Der zweite Weihnachtsfeiertag ist seit Jahrzehnten für das Jahreskonzert der Miliz- und Trachtenkapelle reserviert. Dirigent Rüdiger Müller und seine 70 Musiker bescherten die über 600 Gäste zum Ende der Festtage in der Reichstalhalle mit sinfonischer Blasmusik.
Gesucht und gefunden: Nach einem Jahr ist das Orchester, wie Moderatorin Alisa Jilg eingangs treffend formulierte, nicht nur »frisch verliebt«, weil man sich nach längerer Suche und mehreren Dates für einen »Neuen am Dirigentenpult« entschieden hat. Jetzt sei das gegenseitige Kennenlernen abgeschlossen und man habe sich intensiv für das Jahreskonzert vorbereitet.
Das Ergebnis bedurfte keines frenetischen Beifalls oder irgendwelcher schmeichelhafter und falsch gesetzter Superlative. Die ausgewählten Kompositionen waren auf die Kapelle zugeschnitten. Literatur und Besetzung passten zusammen und es lag am Dirigenten, ein transparentes, ausgewogenes und stimmiges Klangbild zu formen und einzufordern, das mit den Erfolgen der vergangenen Jahre nunmehr eine angemessene Fortsetzung gefunden hat.
Die aufmerksamen Gäste, unter ihnen Honoratioren der Gemeinde mit Bürgermeister Richard Weith und Pfarrer Bonaventura Gerner sowie Vertreter benachbarter Kapellen und eine Abordnung des Blasmusikverbandes Kinzigtal, waren wohl auf die neuen musikalischen Akzente gespannt. Der Zugang zum sinfonischen Konzert wurde ihnen mit »Fantasy Variations«. Die Vorlage des Geigenvirtuosen Niccolò Paganini lässt James Barnes durch alle Register wandern, mal schier schräg mit Blech, oder eher mit hölzernen Effekten des gut besetzten Percussionsregisters, leise mit hohen Stimmen oder voluminös. Und wenn man meint, das Thema sei ausgereizt, findet der Komponist mit Tempi oder Rhythmen nochmals eine zusätzliche Variante, in denen auch der eine oder andere Solist sein Können zeigen kann. Das Hauptthema setzt sich tatsächlich im Kopf fest.
Forderndes Pflichtstück
Etwas schwerere Kost folgte mit dem Pflichtstück »Divertimento for Band« (Vincent Persichette) für das Wertungsspiel im April 2020. »Das war eine Baustelle« zog Rüdiger Müller Bilanz, nachdem die ganze Last der Vorbereitung und des Auftritts von ihm abgefallen war, wohlwissend, was er seinen Musikern letztendlich abverlangte. Das durchaus moderne Stück ist zum Teil atonal gesetzt, geprägt durch kammermusikalische Anklänge oder rhythmisch anspruchsvolle Passagen, und jeder einzelne Satz fordert das Orchester aufs Neue.
Erstaufführung
Geringfügig leichter, weil gehörfälliger, schien »The Seeker« (David Maslanka), das Wahlstück der Miliz- und Trachtenkapelle beim Wertungsspiel in Riva del Garda. Hier waren die Musiker gefordert, die einzelnen Phasen einer Suche im wahrsten Sinne des Wortes zu betonen. Der fragende Beginn mit weichen Klarinettentönen, gefolgt von aufmunternden Akkorden, die aufkommende Hoffnungslosigkeit und schließlich der sich abzeichnende Erfolg: Der Zuhörer folgte diesen Phasen, jeweils angeleitet durch die gekonnte Interpretation dieser deutschen Erstaufführung.
Vergebliche Suche
Die Stimmungen eines Traumes musikalisch nachzuempfinden, ist eine Herausforderung. Der irische Prinz Oenghus sieht im Traum eine wunderschöne Frau, die sich ihm aber immer wieder entzieht. Rolf Rudin hat im »Der Traum des Oenghus« diese verschiedenen Stimmungen verarbeitet. Dem ruhigen Teil mit Flöten folgt in unterschiedlichen Tempi die Rastlosigkeit, die wieder mit verschlafenen Akkorden wechseln. Selten kommt der Zuhörer zur Ruhe, genauso wie Oenghus. Die innerliche Jagd untermalte die Kapelle mit surrealen Bildern, in denen immer wieder Oenghus als Getriebener zu erkennen ist, auf seiner letztlich vergeblichen Suche.
Hemmungslos
Dass die Oberharmersbacher in der Welt der Tänze zu Hause sind, zeigten sie in einem vielfältigen Finale. »Symphonic Dances« (Yosuke Fukuda) bündelt vier Tänze, wie sie unterschiedlich nicht sein könnten. Die ausgewogene Besetzung des Blasorchesters spann den Bogen von majestätisch und festlich klingenden Takten der Renaissance hin zu den pikanten Rhythmen des argentinischen Tangos. Die fast schon greifbare Leidenschaft und Hemmungslosigkeit, die der Komponist mit dem orientalischen Bauchtanz verbindet, war nicht minder wild wie »Hoedown«, in der die Welt des Rodeos im Wilden Westen lebendig wird.
Gradmesser des Leistungsstands
Leonard Bernstein hat einmal gesagt: »Es gibt nur zwei Arten von Musik. Gut gespielte und weniger gut gespielte«. Die Miliz- und Trachtenkapelle dürfte sich ohne Überheblichkeit in der ersten Kategorie ansiedeln. Der ehrliche Applaus des Publikums ist nicht nur eine Anerkennung der Leistung, die Nicht-Profis leisten, sondern auch ein Gradmesser für den Leistungsstand der Miliz- und Trachtenkapelle. Wo sie tatsächlich steht, darüber hat dann die internationale Jury in Riva del Garda zu befinden.
Wahrscheinlich hat der eine oder die andere in dem sinfonischen Konzert dennoch einen passenden »Rausschmeißer« vermisst. Den legte Dirigent Müller, mit dem Marsch »Unser Land« des Südtiroler Komponisten Rudolf Neumair auf, nochmals eine deutsche Erstaufführung. Und genauso besinnlich, wie die Kapelle mit »Mentis«, einer Adventsfantasie, den Konzertabend eröffnete, verabschiedeten Dirigent und Musiker die Zuhörer mit sanften Klängen von J. R. Monterose.