur die Schulordnung der Gräfin Maria Anna mit Einführung der Schulpflicht, sondern weitere Verdienste: „Sie erließ eine Zunftordnung für das ansässige Gewerbe, unterstützte Bergbauversuche und -unternehmungen und hoffte durch die Förderung der verschiedensten Industriezweige … einen bescheidenen Wohlstand in das Tal an der Schutter zu bringen.
Quelle: Schuldordnung 1783 im Pfarr archiv Prinzbach XXIII
Hinweis auf die Schulverordnung von Josef Ringwald, Vorsitzender des Historischen Vereins Biberach
Weiter Bilder finden Sie in der Print-Ausgabe der Schwarzwälder-Post.