Eindrucksvolle musikalische Spurensuche mit der Miliz- und Trachtenkapelle Oberharmersbach beim traditionellen Weihnachtskonzert.
Das traditionelle Weihnachtskonzert der Miliz- und Trachtenkapelle am Stephanstag ist wie eine große Einladung zur Freude, ein lichtvolles Musikereignis, das zusammen mit der Weih nachts botschaft Zuversicht gibt. Wichtiger denn je in den aktuell dunklen Zeiten. Staunend erlebte das Publikum in der vollbesetzten Reichstalhalle, wie das 70- köpfige Ensemble unter der Leitung von Rüdiger Müller diese Botschaft musikalisch auf höchs tem Niveau mit Leben erfüllte.
Einen musikalischen „Neustart“ wagen
Als Komponist Jay Kennedy im vergangenen Juli zusammen mit Gattin Mallory Thompson in Oberharmersbach zu Gast war, beschrieb er sein Werk „Catapult“ als Aufruf, sich aus der Corona-Krise „heraus zukatapultieren“ und einen musikalischen „Neustart“ zu wagen. Insofern auch ein geeigneter „Opener“ für ein Weih nachtskonzert, wie Flötistin Alisa Jilg anmerkte, die humorvoll und kenntnisreich durch das Programm führte.
Hatte der musikalische Auftakt bereits auf die Dynamik, die klangliche Transparenz und die große Spielfreude des Ensembles verwiesen, so zog der Klangzauber von „O Magnum Mysterium“ die Zuhörer ge radewegs in den Bann. Morten Lauridsen, in den USA einer der beliebtesten Komponisten für Chormusik, offenbart mit dem Stück, das auf einem gregorianischen Weihnachtsgesang basiert, seine mystische Grundhaltung, mit der er auch musikalisch die Geburt Jesu feiert. Fein austariert und präzise dargeboten entstand eine harmonische Wolke aus schwebenden Bläserklängen, die ein Gefühl tiefer innerer Freude und unerschütterlicher Ruhe vermittelten.
Klassiker der Klezmer-Musik
„Feiern Sie mit uns fröhliche Feste“ rief Alisa Jilg den Gästen in der Halle zu, als sie die „Klezmer Classics“ ankündigte; jene im Lauf der Jahrhunderte entstandene Musikkultur der jiddischsprachigen Bevölkerung in Mittel- und Osteuropa. Wenngleich „Klezmer“ heute dank des großen Interpreten Giora Feidman meist mit der Klarinette assoziiert wird, hat Dirigent Müller für die Miliz- und Trachtenkapelle ein Orches terarrangement mit lebhaften Melodien und außer gewöhnlichen Rhythmen gewählt. Daraus ergeben sich reizvolle Kontraste zwischen dem wie aus einem Guss agierenden Bläserensemble und den versiert aufspielenden Schlagwerkern. Als Zuhörer fühlte man sich wechselweise als Zaungast eines Fests, einer Hochzeitsgesellschaft oder eines Trauerzugs. Das Leben mit all seinen Facetten – mal herzerfrischend, mal melancholisch gefärbt. Zum Finale dann ein Parforce-Ritt durch die Partitur, vom Dirigenten gleichermaßen souverän und mit Verve gestaltet. Tosender Applaus erfüllte die Reichstalhalle.
Musik als „Statement gegen Krieg und Ungerechtigkeit“
Die musikalische Reise entlang der Weihnachtsgeschichte bedeutet nicht, jene Menschen zu vergessen, die tagtäglich Gewalt und Zerstörung erleiden. „Unsung Heroes“ von Brooke Pierson wolle man deshalb bewusst als „Statement gegen Krieg und Ungerechtigkeit“ verstanden wissen, erklärte Alisa Jilg. Fanfarengleich und messerscharf eröffneten die Bläser Piersons Stück, unterstützt vom präzise pulsierenden Schlagwerk. Das Ensemble bewies erneut seine stilistische Flexi bilität, setzte einen kraftvollen Kontrapunkt zu Lauridsens nordisch-sphärischen Klängen. Das nordische Element kehrte allerdings mit Chris Pilsners „Valkyrie Rising“ kraftstrotzend zurück.
Der Titel allein ließ Wagnersches Pathos vermuten: Walküren – die kämpferischen Jungfrauen in ihren goldenen, das Nordlicht hervorrufenden Rüstungen – überführen die gefallenen Helden nach Walhalla. Doch Dirigent Müller und das Orchester schufen eine Interpretation jenseits von opernhaftem Pomp und modellierten „Valkyrie Rising“ in einer Kultur fortwährender dynamischer Prozesse und Tempowechsel. Eine überwältigende Darbietung, die begeisterten Beifall erntete.
Dantes Visionen musikalisch grandios inszeniert und dargeboten
„The Divine Comedy“ von Robert W. Smith begibt sich auf „Spurensuche der sieben Todsünden“, inspiriert vom Vers epos „Die Göttliche Komödie“ des italienischen Nationaldichters Dante Alighieri, der im 14. Jahrhundert lebte. Der Komponist hat Dantes bizarre Visionen vom menschlichen Dasein – von der „Hölle“ über das „Fegefeuer“ bis zum „göttlichen Paradies“ in einer viersätzigen Symphonie für Blasorchester musikalisch grandios inszeniert.
Die Miliz- und Trachtenkapelle hat dafür alles aufgeboten: Bellendes Blech und wuchtiges Schlagwerk, klagende Töne der Oboe, der Flöten und Klarinetten wurden von den tiefen Holzbläsern zu einem grotesken Tanz synkopiert. Klanglich Neues und Ungewohntes, was wiederum vertraut wirkte, wenn eine kurze melodische Linie aufleuchtet, die entfernt an das bekannte „Adeste fideles“ erinnert.
Und mittendrin ein Summen und Raunen, ein auf- und abschwellender Gesang, aus dem sich deutlich hörbar ein „Gloria“, ein „Halleluja“ formte, verbunden mit rhythmischem Wippen und dezentem Stampfen der Musikerinnen und Musiker. Gleißende Effekte wie aus einem Filmsoundtrack, tiefenscharf, akkurat und mit spürbarer Spielfreude dargeboten. Perfekter Ensembleklang, selbst beim rasenden Prestissimo.
So geleiteten die Akteure auf der Bühne das Publikum orchestral in Dantes himmlisches „Paradiso“. Ein fulminanter, mit stürmischem Beifall gewürdigter Höhe- und Schlusspunkt des Konzerts.
Die Zugabe „Belle of Chicago“ widmeten Dirigent und Orchester den Mentoren Mallory Thompson und Jay Kennedy – in Erinnerung an das Galakonzert vom Sommer. Für den feierlichen Ausklang sorgte das Ensemble unter Vize-Dirigent Michael Gutmann mit einem wunderbar arrangierten Traditional „Auld Lang Syne“, auch bekannt als deutsch gesungenes „Wir wünschen euch ein frohes Fest, ein gutes neues Jahr …“.
Dankesworte richtete Alisa Jilg an alle Sponsoren und Helfer, die zum Gelingen des Weih nachtskonzerts beitrugen, insbesondere an die Mitglieder der „Bärenzunft“, die für das leib liche Wohl der Gäste in der Reichstalhalle sorgten.