Am Sonntag haben sich die Kapuziner mit einem festlichen Gottesdienst vom Klosterleben in Zell verabschiedet. Die geistliche Feier in der Wallfahrtskirche »Maria zu den Ketten« wird in allen Besuchern noch lange nachhallen.
Jetzt, wo es so weit war, dass das Kloster von Zell und die Betreuung der Wallfahrtskirche in andere Hände geht, hatte mancher der Kapuziner eine schlechte Nacht. Es ging ihnen vieles durch den Kopf: Was erwartet mich im neuen Kloster und wie werde ich aufgenommen?
Die Bürgerwehren Oberharmersbach, Unterharmersbach und Zell am Harmersbach als Repräsentanten des Tales zogen zum Festgottesdienst ein, verneigten sich und nahmen Platz. Nach langen Wochen des Grübelns war am Sonntag der Tag des Abschieds gekommen. Herrlicher Sonnenschein strahlte durch die Chorfenster und viele Menschen nickten den Kapuzinern zu, als sie in die Wallfahrtskirche zum Abschied einzogen.
Festliche Musik erfüllt die Kirche
Das mächtige Halleluja, gesungen von den vier Kirchenchören des Tales, erklang, unterstützt vom MGV Liederkranz Unterharmersbach. Von überall her waren die Gläubigen gekommen, um zu danken und den Kapuzinern an ihrem neuen Wirkungsort Gottes Segen zu wünschen. Bruder Provinzial Helmut Rakowski begrüßte die Gläubigen und eine lange Reihe von Ehrengästen. Dann brillierte Organist Dieter Friede und die Chöre unter der bewährten Leitung Wolfram Dreher erfüllten die Kirche mit festlicher Musik.
Heimat ist kein Ort allein
Die Predigt hielt Bruder Provinzial Helmut. Er erzählte von dem Haus in Mainz, in dem er mit seinen Eltern wohnte. Davon, was er fühlte, wenn er heimkam von den Studientagen und wenn er ging. Heimat sei nie ein Ort allein. Er sei mit Menschen und Erfahrungen verknüpft. Die Klosterauflösungen seien für ihn als Provinzial seine Aufgabe und sein Thema, manchmal verknüpft mit endlosen Diskussionen. Er sei für manche der böse, kaltherzige Bürokrat, der die »Heimat« bedrohe.
Traditionen ändern sich
Für manche Kirchenbesucher waren die Wallfahrtskirche und die Kapuziner eine Heimat, die sie regelmäßig aufsuchten. Mai-Andachten und Wallfahrtstage waren Großereignisse. Und viele Kapuziner lebten hier gern, fühlten sich wohl und waren hier daheim. Und diese Heimat ginge jetzt verloren. Keine Linzertorten mehr, die ab und an der Klosterpforte abgegeben werden, genauso wenig »lokale Weihwasser« aus Kirschen.
Stadt entwickelt sich
Bruder Helmut: »Dabei leben wir seit Jahrzehnten in einer Zeit voller Veränderungen, die Gewohnheiten werden kürzer, unsere Welt ändert sich rasant.« Bruder Helmut, so erzählt er, war schon in den 1970erJahren hier. Da empfand er Zell und Unterharmersbach viel dörflicher. Was hat sich seither alles verändert? Straßen entstanden, Häuser wurden abgerissen. Neubauten, ganze Siedlungen wurden gebaut. Die Neubaugebiete zeigten, dass vermutlich so viele zugezogen sind, dass sich auch das Gemeinschaftsgefüge verändert habe. Viele haben längst ihre Heimat in der Kirche verloren. Selbst die Katholiken seien, so Bruder Helmut, gespalten, manche setzen auf die Pius-Brüder und klammern sich an Tradition. Und immer mehr Menschen bräuchten die Kirche überhaupt nicht. Es sei kein Wunder also, dass auch den Kapuzinern zusehends die Lebensgrundlage fehle.
Beten um Befreiung
Bruder Helmut: »Wenn wir heute vor der Muttergottes von Zell stehen, dann sind wir vielleicht versucht, ihr zuzurufen: Zerreiße endlich diese Ketten, die uns in eine Abwehrspirale hineinziehen. Befreie uns von einer Situation, in der Glaube und Volksfrömmigkeit, die Kirche, zwischen unseren Händen zerbröckeln.«
Die Freiheit mitzumachen
Zwei Franziskaner-Minoriten sollen kommen. Diese gute Nachricht könne, sagt Bruder Helmut, zur Versuchung führen, zu denken, dass vielleicht doch alles irgendwie weitergeht. Oder wolle Maria zu den Ketten vielleicht doch sagen, dass wir frei seien? Es zwinge uns keine Tradition, kein gesellschaftlicher Druck, nicht die Frage »Was sagen die Nachbarn«. Wir seien frei, viele entschieden sich, zu Kirche und Glauben auf Distanz zu gehen. Darum ändere sich so viel. Aber, so Bruder Helmut, man könne auch frei mitmachen, zum Gottesdienst gehen, ihn als Auszeit für die Seele verstehen. Kirche sei nicht nur dort, wo Priester oder Ordensleute versammelt seien, sondern überall, wo zwei oder drei in Christi Namen versammelt sind. »Natürlich sind wir alle traurig. Auch wir Kapuziner, besonders die Brüder, die hier bis zuletzt gelebt haben. Aber wir blicken auf diese Ketten, die Maria uns entgegenhält. Ihr seid frei. Im Galaterbrief 5 sagt Paulus: Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nie wieder ein Joch der Knechtschaft auferlegen! (Gal 5.1)«
Um Verzeihung bitten
Bruder Helmut: »Es ist guter Brauch, dass ein Bruder. der versetzt wird, die Gemeinschaft, die er verlässt, um Verzeihung bittet. Das möchte ich im Namen der Kapuziner tun. Wir sind längst nicht immer unserem Anspruch gerecht geworden, haben Fehler gemacht, haben in Wort und Werken, aber auch in Unterlassung gesündigt. Bitte verzeihen Sie und bleiben Sie uns gewogen und im Gebet verbunden.«
Die Rede führte zu minutenlangem Beifall in der Wallfahrtskirche. Sie war verdiente Anerkennung und ein herzliches Dankeschön für Bruder Helmut, der die Herzen der Besucher mit seiner Predigt tief berührte.
Das Zeller Wallfahrer Lied von allen in der Kirche, nach dem Segen gerne gemeinsam gesungen, war ein würdiges Schlusslied eines Gottesdienstes, der bei allen noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Mit warmem Herzen und kühlem Kopf
Am Sonntag haben sich die Kapuziner offiziell aus Zell verabschiedet. Nach dem Gottesdienst lud die Seelsorgeeinheit zu einer weltlichen Feier in die Schwarzwaldhalle ein.
Eine kleine Hauskapelle mit Unterharmersbacher Musikern sorgte für beste Unterhaltung. Auf der Bühne warteten die Gratulanten und Redner. Den Beginn machte im Namen von Bürgermeister Günter Pfundstein seine Stellvertreterin Brigitte Stunder. Sie sprach auch im Namen der Talgemeinden: „Liebe Gäste, wir haben uns hier und heute nach einem feierlichen Gottesdienst versammelt, um mit schmerzhaften Gefühlen Abschied zu nehmen von über 100 Jahre Leben und Wirken der Kapuzinermönche in Zell am Harmersbach. In vielen Jahren haben Sie, sehr geehrte Kapuziner, mit großem Engagement und christlicher Hingabe die Wallfahrtskirche Maria zu den Ketten mit ihren täglichen Gottesdiensten und ihren jährlichen wiederkehrenden Wallfahrten zu Ehren der heiligen Muttergottes Maria geleitet. In der Pfarrgemeinde und der nachfolgenden Seelsorgeeinheit waren Sie bis heute ein unverzichtbarer Bestandteil mit dem Feiern von Gottesdiensten und den Sakramentspenden. Wir sind dankbar für die jahrzehntelange Bereicherung der christlichen und geistigen Werte, die wir durch Sie erfahren durften. Wir sagen ein herzliches Vergelt’s Gott. Wenn Sie nun als Kapuzinerbruder Zell verlassen, ziehen Sie voraussichtlich ein letztes Mal an einen anderen Ort. Was Sie immer in sich tragen, ist die religiöse Identität in der Gemeinschaft Ihrer Kapuziner. Wir, die politischen und christlichen Gemeinden von Zell, Biberach und Oberharmersbach, begleiten Sie mit unseren wertschöpfenden Gedanken und guten Wünschen auf Ihrem weiteren Lebensweg. Ich möchte mit einem Zitat des römischen Philosoph Seneca schließen: Jeder neue Anfang entsteht am Ende eines anderen Anfangs.“
Selbstverständliche Institution
Für Unterharmersbach ergriff Ortsvorsteher Ludwig Schütze das Wort: „Noch vor gar nicht langer Zeit hatte ich die Freude, als Ortsvorsteher zum Jubiläum „100 Jahre Kapuzinerkloster Zell“ gratulieren zu dürfen. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, dass wir uns nur zwei Jahre später zum Abschied einfinden. Das schmerzt. Ich selbst bin in unmittelbarer Nachbarschaft des Klosters geboren und habe einen großen Anteil meiner Kindheit auf dem Klostersportplatz verbracht. Das Kloster und die Kapuziner waren nicht nur für mich persönlich, sondern für die gesamte Bevölkerung aus Unterharmersbach und Zell eine selbstverständliche Institution wie die Kirche, das Rathaus, die Schule und das Dorfwirtshaus. Das Kapuzinerkloster prägte über 100 Jahre das kirchliche, seelsorgerische, kulturelle, aber auch das gesellschaftliche Leben der Bürger im ganzen Tal. Allen Kapuzinern möchte ich an dieser Stelle für ihr bereits erwähntes Wirken in den letzten 102 Jahren herzlich danken. Sie sind bei allen Veranstaltungen hier im Ort herzlich willkommen.“
Große Entlastung
Für die Brüder, die Zell verlassen und in anderen Klöstern Aufgaben übernehmen, überreichten Brigitte Stunder und Ludwig Schütze „Marschverpflegung“ aus dem Schwarzwald. Dekan Mathias Bürkle aus Offenburg dankte den Kapuzinern für ihre Mitarbeit in den verschiedenen Bereichen, die immer eine große Entlastung für das Dekanat gewesen sei. Ob in der Seelsorge oder als Krankenhausseelsorger seien die Kapuziner immer hilfsbereit gewesen und hätten zusätzliche Dienste übernommen. Er wies auch auf den Kapuziner-Bericht von Hans-Peter Wagner hin, in dem die Kapuziner auf ihre Art gewürdigt worden sind. In diesen Episoden zeige sich auf besondere Weise, wie Volksfrömmigkeit zugleich die Verbundenheit mit der Kirche bilde.
Herzlich dankte Dekan
Bürkle dem Pfarrer Bonaventura Gerner, dass die Wallfahrtskirche auch in der Übergangszeit betreut wird und geöffnet bleibt.
Zuhören und helfen
Dekan Wellhörner sprach im Namen der evangelischen Kirche ein Grußwort. Er hatte viele Kontakte zu den Kapuzinern Pater Christophorus und Bruder Norbert. In der Klinikseelsorge im Offenburger Josefs-Krankenhaus war Pater Burkhard ein wichtiger Gesprächspartner. Deshalb sei er gerne zu dieser Verabschiedung gekommen. Er richtete sein Wort an die Kapuziner: „Die Zeller Brüder waren immer ansprechbar für die Sorgen und Nöte vieler Menschen. Sie haben zugehört und sie haben geholfen. Sie waren einfach da, wenn sie gebraucht wurden. Sie haben durch Kirche und Kloster, durch ihre Gegenwart das Stadtbild geprägt. Sie haben Glauben und Kultur gepflanzt. Die evangelische Kirchengemeinde bedauert den Abschied, weiß aber auch, dass das Leben der Kapuziner stets auf Wandel ausgerichtet ist. In herzlicher Verbundenheit mit Ihnen, liebe Brüder, sagen wir Dankeschön und Vergelt’s Gott!“
Bruder Hadrian zieht nach Gengenbach
Generaloberin Schwester Michaela überbrachte den scheidenden Kapuzinern den besonderen Dank der Mitschwestern für das geschwisterliche Miteinander und die vielen gemeinsamen Feiern: „Die Brüder hatten immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Schwestern.“
Zum Abschluss überreichte Provinzial Rakowski den Brüdern, die nun Zell verlassen und in anderen Klöster Aufgaben übernehmen, einen schriftlichen Auftrag mit einer kurzen Bewertung der Arbeit im Kloster im letzten Jahr.
Besonders herzlich dankte Bruder Helmut dem 86-jährigen Senior-Pater Hadrian Hess. Er war über 40 Jahre in der Kapuzinermission in Nias (Indonesien) als Missionar tätig. Nach seiner Rückkehr vor neun Jahren wünschte er sich Zell als Alterssitz. Die Bitte wurde vom Provinzial gerne erfüllt. Pater Hadrian hat in Zell mehrere Bücher über die Wallfahrtskirche Maria zu den Ketten geschrieben und zahlreiche Führungen für Gruppen durchgeführt. Er wird zu den Gengenbacher Schwestern ins Haus Bethanien versetzt und übernimmt dort seelsorgerische Aufgaben.
Bruder Pirmin wird Vikar
Eine besondere Anerkennung für sein Wirken wurde Brüder Pirmin zuteil. Bruder Helmut beförderte ihn zum Vikar (Stellvertreter des Guardians Norbert im Seniorenkloster Münster). Ein Beispiel für sein vorbildliche Wirken: 346 Beerdigungen hat er in den Jahren seiner Tätigkeit in Zell gehalten, Hinterbliebene getröstet und mit ihnen gebetet.
Schmerzlicher Eingriff
Pfarrer Bonaventura Gerner zitierte in seinen Dankesworten den Franziskaner Bruder Peter Amendt: Ein warmes Herz braucht kühlen Kopf. Ein warmes Herz steht für die Wärme, die von einem Menschen ausgeht, für spürbare Zuwendung, Begeisterung und Ausstrahlung. In diesem Sinne haben die Kapuziner am Wallfahrtsort, ab 1983 in der Pfarrei Zell und dann in der Seelsorgeeinheit gewirkt. Viele Brüder haben mit ihren unterschiedlichen Charakteren und Begabungen die Gemeinde gestaltet und im franziskanischen Geist geprägt. Pfarrer Gerner: „Für all dieses Wirken gilt es heute im Namen der Seelsorgeeinheit und ihrer Gremien ein Vergelt’s Gott und Danke zu sagen. Ein warmes Herz braucht kühlen Kopf. Mit kühlem Kopf, also sachlich, wurde auf Eurem Kapitel entschieden, wie Ihr die Ordensgemeinschaft der Zukunft aufstellen wollt.“ Es sei für alle die Auflösung des Klosters an der Wallfahrtskirche ein schmerzlicher Eingriff. „Danke für das sichtbare Wirken und jenes im Verborgenen, die Gastfreundschaft, das mitbrüderliche Miteinander, das Miteinander im Seelsorgeteam, in den Gremien und Gruppen.“
Irgendwas bleibt immer
Der Pfarrgemeinderatsvorsitzende Ansgar Horsthemke (Nordrach) hatte für die Brüder, die Zell verlassen, ein Päckchen mitgebracht. Was er fühlte, drückte er mit dem bekannten Lied von Trude Herr als Schlusswort aus: Niemals geht man so ganz.
Zum Schluss erzählte Bruder Helmut mit einem Schmunzeln eine kleine Anekdote über den unvergessenen Pater Ferdinand: Pater Ferdinand drohte nach einem Weinfest mit Weißherbst in eine Polizeikontrolle zu geraten. Kurz vor dem Kontrollpunkt hielt Pater Ferdinand an und eilte zu den Polizisten und fragte, was denn Schlimmes passiert sei, ob ein Priester benötigt werde. Der Polizist antwortete: „Es ist nur Verkehrskontrolle. Danke Pater, Sie können beruhigt weiterfahren.“