Der Win isch nit meh wert, als dass mer ne trinkt

Die Weinlese 2023 hat so früh wie nie begonnen. Wie es früher war, erzählt diese kleine Weinbauchronik.

An den Granithängen zwischen Gengenbach und Oberkirch gedeiht ein Wein von einer Würze und Lieblichkeit, wie er, ausgenommen am Kaiserstuhl, sonst nirgends in Baden anzutreffen ist. Ortsnamen wie Durbach, Zell-Weierbach, Fessenbach, Gengenbach und Oberkirch rufen bei jedem Kenner angenehme Erinnerungen wach. Die Weinlese 2023 begann so früh wie nie zuvor und wird noch zwei bis drei Wochen andauern. Qualität und Menge sind regional unterschiedlich. Hitzestress der Reben, Kirschessigfliege und zeitweilig zu viel Regen haben Spuren hinterlassen. Trotzdem, Winzer und Bacchusbrüder freuen sich auf den ersten „Neuen“. Zeit sich der Frage zu widmen, wem wir diesen Segen zu verdanken haben.

Durch Vermittlung der Phönizier war die Rebe bereits nach Gallien, den heutigen Weinbaugebieten Frankreichs, gekommen. Die Römer breiteten den Weinbau weiter aus. Es war Kaiser Probus, welcher den Wein am Rhein kultivierte. Ihm verdanken wir die Reben in der Ortenau. Seine kriegslustigen Legionen wollte er an das Friedenswerk der Landwirtschaft gewöhnen und zu fleißigen Winzern erziehen. Im Herbst 282 waren sie schließlich der Weinbergshaue müde. Gemäß der Sage revoltierten sie und erschlugen ihn mitten im Weinberg. Ein volles Glas seinem Gedächtnis!

So geht die Geschichte weiter

Die Römer waren von 15 v. Chr. bis Ende des 4. Jahrhunderts in der Ortenau. In Zell-Weierbach hatten sie einen Zehnthof angelegt. Die Gegend um Offenburg nannte man Vinetum (Weingarten). Ende des 4. Jahrhunderts haben die von Böhmen her einfallenden Alemannen die römischen Arbeiten, Heerstraßen, Gebäude, Kulturen und auch den Weinbau zerstört. Sechs Jahrhunderte lang war hier nun der Rebanbau unbekannt. Erst im 10. Jahrhundert wurde er wieder heimisch.

Die Rolle der Klöster

Das hohe Niveau, auf dem sich der Weinbau heute in deutschen Landen befindet, verdanken wir den Mönchen. Wo immer man auf Rebanbau trifft, ist sicher ein ehemaliges Kloster in der Nähe. Das älteste Kloster der Ortenau, das Stift Schuttern, besaß schon frühzeitig Güter und Weinberge im vorderen Kinzigtal. Auch die ehemalige reichsfreie Benediktinerabtei Gengenbach besaß schon 1246 Weinberge in Zell-Weierbach. 712 n.Chr. von Herzog Ruthard gestiftet, hatte das Stift die Gegend kultiviert und um die Zeit 900 bis 1000 den Weinstock eingeführt. 1519 hatte dieses Gotteshaus den Abtsberger Rebhof in Weierbach mit Musterweinbergen umgeben. Erwähnt sei das Prämonstratenserstift Allerheiligen, gegründet von der Gräfin Uta von Schauenburg. Von Frankreich brachten diese Mönche die edelsten Sorten, darunter die Burgunderreben mit.

Reines in der Flasche

Im Jahr 1495 kam es unter Markgraf Christoph I. zum Erlass der ersten badischen Weinordnung, welche die „Vermählung“ der edleren guten Jahrgänge mit schlechteren Gewächsen verbot.

Edle Sorten

An den Ortenauer Weinhängen kamen und kommen Edelsorten wie Riesling, Traminer (Clevner), Ruländer, Burgunder, Silvaner und bei Durbach auch weißer Bordeaux zum Anbau. Die seit langem in der Umgebung von Durbach angebauten Sorten Klingelberger, Clevner und Weißherbst zählen zu den bekanntesten Weinen der Region. Im vorderen Kinzigtal spielt auch der Rotweinanbau eine Rolle. Hervorragend ist der Zell-Weierbacher Rotwein. Als sehr vollmundig, blumig und schön gefärbt gelten die Rotweine aus Tiergarten und Durbach.

Mühevolle Lese

Von den Dichtern wurde sie besungen und von den Malern als fröhliches, sonniges Fest dargestellt; tatsächlich war und ist die Weinlese eine mühevolle und teilweise auch frostige Arbeit. Wie sorgfältig die Ernte ausgeführt werden muss, illustriert die Tatsache, dass etwa 800 bis 900 Beeren eine Flasche Wein ergeben. Der Anblick der gefüllten Kübel und Bütten, der Traubenmühle, der Trotten und der Mostwaage sind jedoch Balsam für das Winzerherz.

Mit der Kraftpost zum Ernteeinsatz

Es ist kein Geheimnis, dass der Autor dieses Beitrages seine ersten Lebensjahre „im Durbach“ zugebracht hat. Dort lebte der Großvater und dessen Bruder. Josef und Karl Hurst waren Winzer von Beruf. Das Wort Saisonarbeiter gab es in den 1950er Jahren noch nicht. Die Ehe von Onkel Karl blieb kinderlos und so war es Ehrensache, dass wir zum „Herbsten“ für einige Tage von Zell am Harmersbach nach Durbach fuhren und nach besten Kräften im Weinberg halfen. Angereist sind wir in den ersten Jahren zu dritt auf der Horex. Später fuhren wir mit der Kraftpost. So hieß die Nahverkehrssparte der Bundespost. Die gelben Busse der Kraftpost erkannte man am Briefschlitz im Bereich der Einstiegstür. Zuletzt machten wir uns mit dem Käfer auf den Weg.

Was der Onkel erzählte

Onkel Karl kam 1893 auf die Welt. „Ich bin e Dreienienziger. Dreienienzig war e trockener Jahrgang. Deshalb habi immer Durscht“, konnte man ihn sagen hören. Als Winzer und Gastgeber war es sein Leitspruch „Der Win isch nit meh wert, dass mer ne trinkt.“ Damit hat er nicht immer Beifall geerntet. Der Verfasser erinnert sich noch an einen Besuch mit Opa und Onkel bei der Verwandtschaft am Kaiserstuhl. Gastgeber Paul Strub in Oberbergen war auch Winzer und hielt den guten Tropfen nicht zurück. Nach geraumer Zeit wollte dieser wissen „Un wie ischer, der Wii meini?“ Da hörte man die Durbacher sagen: „Der Win konn mer au trinke!“ Der Gastgeber entrüstet: „Ja isch der Wii nit guat?“ Der Hurst Karl aus Durbach: „Der Win isch nit meh wert, als dass ma ne trinkt!“ Für diesen Tag war das meiste gesagt.

Feste im Herbst

In weinseliger Laune ließ uns der Onkel teilhaben an seinem reichen Erinnerungsschatz. Noch in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg wurde am Vorabend der Weinlese gewaltig geschossen. Dieses Freudengeschäft wurde von der erwachsenen männlichen Jugend und von gedienten Soldaten besorgt. Zum „Herbsten“ wurden die Verwandten aus nah und fern eingeladen. An den Sonntagen der Herbstzeit gab es ein Festessen. Dazu musste das erste fette Schwein sein Leben lassen. Fröhliche Lieder schallten von den Rebhängen herab, wie „Zwischen Gengenbach und Stollenwald, da wachsen unsere Reben.“ Beim Abtransport des „Neuen“ wurden Gärpfeifen mit Sträußen in die Spundlöcher gesetzt. Der Wagen war mit einem Maien geschmückt und die Pferde trugen Halfter mit Goldschettern.

Ein Freiherr als Rettung

Die Neunzehnhundertzwanziger- und -Dreißigerjahre waren Notjahre für die Winzer der Ortenau. Viele von ihnen wollten den Weinbau aufgeben. Der damalige Präsident des Badischen Weinbauverbandes Eugen Lang aus der Binzmatt bei Gengenbach reiste zusammen mit dem Weingutsbesitzer Hubert Freiherr von Neveu aus Durbach von Ort zu Ort, um die Winzer von der Notwendigkeit des Weinbaus zu überzeugen. Mit dem Namen Neveu verbindet man heute den kometenhaften Aufstieg des Genossenschaftswesens nach dem Krieg. 1953 wurde Neveu selbst Präsident des Badischen Weinbauverbandes. Während seiner Amtszeit erlangte Baden die heutige Spitzenstellung innerhalb der deutschen Weinbauregionen. Entsprechend stolz sind die Ortenauer Winzer auf ihren Wein.

Glossar

Die Durbacher sagen nicht in Durbach sondern „im Durbach“.

Herbsten: Weinlese.

Wein- und Heimatmuseum Durbach

Der Grundstein des Fachwerkgebäudes geht auf das Jahr 1780 zurück. Der einstige Rebhof in der Ortsmitte diente 1877 bis 1967 als Domizil für Alte, Arme und Kranke. 1995 ist hier das Museum eingezogen. Es zeigt heute die Dorfgeschichte von Durbach und Ebersweier. Illustriert und archiviert werden die Themen Weinbau, Land- und Forstwirtschaft sowie Schloss Staufenberg.

www.museum-durbach.de