Am Pfingstmontag haben die Kapuziner Abschied vom Kloster Zell gefeiert. 103 Jahre lang prägten sie das Stadtbild, waren angesehen und hier zu Hause. Ein persönlicher Rückblick von Hans-Peter Wagner auf eine schöne Zeit.
Wie heißt es doch so schön im Volksmund hinter vorgehaltener Hand? »Alli schwere Fäll geh’n nach Zell.« Ob dieses geflügelte Wort vor oder nach den Kapuzinern geboren wurde, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Wenn man die Kapuziner heute betrachtet und nur nach dem Gewicht geht, könnte man allerdings glauben, das Sprichwort sei extra für sie erfunden. Aber so wirds wohl doch nicht gemeint sein.
Schwarze Schafe und fromme Lämmer
Eher ist der Spruch auf Menschen gemünzt, die schon immer ihre Sünden in Zell abluden, das war auch den Kapuzinern bekannt. Und nehmen wir weiter an, dass sie blitzschnell erkannten, dass in Zell mehr als genug Arbeit war, all die Sünden zu vergeben und aus schwarzen Schafen wieder fromme Lämmer zu machen, dann wissen wir, warum damals, am 13. November 1918, die ersten Kapuziner ins Städtle kamen.
Bei Fräulein Schmider
Seither gehörten sie einfach dazu, zu Zell und zum Städtle – und wer wollte sie missen? Die ersten beiden Jahre müssen für die ersten Patres, Pater Paulinus und Pater Bonaventura, nicht ganz einfach gewesen sein. Bei Fräulein Theresia Schmider, in dem kleinen Häuschen neben dem damaligen Anwesen Ritter-Landmaschinen, bezogen sie zunächst für zwei Jahre ein Zimmer. Doch zwei Jahre später konnten die beiden ins eigene Haus einziehen. Zell hatte nämlich jetzt ein Kloster.
Hemd statt Kutte
Natürlich: Nicht nur die Zeiten, auch die Kapuziner haben sich in den 103 Jahren seither verändert. Sah man früher die Herren Patres und Brüder mit wallenden Bärten, mit dem schmalen Haarband, der Tonsur, in der braunen Kutte und sommers wie winters in Sandalen zu Fuß durch das Städtle eilen, so sieht man heute die Kapuziner eher in Hemd und Hose und Krawatte im Auto an einem vorbeihuschen.
Der Pater feiert mit
Hatten sich früher die Kapuziner ganz ins Kloster zurückgezogen, so sind sie heute an allen Fronten, an weltlichen und kirchlichen zu finden. Was wäre ein Fest ohne den Pater? Und wenn er am Tisch sitzt, schmeckt’s allen nochmal so gut. Nicht nur die Menschen wurden so für die Kirche erobert, auch das Pfarrhaus und die Stadtkirche waren drei Jahrzehnte fest in den Händen der Kapuziner. Wer hätte das vor 30 Jahren gedacht, dass ein Pater, in unserem Fall sogar drei, Pater Suitbert, Bruder Richard und Bruder Norbert nacheinander Stadtpfarrer von Zell werden würden?
Geben und Nehmen
Vorbei sind bei so viel Arbeit für die Zeller Seelen auch die Zeiten, als die Zeller Kapuziner noch bei der Bevölkerung bis hoch ins Kinzigtal von Haus zu Haus gingen und ihre Notreserve für die kalten Wintermonate zusammenbettelten. Zum Glück gab es aber die Bauern, die mit vollen Wagen mit den Früchten des Feldes ins Kloster hinunterfuhren. So war es noch in den 1950er-Jahren. Kartoffeln, Mehl und Rüben und auch schon einmal eine halbe Sau wurden den Patres geschenkt. Das war für die Bauern aber eine Ehre. Als Dankeschön schickten die Patres wieder im nächsten Jahr die Klosterschüler zum Kirschenpflücken und zum Kartoffelaufheben zur Unterstützung auf die Bauernhöfe.
Volksnaher Pater
Und der unvergessene Pater Berchmanns lenkte die Schritte beim gemeinsamen Sonntagspaziergang zu einem der spendablen Bauernhöfe hin. Während die Klosterbuben dann draußen vor dem Hof spielten und ein Liedchen sangen, saß der Pater drin in der Stube und ließ es sich richtig schmecken, nämlich das Beste vom Besten. Und die Bauern waren stolz, dass der hochgeschätzte Pater Berchmanns persönlich ins Haus kam. Ja, Volkstümlichkeit wurde bei den Kapuzinern damals großgeschrieben. Da wurde schon einmal mitgeholfen, dass endlich die Ehe zwischen zwei Höfen zur Zufriedenheit aller klappte, eben dass der Bur zu seiner Büri kam. Mit der Schnupftabakdose in der Hand waren sie immer für jeden da.
Donnerwetter von der Kanzel
Und erdverbunden waren sie schon damals. So Pater Cassian, der im Religionsunterricht seine Kopfnüsse gerecht verteilte mit den Worten: „Gleiche Brüder, gleiche Kappen!“ Oder Pater Rupert, der jede Woche zum Gottesdienst barfuß in Sandalen nach Oberwolfach lief. Und predigen konnten sie alle. Wenn sie von der Kanzel herunterdonnerten, wachte auch der müdeste Kirchgänger wieder auf.
Wohl genährt
Auch heute sind die Patres populär. Sie machen die Sache gut, jeder auf seine Art. Und die Narren bei ihren Fasendabenden wären arm dran, wenn es sie nicht gäbe. Denn so viel Stoff wie diese Klosterbrüder gibt sonst in Zell niemand her. Denn im Gegensatz zu früher sind die Pater wohl genährt und würde einer mal abnehmen, denkt man im Städtle schon, er sei krank. Ob das daran liegt, dass man jetzt im Kloster eine Köchin und keinen Bruder Koch mehr hat wie früher?
Gleichberechtigung hinter Klostermauern
Was sich sonst noch geändert hat in all den Jahren: Alle im Kloster sind Brüder mit gleichen Rechten. Dass ein Bruder wie vor 50 Jahren einen Pater mit „Sie“ anspricht, ist passé. Der Bruder Pförtner öffnet nicht nur das schmale Holztürchen an der Klosterpforte. Nein er macht noch viel mehr: Er bedient die Telefonzentrale, die die Klosterzellen mit der ganzen Welt verbinden. Und er führt das Buch mit den Einnahmen und Ausgaben. Eines ist aber geblieben: Bei ihm meldet sich jeder ab, wenn er das Haus verlässt, und als treuer Pförtner geht er erst ins Bett, wenn alle wieder daheim sind in ihren Zellen.
Zell und seine Kapuziner
Man kann beides nicht trennen. Beiden würde etwas fehlen, wenn es das Andere nicht gäbe. Jeder hat schon vom anderen einen Nutzen gehabt. Die Zeller sind durch das Kloster ein bisschen frommer geworden worden, die Kapuziner haben hier ein Zuhause gefunden. Und beide werden durch die gemeinsamen Erinnerungen nie diese schöne Zeit vergessen.