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Nordrach | 9.10.2019

Michael Paul berichtete über seine Reise nach Auschwitz

Berührender neunter Nordracher Geschichtstag – Appell an die Gemeinde, sich des leerstehenden »Rothschilds« anzunehmen

Foto:
Der Schriftsteller Michael Paul berichtete im Pfarrheim über seine Reise nach Auschwitz. Foto: Herbert Vollmer
von Herbert Vollmer

Am vergangenen Samstagabend fand im Pfarrheim der neunte Nordracher Geschichtstag statt. Lediglich sechzehn Zuhörer waren gekommen, um an der Reiseschilderung des Lahrer Schriftstellers Michael Paul nach Auschwitz teilzunehmen.

Foto: Michael Paul
Vitrine mit Prothesen der Opfer.
Foto: Michael Paul
Die Familienfotos erinnern an das Leben der Opfer.
Foto: Michael Paul
Auf den Holzgestellen mussten die Häftlinge dicht gedrängt auf Strohmatten schlafen.
Foto: Michael Paul
Auschwitz II, nur die Kamine der Lagergebäude stehen noch.
Foto: Michael Paul
Die Sträflingskleidung wurde in Dreierreihen aufgehängt, an der Wand Fotos der Opfer.
Foto: Michael Paul
Der Eingang zum KZ mit dem zynischen Spruch »Arbeit macht frei«.

»Schon beim Gedanke daran vermischt sich das Interesse mit einem unguten Gefühl, einem Schmerz, manchmal auch mit Angst«, hatte der Historische Verein Nordrach in seiner Einladung geschrieben. Der schwache Besuch bestätigte diese These. Der Vorsitzende Herbert Vollmer bedauerte bei seiner Begrüßung sehr das mangelnde Interesse der Bevölkerung an diesem Geschichtstag. Vollmer erinnerte dankbar daran, dass Rolf Oswald die ersten sechs Geschichtstage zusammen mit Uwe Schellinger und Egbert Hoferer organisiert hatte. Der Tag wurde auch stets im Gedenken an die 27 jüdischen Patientinnen und Bediensteten begangen, die am 29. September 1942 aus dem Rothschildschen Lungensanatorium deportiert und in Vernichtungslagern ermordet wurden. Das berüchtigtste KZ sei Auschwitz gewesen, 1.100 Kilometer entfernt im heutigen Polen.

Vollmer stellte danach die Bedeutung des Lungensanatoriums Rothschild für Nordrach heraus, das einen Teil der jüngeren deutschen Geschichte widerspiegle: jüdisches Lungensanatorium bis 1942, dann Haus Schwarzwald des Lebensborns, nach dem Krieg Lazarett, von 1947 bis 1949 Sammelstelle für Kinder französischer Soldaten und deutscher Mütter, ab 1952 Lungensanatorium Zajac, ab 1993 St. Georg Pflegeheim bis August 2019, seit­-her leerstehend. »Rothschild« oder »Zajac«, wie die Nordracher immer noch das Haus bezeichnen, sollte unter allen Umständen wieder sinnvoll genutzt werden. »Die Gemeinde sollte die Verkaufsverhandlungen aktiv begleiten. Wenn sich in absehbarer Zeit kein geeigneter Investor finden lässt, sollte die Gemeinde Nordrach das Grundstück erwerben und so den Erhalt des denkmalgeschützten Gebäudes sichern«, appellierte Vollmer an die Gemeindeverantwortlichen.

Besuch geht unter die Haut

Michael Paul schilderte anschließend in bewegenden Worten seine Reise zusammen mit einer kleinen Reisegruppe nach Auschwitz im Mai 2018. Dort wurde im April 1940 auf Befehl des Reichsführers der SS Heinrich Himmler in einer ehemals polnischen Kaserne ein Konzentrationslager eingerichtet, das Bahnanschluss hatte und so die Deportation der Juden aus vielen Gebieten Europas vereinfachte. Im Oktober 1941 begann der Bau des riesigen zweiten Arbeitslagers Auschwitz-Birkenau für zunächst 100.000 Häftlinge. Die SS ließ es als industrialisiertes Vernichtungslager ausbauen mit mehreren Gaskammern und Krematorien. In den beiden Lagern kamen rund 1,3 Millionen Menschen ums Leben, darunter ca. 1,1 Millionen Juden, aber auch Sinti und Roma, Kriegsgefangene und politische Häftlinge. Heute sind von diesen Konzentrationslagern noch viele Teile erhalten bzw. originalgetreu ergänzt. Sie sind öffentlich zugänglicher Bestandteil des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, Gedenkstätte des Holocaust und jüdischer Friedhof auf dem Gelände der beiden ehemaligen Konzentrationslager I und II. Dieses Museum ist zugleich Gedenkstätte, internationales Begegnungs- und Holocaust-Forschungszentrum. Es wurde von der UNESCO zum Teil des Weltkulturerbes erklärt.

Zunächst besichtigte Michael Paul mit seiner 18-köpfigen Reisegruppe das Stammlager Auschwitz I, das auch als Verwaltungszentrum gedient hatte. Alle Informationen seien sehr sachlich, neutral und sensibel gehalten, berichtete Paul. Der Rundgang durch die riesige Anlage gehe den Besuchern unter die Haut. Besonders betroffen sei er gewesen, als er vor den riesigen Bergen von Geschirr, Prothesen, Schuhen und mit Namen versehenen Koffern gestanden habe, die bei der Befreiung des Lagers vorgefunden worden seien und in riesigen Vitrinen aufbewahrt werden. In einem der Gebäude waren die Haare der Opfer bis zur Decke aufgeschichtet, was ihn besonders emotional berührt habe, berichtete Paul. In einem überdimensionalen Buch sind die Namen aller jüdischen Opfer eingetragen. In einem Video werden die Bücherverbrennungen gezeigt.

Bedrückende Atmosphäre

Am folgenden Tag besichtigte Michael Paul das Lager Auschwitz-Birkenau. Dort ist nur noch ein kleiner Teil der riesigen Gesamtanlage vorhanden, immerhin noch 36 Gebäude aus Stein und wohl ebenso viele aus Holz. Die gesprengten Gaskammern zu sehen, deren Trümmer liegen gelassen wurden und in denen bis zu 2.000 Menschen zusammengepfercht den Tod fanden, seien ebenfalls sehr bedrückend gewesen, sagte Paul. Auschwitz habe nur eine einzige Aufgabe gehabt, Menschen zu töten, so zweckmäßig wie möglich. Über allem stehe immer wieder die Frage, warum sei dies möglich geworden?

Paul berichtete auch von der Betroffenheit seiner deutschen Besuchergruppe, wenn sie jüdischen Personen und Schulklassen begegnete. »Es habe aber«, so der Reiseleiter der Gruppe, »nie abfällige Ges­ten und Vorwürfe gegeben, sondern die jüdischen Besucher haben im Gegenteil das Interesse der Deutschen mit Achtung wahrgenommen.«

In den letzten Jahren hat der Besucherstrom nach Auschwitz stark zugenommen, zwei Millionen Besucher jährlich, so dass der Zugang nur in einem zeitlichen befristeten Rahmen erlaubt werde.

Mit einem kurzen Bericht über seinen anschließenden Besuch in Krakau, einer beeindruckend schönen Stadt, beendete Michael Paul seinen sehr bewegenden, zum Nachdenken anregenden Vortrag.

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Schlagworte:
Historischer Verein Nordrach, Nordracher Geschichtstag

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