Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und sein Team haben kürzlich die Website www.kein-kind-alleine-lassen.de gestartet. Hier finden Kinder und Jugendliche direkten Kontakt zu Beratungsstellen und auch Erwachsene bekommen Informationen, was sie bei sexueller und anderer familiärer Gewalt in der Corona-Krise tun können.
Im Ortenaukreis engagiert sich der Verein »Aufschrei« in diesem Themenfeld. »Wir dürfen in der aktuellen schwierigen Situation von Corona Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die von sexueller Gewalt bedroht sind, nicht aus den Augen verlieren. Von sexueller Gewalt gefährdete Kinder oder Erwachsene können nicht unbeobachtet Kontakt zu uns aufnehmen, wenn Täterinnen und Täter ganztägig zuhause sind«, sorgt sich Brigitte Ehret. Gerade Kinder und Jugendliche benötigten Unterstützungspersonen, um den Missbrauch mitteilen zu können. Durch die Schulschließung und dem Kontaktverbot bleibe der vertrauensvolle persönliche Kontakt zu Schulsozialarbeitern, Lehrkräften oder der Mutter der besten Freundin zunehmend versperrt. Betroffene Kinder und Jugendliche seien aber sehr darauf angewiesen, dass ihre Signale wahrgenommen werden und dass sie gesehen und gehört werden.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung
Johannes-Wilhelm Rörig (UBSKM) fordert in dieser Situation die unbedingte Solidarität mit den Ungeschützten in der Gesellschaft: »Ich möchte erreichen, dass der Kampf gegen sexuelle und andere familiäre Gewalt gerade jetzt als nationale Aufgabe von gesamtgesellschaftlicher Dimension verstanden wird. Jede und jeder muss auf Kinder im Umfeld achten. Alle können handeln, wenn sie sich Sorgen machen!« Rörig weist auf die bundesweite Plakataktion »Kein Kind alleine lassen« hin. Auch der Verein Aufschrei! unterstützt die Plakataktion und hofft, dass bald viele Plakate überall sichtbar in Offenburg und in der gesamten Ortenau hängen, damit Erwachsene wachsam und handlungsfähig bleiben und Kinder und Jugendliche erfahren: »Du bist nicht alleine.« Alle können sich beteiligen und Plakate unter www.kein-kind-allein-lassen.de herunterladen.
Die Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sind wichtig. Gerade jetzt wären jedoch unsere altersgerechten Präventionsangebote gegen sexuelle Gewalt in den Schulen und Kitas besonders hilfreich. Bei der Fachstelle hoffen alle sehr, dass mit der Schulöffnung dies schnell wieder möglich sein wird – natürlich unter den bestehenden Hygiene- und Abstandsregeln.
Belastende Ausgangsbeschränkung
Auch für Frauen und Männer, deren sexuelle Gewalterfahrung in der Vergangenheit liegen, bedeutet diese Krise eine extreme Stresssituation. Aufgrund der schweren Traumatisierung erleben sie die verordnete Ausgangssperre und aktuellen Nachrichtenlage als besonders belastend. Extreme Ängste und das Gefühl, dass jetzt die schwer erworbene innere Sicherheit nach den Gewalterlebnissen wieder bedroht wird, können sich nun verstärken. Die auferlegte Maskenpflicht wird vermutlich die Situation zusätzlich verschlimmern, weil sie an die eigene Gewalterfahrung erinnern kann. Die Gefahr besteht, dass die Panik wächst und die Menschen nicht mehr aus dem Haus gehen.
Der Appell des Vereins »Aufschrei!« ist klar: »Wir sind weiterhin erreichbar. Niemand soll mit der Situation alleine bleiben!« Die Kontaktaufnahme kann über Telefon und Mail erfolgen. Die Mitarbeitenden sind zu den Kontaktzeiten in der Beratungsstelle anzutreffen und beraten in Einzelfällen auch persönlich in der Beratungsstelle.
Hilfeholen ist auch in der Krise erlaubt
Auf www.kein-kind-alleine-lassen.de gibt es darüber hinaus viele Materialien, die auch für die Verbreitung auf Social Media genutzt werden können. Die Seite hat einen Bereich für Erwachsene, in dem Interessierte nicht nur Materialien zum Teilen und Verbreiten finden, sondern auch Informationen zum richtigen Verhalten bei einem Verdacht auf sexuelle und andere familiäre Gewalt im Umfeld. Außerdem gibt es ein Verzeichnis wichtiger Anlaufstellen, die auch während der Corona-Krise erreichbar sind. Der Bereich für Kinder und Jugendliche bietet Direktkontakt per Chat, Mail oder Telefon zu Hilfeangeboten. Kinder finden hier auch Tipps, was sie tun können, wenn sie von Gewalt bedroht sind. Ergänzt wird das Angebot mit den Kontaktdaten wichtiger Kinder- und Jugendberatungsstellen.
Für den Notfall, dass ein Täter oder eine Täterin in das Zimmer kommt, während ein Kind auf der Seite Hilfe sucht, gibt es einen Exit-Knopf, der www.kein-kind-alleine-lassen.de sofort verschwinden lässt. »Zahlreiche Expertinnen und Experten aus Fachberatungsstellen weisen auch angesichts der aktuellen Situation eindringlich darauf hin, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche direkt anzusprechen und ihnen zu vermitteln: Es gibt Hilfe!«, erklärt der Missbrauchsbeauftragte. »Dazu gehört auch, dass wir ihnen sagen: Wenn du es nicht mehr aushältst, lauf aus dem Haus, bitte jemanden um Hilfe oder geh zur Polizei. Kinder müssen wissen: Das ist auch in der Corona-Krise erlaubt.«
Experten sorgen sich wegen rückläufigen Kontakten
Die Aktion »Kein Kind alleine lassen« ist eine Reaktion auf die begründeten Sorgen und erschütternden Berichte über die Zunahme von Gewalt gegen Kinder, Jugendliche und Frauen in der aktuellen Krise. Zuletzt hatte der UN-Generalsekretär António Guterres vor einer »schrecklichen Zunahme« familiärer Gewalt während der Corona-Pandemie gewarnt. Das Risiko ist auch deshalb sehr hoch, weil Bereiche, in denen sonst die Möglichkeit besteht, dass innerfamiliäre Gewalt bemerkt wird (in Schulen und Kitas, bei Tagesmüttern, in Sportvereinen) in der momentanen Situation wegfallen. Besonders tragisch: Erste Rückmeldungen von Beratungsstellen zeigen, dass Anrufe eher rückläufig sind. Die Erklärung der Experten: Von Missbrauch und anderer Gewalt gefährdete oder betroffene Kinder können nicht unbeobachtet telefonieren, wenn Täter und Täterinnen ganztägig zuhause sind. Auch deshalb ist ein Online-Angebot wie www.kein-kind-alleine-lassen.de zur Zeit der richtige Weg, um Kinder und Jugendliche zu erreichen.
Der Missbrauchsbeauftragte fordert in dieser Situation die unbedingte Solidarität mit den Ungeschützten in der Gesellschaft: »Ich möchte erreichen, dass der Kampf gegen sexuelle und andere familiäre Gewalt gerade jetzt als nationale Aufgabe von gesamt-gesellschaftlicher Dimension verstanden wird. Jede und jeder muss auf Kinder im Umfeld achten. Alle können handeln, wenn sie sich Sorgen machen! Wir möchten, dass diese Informationen und unsere Flyer in möglichst vielen Hausfluren, Supermärkten, Apotheken, bei Ärztinnen und Ärzten und in Krankenhäusern hängen. Damit Erwachsene wachsam und handlungsfähig bleiben und Kinder und Jugendliche erfahren: Du bist nicht alleine.« Auch der Betroffenenrat beim UBSKM macht vor dem Hintergrund der Corona-Krise klar, wie wichtig Hilfeangebote wie www.kein-kind-allein-lassen.de für Kinder sind: »Als von sexualisierter Gewalt Betroffene wissen wir, wie sehr Kinder darauf angewiesen sind, dass ihre Signale wahrgenommen und dass sie gesehen und gehört werden. Wir brauchen noch mehr Online-Beratungsangebote für sexuell missbrauchte Kinder und ihre Freunde. Beratungsstellen gegen sexuelle Gewalt und andere Themen des Kinderschutzes müssen unbürokratisch Sonderzulagen erhalten.«
Kontaktadressen
Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800/2255530, Soforthilfe: www.kein-kind-alleine-lassen.de.
Für Kinder und Jugendliche: www.save-me-online.de; beratung@save-me-online.de.
Hilfeportal Sexueller Missbrauch, Beratungsstellen in der Nähe finden unter: www.hilfeportal-missbrauch.de.